Veröffentlicht: 28.04.10
Science

Vom Labor ins Nomadenzelt

Ein Kamellab-Enzym aus der ETH-Forschung sollte ursprünglich das Leben afrikanischer Wanderhirten verbessern. Jetzt erobert es auch den internationalen Lebensmittelmarkt.

Kathrin Schaffner
Der Magen junger Kamele enthält ein Enzym, das sich zur Käseproduktion eignet. (Bild: Rosino / flickr)
Der Magen junger Kamele enthält ein Enzym, das sich zur Käseproduktion eignet. (Bild: Rosino / flickr) (Grossbild)

Die Geschichte begann vor 67 Jahren in Alula, einem Dorf im Norden von Somalia. Gemäss der dortigen Tradition bekam Zakaria Farah zu seiner Geburt ein Kamel geschenkt. Damals ahnte er noch nicht, dass ihn die Verbundenheit zu diesem Tier einmal auf eine aussergewöhnliche Idee bringen sollte, die mittlerweile in ein Produkt umgesetzt, patentiert und erfolgreich vermarktet wurde: Zakaria Farah, bis Ende 2009 Chemiker am Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften der ETH Zürich, entdeckte ein Enzym, mit dem Kamelmilch gerinnt, so dass sich daraus Käse, Sahne oder Quark herstellen lässt. Damit will er die Lebensgrundlage afrikanischer Nomaden verbessern, denn der Verkauf von Kamelkäse sichert ihnen ein regelmässiges Einkommen.

Drei Jahre hatte der ETH-Chemiker mit seinem Doktoranden Stefan Kappeler nach einem geeigneten Gerinnungsmittel geforscht. 1997 wurden sie fündig: Im Magen junger Kamele entdeckten sie ein Enzym mit den gesuchten Eigenschaften.

Bessere Käsequalität

Doch Farahs Anliegen liess sich damit noch nicht umsetzen. «Nomaden würden nie ein junges Kamel töten», sagt er. Und so mussten die Forscher einen Weg finden, das Enzym künstlich herzustellen. Dazu entnahmen sie dem Kamelmagen das Gen, das für die Produktion des Kamellab-Enzyms zuständig ist, und setzten es in einen Schimmelpilz ein. Und tatsächlich: Dieser produzierte daraufhin das gewünschte Enzym.

Jetzt musste das biotechnologische Gerinnungsmittel nur noch zu den Nomaden gelangen. Doch bevor es dazu kommen sollte, erreichte Zakaria Farah ein Anruf aus Dänemark. Das Unternehmen «Chr. Hansen», einer der weltweit führenden Hilfsstofflieferanten in der Lebensmittelindustrie, interessierte sich für das Produkt der beiden ETH-Forscher. «Chr. Hansen» steuerte das Geld für die Patentierung bei und bekam im Gegenzug die Lizenz für die Vermarktung des Enzyms, das den Namen «CHY MAX M» erhielt.

Die Forscher von «Chr. Hansen» fanden heraus, dass das Kamelenzym auch für die Weiterverarbeitung von Kuhmilch geeignet ist: Die Milch beginnt schon bei einer verhältnismässig kleinen Menge des Enzyms zu gerinnen, und der Käse schmeckt besser und ist länger haltbar als bei der herkömmlichen Produktion mit Kälber-Lab. Bei einer Grossproduktion von Käse, wie sie die Kunden von «Chr. Hansen» betreiben, versprach «CHY MAX M» also eine weitaus grössere Ausbeute.

Die Käseproduktion mit dem Kamellab-Enzym ist ausserdem umweltschonender: Bei jeder Tonne Käse, die mit «CHY-MAX M» hergestellt wird, werden 100 Kilogramm CO2 eingespart.

Hilfe für Nomaden

Von der Patentierung bis zur Vermarktung des Enzyms vergingen einige Jahre. Seit 2008 ist «CHY MAX M» auf dem Markt erhältlich. Die ersten Abnehmer waren Lebensmittelunternehmen aus Südamerika, es folgten die USA und Europa. Mit China laufen derzeit Verhandlungen. Egal ob italienischer Mozzarella oder englischer Cheddar Cheese – «CHY-MAX M» bewährt sich im internationalen Markt. An der Frankfurter Fachmesse für Lebensmittelhilfsstoffe erhielt «CHY-MAX M» letzten November die Auszeichnung «Dairy Innovation of the Year» für herausragende Qualität und Innovation.

Ein Erfolg, von dem die afrikanischen Nomaden nicht profitieren. Doch Zakaria Farah hat seine ursprüngliche Motivation nicht aus den Augen verloren. In den letzten 20 Jahren hat er in verschiedenen afrikanischen Ländern sowie in der Mongolei ein Netzwerk von Kamelforschern aufgebaut. Diese bekommen das Kamellab-Enzym von ihm und unterrichten die ansässige Bevölkerung, es richtig anzuwenden. Damit die Kamelmilch pasteurisieren kann, ist zum Beispiel ein bestimmter Hygienestandard unerlässlich. Und auch in seinen Zukunftsträumen bleibt Farah seiner Leidenschaft treu: «Irgendwann schreibe ich ein Rezeptbuch für Kamelmilchprodukte.»

Literaturhinweis:

Zakaria Farah, Albert Fischer (eds.): Milk and Meat from the Camel. Handbook on Products and Processing. vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich (2004).