Veröffentlicht: 20.11.09
Darwin-Dossier

Mit Schnecken auf den Spuren der Evolution

Die Evolution geht weiter. Das zeigt ETH-Wissenschaftler Jukka Jokela mit Hilfe der Neuseeländischen Deckelschnecke. Das winzige Tierchen liefert sich mit seinem Parasiten einen ständigen Wettlauf von Abwehr und Anpassung. Besonders wehrhafte Klone halten den Verfolger auf Abstand. Doch einen dauerhaften Vorsprung bietet nur Sex.

Maja Schaffner
Jukka Jokela mit seinem Forschungsobjekt, der Neuseeländischen Deckelschnecke. (Bild: Maja Schaffner)
Jukka Jokela mit seinem Forschungsobjekt, der Neuseeländischen Deckelschnecke. (Bild: Maja Schaffner) (Grossbild)

Die Neuseeländische Deckelschnecke hat eine Besonderheit. Sie pflanzt sich auf zwei verschiedene Arten fort: Die einen Schnecken tun es ganz gewöhnlich: Männchen begatten Weibchen. Die Nachkommen bekommen Erbgut von Vater und Mutter. Die Anderen, ausschliesslich Weibchen, vermehren sich asexuell, ohne Zutun eines Partners. Sie gebären genetisch identische Klone. Beide Formen leben nebeneinander im gleichen Lebensraum.

Wozu Sex?

Die Frage liegt nahe: Wofür braucht die Art überhaupt Sex, wenn es auch ohne geht? Denn sexuelle Fortpflanzung verursacht durchaus auch «Kosten»: Männchen fressen und beanspruchen Platz, produzieren aber selbst keine Jungen. Und die Weibchen, die sich so fortpflanzen, vererben nur die Hälfte ihres Erbgutes. Klone zu bilden scheint eigentlich der einfachere Weg zu sein, um seine Gene weiterzugeben.

Jukka Jokela, Professor am Institut für Integrative Biologie an der ETH Zürich und Leiter der Abteilung Gewässerökologie an der Eawag, dem Wasserforschungs-Institut des ETH-Bereichs, hat sich ausführlich mit der Frage nach dem Nutzen von Sex beschäftigt. Mit einem Langzeitexperiment konnte er zeigen, dass Parasiten zumindest mitverantwortlich sind dafür, dass es Sex überhaupt gibt und dass er sich halten kann.

Parasit gegen Schnecke

«Zwischen den Parasiten und ihrem Wirt findet ein eigentliches Wettrüsten statt», erklärt Jokela. Die Parasiten attackieren die Wirtsorganismen, in diesem Fall die Schnecken. Die Angegriffenen wehren die Bösewichte ab - sofern ihre genetische Ausstattung das zulässt. Diejenigen, die sich am besten und dauerhaftesten verteidigen, überleben und vermehren sich. Doch der Parasit passt sich an und durchbricht den Schutz. Worauf die Schnecken wieder nachziehen müssen.

Dieser Wettlauf heisst Koevolution. Sex, genauer die ständige Neukombination der Gene bei der sexuellen Fortpflanzung, verschafft der Schnecke dabei einen Vorsprung. Soweit die Theorie, von den Wissenschaftlern Parasitenhypothese genannt.

Parasitenhypothese im Realitäts-Check

Jokela überprüfte diese Hypothese als einer der Ersten in der Realität, an der Neuseeländischen Deckelschnecke. Sie trägt diesen Wettlauf in ihrer Heimat Neuseeland gegen einen Fadenwurm aus. Kann dieser eine Schnecke befallen, sterilisiert er sie und bringt ihren Körper unter seine Kontrolle. «Wäre ich die befallene Schnecke, dann wäre alles vom Hals abwärts nur noch Parasit», verdeutlicht Jokela. «Und der Kopf macht, was der Parasit will», fügt er an. Die Schnecke versorgt nur noch den Parasiten.

Jokela holte über Jahre jedes Frühjahr Hunderte der winzigen Süsswasserschnecken aus verschiedenen Seen in Neuseeland. Mit genetischen Tests bestimmte er, wie gross der Anteil sexueller und asexueller Schnecken an den jeweiligen Sammelorten war und welche Klone dort vorkamen.

Stets neue aufstrebende Klone

Jokela stellte fest, dass über die Jahre immer wieder neue Klone entstehen. Wie genau, sei noch ungeklärt. Das Bemerkenswerte aber: «Einzelne davon vermehren sich eine Zeit lang sehr stark», berichtet er. Danach werden sie plötzlich wieder seltener, kommen irgendwann nur noch vereinzelt vor oder sterben aus.

Indem er die Schnecken gezielt mit Parasiten infizierte, konnte Jokela nachweisen, wieso die Klone so erfolgreich waren: Der Parasit konnte sie nicht befallen. Ein entscheidender Vorteil - doch nicht von Dauer. Denn «ein erfolgreicher Klon bildet beinahe eine Monokultur», führt Jokela aus. Da diese Schnecken alle genetisch identisch sind, unterscheiden sich auch die Gene nicht, mit denen sie den Parasiten abwehren. Was es für diesen einfacher und auch lohnender macht, die Abwehrmechanismen zu durchbrechen. Denn hat er es geschafft, ist er fähig, alle Tiere mit den gleichen Genen zu befallen.

Ganz anders sieht die Sache bei Schnecken aus, die sich mittels Sex fortpflanzen: «Ihr Anteil schwankte zwar über die Jahre, sie starben aber an keinem der Sammelorte aus - trotz aufwändigerer Fortpflanzung», erklärt Jokela.

Die Erklärung: Da kein Nachkomme gleich wie der andere ist, kann der Parasit immer nur einige davon infizieren. Sich an jede einzelne Schnecke anzupassen, ist unmöglich. So überleben immer einige und geben ihre Gene – in immer neuen Kombinationen – an ihre Nachkommen weiter. «Das erklärt, wieso sexuelle Fortpflanzung in Umgebungen mit vielen Parasiten ein Vorteil ist», fasst Jokela zusammen.

Schnelle Evolution

Überrascht hat den Forscher vor allem, wie schnell sich die genetische Zusammensetzung der Schnecken an den einzelnen Standorten ändert. «Ich hatte mit 30 Jahren und mehr gerechnet», konkretisiert er. Schnecke und Parasit passen sich aber offenbar weit schneller an. Denn vom Auftauchen eines besonders wehrhaften Klons bis zur Anpassung des Parasiten dauert es gerade mal fünf bis zehn Jahre. Das ist Evolution im Schnellzugstempo.

Literatur:

Jokela J, Dybdahl MF, Lively CM: The maintenance of sex, clonal dynamics and host-parasite coevolution in a mixed population of sexual and asexual snails. American Naturalist. 2009. Vol. 174: pp. S43-S53. DOI: 10.1086/599080

 
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