Veröffentlicht: 21.04.10
Science

Messungen untermauern Flugverbot

Vergangenes Wochenende haben Wissenschaftler mit modernster ETH-Messtechnologie direkt in der Aschewolke gemessen, wie stark der Vulkanausbruch auf Island die Atmosphäre belastete. Die Ergebnisse zeigen, dass die Flugsperre richtig war. Inzwischen hat sich der Vulkan beruhigt, doch die veränderte Magma-Zusammensetzung gibt Anlass zu Spekulationen.

Simone Ulmer
Der Eyjafjallajökull am 14. April diesen Jahres. (Bild: Thordis Hognadottir / Institute of Earth Sciences, Nordic Volcanological Center)
Der Eyjafjallajökull am 14. April diesen Jahres. (Bild: Thordis Hognadottir / Institute of Earth Sciences, Nordic Volcanological Center) (Grossbild)

Die Situation im Flugverkehr hat sich entspannt: Nachdem der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull den Flugverkehr für mehrere Tage lahmgelegt hatte, können die Flieger nun wieder starten. Dass die Sperrung des Luftraums für Flugzeuge keine übertriebene Vorsichtsmassnahme war, zeigen nun die ersten Auswertungen von Messdaten, die übers Wochenende vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich mit Hilfe von mit Spezialsonden ausgerüsteten Wetterballons und einem so genannten Aerosol-Lidar gesammelt wurden (siehe ETH Life Artikel vom 19.04.2010). In der Nacht vom 16. auf den 17. April wurden in vier Kilometern Höhe von einer der Sonden pro Kubikmeter Luft etwa 80 Mikrogramm an vulkanischen Partikeln gemessen. Die Partikel hatten einen mittleren Durchmesser von ungefähr 3 Mikrometern. Am Sonntag habe die Konzentration sogar bei bis zu 600 Mikrogramm pro Kubikmeter gelegen. «Das ist eine sehr hohe Partikel-Konzentration», sagt Thomas Peter, Professor am Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich, der die eilig eingeleitete Messkampagne leitete. Zum Vergleich: Über das Jahr gemittelt beträgt die Feinstaubkonzentration in Zürich etwa 50 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Flugverbot war logische Konsequenz

Für Peter ist das Flugverbot die einzige logische Konsequenz: «Für eine wissenschaftlich-technisch fundierte Entscheidung müssten Flugzeugmotoren getestet werden, wie viel an vulkanischen Partikeln sie vertragen. Ohne einen derart ermittelten Grenzwert ist die Gefahr zu gross.»

Peter und seinem Team gelang es, die Konzentration mit Messballons zu messen, die sie vom Institutsdach in die Atmosphäre steigen liessen und die die Aerosolwolke durchdrangen. An den Ballons waren weltweit einzigartige, an der ETH entwickelte, «Rückstreusonden» befestigt, die Licht auf zwei Wellenlängen ausstrahlen. Das Licht wird von den Asche-Glaspartikeln zurückgestreut und von der zigarettenschachtelgrossen Sonde gemessen. Die Analyse des zurückgestreuten Lichtes ermöglicht den Wissenschaftlern, die Anzahldichte und Grösse der Aerosolteilchen abzuschätzen. Das Produkt dieser beiden Zahlen liefert dann die Konzentration der Asche-Glasteilchen in Mikrogramm pro Kubikmeter.

Die abgeleiteten hohen Konzentrationswerte sorgten unter den Wissenschaftskollegen von Peter sofort für Diskussionen. Peter räumt einen Fehler von plus/minus 30 Prozent ein, ist sich ansonsten aber sicher, dass die Messungen und Auswertungen korrekt sind.

Wird sich der Vulkan beruhigen?

Ob das Ganze nur ein Vorspiel war, oder ob durch den Eyjafjallajökull auch der Nachbar-Vulkan Katla aktiv wird, wie das in der Vergangenheit, vor fast 200 Jahren (1821-1823) schon geschehen ist, bleibt abzuwarten. Im Moment gibt es zumindest keine Hinweise darauf. Für die Vulkanologen auf Island und auch für den Petrologen Peter Ulmer, Professor am Institut für Geochemie und Petrologie der ETH Zürich, ist jedoch spannend, dass sich seit Beginn des Ausbruchs im März die Magmazusammensetzung geändert hat. Anfangs förderte der Vulkan aus mindestens zehn Kilometern Tiefe basaltisches Magma in einem eisfreien Bereich an die Oberfläche. Die Eruption wanderte allmählich unter den eisbedeckten Bereich des Vulkans. Da das heisse Magma mit dem Schmelzwasser in Kontakt kam, gab es eine explosive, so genannte phreatomagmatische, Eruption. Der unter Druck stehende Wasserdampf, der sich dabei bildete, schleuderte die aus Glasteilchen bestehende Asche als feinen Staub mehrere Kilometer hoch in die Atmosphäre. Diese besonderen Umstände führten auch dazu, dass der Flugverkehr beeinträchtigt wurde. Seit mit Düsenflugzeugen geflogen wird, gab es keine ähnliche Situation.

