Veröffentlicht: 22.03.10
Hormonaktive Stoffe

Babys nehmen am meisten Bisphenol A auf

Die hormonaktive Substanz Bisphenol A ist in vielen Kunststoffen und Verpackungsmaterialien enthalten. Dadurch kann der Stoff in die Nahrungskette und den menschlichen Organismus gelangen. Wie viel und wer exponiert ist, zeigt eine neue Studie der ETH Zürich: Säuglinge, die Nahrung aus Polycarbonat-Fläschchen erhalten, sind besonders hoch mit dem Stoff belastet.

Simone Ulmer
Kein Kinderspiel: Babys nehmen über die Nahrung aus Plastikfläschchen viel Bisphenol A auf. (Bild: Sean Dreilinger / flickr.com)
Kein Kinderspiel: Babys nehmen über die Nahrung aus Plastikfläschchen viel Bisphenol A auf. (Bild: Sean Dreilinger / flickr.com) (Grossbild)

Bisphenol A (BPA) ist der zentrale Grundbaustein für Polycarbonat-Kunststoffe und Epoxidharze – etwa drei Millionen Tonnen werden weltweit jährlich produziert. Aus PC-Kunststoffen bestehen viele Plastik-Alltagsgegenstände, medizinische Utensilien, Babyflaschen oder Verpackungsmaterialien von Lebensmitteln. Mit Epoxidharzen werden beispielsweise Konserven- und Getränkedosen ausgekleidet oder Trinkwasserleitungen abgedichtet. BPA gelangt deshalb durch den Kontakt der Lebensmittel mit den Verpackungsmaterialien oder Plastik-Behältnissen in den Organismus, aber auch über die Luft, Wasser oder Zahnfüllungen.

Auch in geringen Dosen schädlich

BPA gilt als hormonaktive Substanz, die wie das natürliche Hormon Östrogen und auch als Anti-Androgen wirkt. Der Stoff kann deshalb bereits in geringen Mengen die sexuelle Entwicklung, besonders die der männlichen Föten und Säuglinge, beeinträchtigen. Von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit wurde anhand toxikologischer Studien ein Grenzwert für die täglich tolerierbare Aufnahmemenge an BPA bestimmt. Der Wert liegt derzeit bei 50 Mikrogramm pro Kilogramm Körpergewicht. «Dieser Grenzwert berücksichtigt allerdings nicht die teilweise schwer interpretierbaren Studien zur hormonellen Wirkung von Bisphenol A», sagt Natalie von Götz, Wissenschaftlerin am Institut für Chemie und Bioingenieurwissenschaften.

Von Götz ist Erstautorin einer kürzlich erschienenen Publikation, in der verschiedene Expositionsstudien zu BPA zu einer Expositionsanalyse verknüpft wurden. Ziel war es, repräsentative Mittelwerte der täglichen Aufnahmedosis von BPA pro Kilogramm Körpergewicht für neun Altersgruppen der Schweizer, deutschen und österreichischen Bevölkerung zu berechnen. Hierfür ermittelte das Forscherteam von der Professur Sicherheits- und Umwelttechnik von Konrad Hungerbühler zuerst die Einzeldosen, die von einem bestimmten Produkt aufgenommen wurden. Sie ergaben sich aus der Konzentration von BPA in verschiedenen Nahrungsmitteln und anderen relevanten Quellen. Diese wurden multipliziert mit der vom Menschen aufgenommenen Menge, welche die Forscher aus vorangegangenen Ernährungsstudien ableiteten. Das Produkt wurde schliesslich durch das Körpergewicht des Konsumenten dividiert. Anschliessend summierten die Autoren die Einzeldosen der untersuchten 17 Quellen auf und erhielten so die mittlere tägliche Aufnahmedosis der einzelnen Altersgruppen.

Flaschenkinder besonders gefährdet

Es zeigte sich, dass Säuglinge und Kleinkinder am meisten BPA aufnehmen. Am stärksten sind Säuglinge betroffen, die Nahrung aus PC-Flaschen erhalten. Ihnen werden im Mittel 0,8 Mikrogramm BPA pro Kilogramm Körpergewicht über Fläschchen verabreicht. Diese Menge liegt zwar weit unter dem gesetzlichen Mindestwert. «Jüngste Studien an Ratten zeigen aber, dass sich auch schon geringe Dosen  schädlich auf die Entwicklung der Versuchstiere auswirkten», sagt von Götz. Mit zunehmendem Lebensalter senkt sich die Exposition. Sie ist laut der Studie jedoch auch von der Art der Ernährung oder den Lebensumständen abhängig. Menschen, die sich viel über Konservendosen ernähren, ihr Essen in PC-Behältern in der Mikrowelle erwärmen oder gerade eine neue Zahnfüllung auf der Basis von Kunstharzen erhalten haben, sind vergleichsweise höheren Dosen BPA ausgesetzt.

Im Vergleich zu bisherigen Studien sei neu, dass erstmals untersucht wurde, wie die einzelnen Aufnahmewege von BPA im Verhältnis zueinander stehen, betont von Götz. Die Arbeit zeigte den Wissenschaftlern aber auch, wo noch Forschungsbedarf besteht. Beispielsweise sind Nahrungsmittel aus Konservendosen unterschiedlich stark mit BPA belastet. Ob das an den Dosentypen oder der Verarbeitung liegt, ist nicht klar. Von Götz plädiert deshalb dafür, dass die Industrie ihr Wissen kommuniziert und mehr darüber geforscht wird. Denn wichtig sei es, so die Wissenschaftlerin, die Abgabe des Stoffes an die Nahrungsmittel zu reduzieren; auf die Kunststoffe selbst könne nicht in jedem Fall verzichtet werden, da sie auch grosse Vorteile mit sich brächten. Beispielsweise schützt die Auskleidung der Konservendosen die Dosen und damit auch die Lebensmittel vor Korrosion.

Ein wichtiger Aspekt für von Götz ist, dass bei Ernährungsstudien nicht nur darauf geachtet wird, was die Leute essen, sondern wie die Nahrungsmittel verpackt sind. Eventuell gelte es, noch mehr Forschung in die Produktkette zu setzen, da häufig nicht klar sei, wie letztendlich Stoffe wie BPA in die Nahrungsmittel gelangen.

Bisphenol: Experten streiten über Schädlichkeit

Bisphenol A ist wie die Phthalate (siehe ETH Life Artikel vom 17.09.2009) ein wesentlicher Bestandteil von einigen Kunststoffen. Dass es bei diesen Chemikalien noch einen grossen Forschungsbedarf gibt, zeigt nicht nur die Tatsache, dass die Aufnahmewege häufig nicht bekannt sind, sondern auch, dass manche Wissenschaftler vor derartigen Stoffen warnen, andere hingegen keine Beeinträchtigung für den menschlichen Organismus sehen. Den Auswirkungen von Plastik und der Omnipräsenz des Kunststoffes widmet sich der demnächst in  Schweizer Kinos gezeigte Film «Plastic Planet» von Werner Boote.

Literaturhinweis

Von Götz N et al.: Bisphenol A: How the Most Relevant Exposure Sources Contribute to Total Consumer Exposure. Risk Analysis (2010), 30, 473-487, DOI: 10.1111/j.1539-6924.2009.01345.x

 
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