Zu der Zeit, als der Vulkan unter dem Gletscher auszubrechen begann, hat sich auch die Magmazusammensetzung des Vulkans verändert. Anstatt basaltischem Magma fördert der Vulkan seit dem 14. April Magmen mit einem höheren Silikat-Anteil. Delikat sei daran, dass Magma, wenn es einen Siliziumgehalt von 56 Gewichtsprozent oder einen Magnesiumanteil von weniger als 4 Gewichtsprozent erreicht, von sich aus explosiv werden kann, ohne dass Wasser von aussen eine Rolle spielt. «Interessant ist, dass die nun beobachtete Magmazusammensetzung auf einer Mischgeraden liegt, die der Magmazusammensetzung des Ausbruchs des Eyjafjallajökull von 1821 und des Katla von 1918 entspricht», sagt Ulmer. Vermutlich habe sich das aus der Tiefe aufsteigende Magma mit «Magmaresten» aus einer höher liegenden Magmakammer der Eruption von 1821 vermischt.

Schlimmstes Szenario

Im Moment gäbe es zwar keinerlei Hinweis darauf, dass der Vulkan von sich aus explosiv werde, betont Ulmer. Aber sollte sich das Magma in diese Richtung entwickeln oder höher gelegene saure Magmenreservoirs des Katla durch aufsteigende Magmen des Eyjafjallajökull aufgeheizt und aktiviert werden, könnte dies zu der gefürchtetsten Eruption führen, die es gibt: Einer plinianischen Eruption.

Bei einer plinianischen Eruption werden Gas, Staub, Asche und Bimsstein Dutzende von Kilometern in die Höhe geschleudert, so dass es zu einem tagelangen Ascheregen kommen kann. Nach einer Weile bricht diese «Eruptionssäule» in sich zusammen, und es folgt ein sogenannt pyroklastischer Strom: Heisse Gase, Aschen und Lavafetzen bewegen sich wie eine Lawine den Berg hinunter. Durch den hohen Gasanteil fliesst dieses Gemisch jedoch deutlich schneller als typische Schnee- und Schlammlawinen. Der Strom kann eine Geschwindigkeit von mehreren hundert Kilometern pro Stunde erreichen und zerstört alles, was ihm in den Weg kommt. Die Eruptionsart ist benannt nach Plinius dem Jüngeren, der 79 n. Chr. den verheerenden Ausbruch des Vesuvs, der Pompeij dem Erdboden gleich machte, in Briefen an den Historiker Tacitus beschrieben hatte. Verglichen mit einer plinianischen Eruption sei die momentane Situation ziemlich harmlos, meint Ulmer.

Bis anhin hat der Vulkan nur etwa 140 Millionen Kubikmeter vulkanische Asche ausgestossen. Das ist ein Zehntel des Ausbruchs des Montserrats-Vulkan (Antillen, 1997) oder ein Hundertstel des Ausbruchs des Pinatubo-Vulkan (Philippinen, 1991), betont Ulmer. Abgesehen von der Gefahr für die Inselbewohner könnte eine plinianische Eruption Wochen und Monate andauern.

Island

Auf Island tritt der Mittelatlantische Rücken an die Oberfläche. Dort bewegen sich die tektonischen Platten Amerikas und Eurasiens mit einer Geschwindigkeit von etwa zwei Zentimetern pro Jahr auseinander. Die Ränder der beiden Platten ziehen sich quer durch die Insel. Hinzu kommt, dass sich unter der Insel ein so genannter Mantelplume befindet, bei dem heisses Material aus dem tiefen Erdmantel zur Erdoberfläche strebt. Das ist vermutlich eine der Ursachen dafür, dass auf Island zu den typischen basaltischen Gesteinen, wie sie am Mittelozeanischen Rücken gefördert werden, auch saurere, silikatreiche Gesteine gebildet werden. Magma tritt deshalb nicht nur als dünnflüssige basaltische Lava an die Oberfläche. Silikatreiches Magma ist zähflüssig und reich an Gasen. Erhitzen sich diese und kommen unter Druck, wird die zähflüssige Masse explosiv zu Tage gefördert. Island weist deshalb ein grosses vulkanisches Spektrum auf: vom einfachen Lavafluss bis hin zur plinianischen Eruption.

 
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