Veröffentlicht: 18.11.09
Latsis Symposium

«Darwin hat unser Weltbild revolutioniert»

Kommenden Montag und Dienstag, exakt 150 Jahre nach der Publikation von Darwins «The Origins of Species», kommen an der ETH namhafte Biologen für ein Symposium zusammen. Sebastian Bonhoeffer sagt im Interview, wie er prominente Gäste wie Craig Venter und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard gewinnen konnte und weshalb Darwins Buch bis heute relevant ist.

Samuel Schlaefli
«Die Evolutionstheorie ist für die Biologie ebenso fundamental wie die Gravitationstheorie für die Physik», sagt Sebastian Bonhoeffer, Professor für Theoretische Biologie und Hauptorganisator des Latsis Symposiums.  (Bild: Samuel Schlaefli/ETH Zürich)
«Die Evolutionstheorie ist für die Biologie ebenso fundamental wie die Gravitationstheorie für die Physik», sagt Sebastian Bonhoeffer, Professor für Theoretische Biologie und Hauptorganisator des Latsis Symposiums. (Bild: Samuel Schlaefli/ETH Zürich) (Grossbild)

Sebastian Bonhoeffer, das diesjährige Latsis Symposium wird zu Ehren von Charles Darwins Hauptwerk «The Origin of Species» veranstaltet. Wieso findet dieses exakt 150 Jahre nach dem Publikationstermin statt und nicht an Darwins Geburts- oder Todestag?
Darwin hat der Menschheit mit diesem Buch einen enormen kulturellen und wissenschaftlichen Schatz hinterlassen. Evolution durch natürliche Selektion ist das Naturgesetz, das die belebte von der unbelebten Natur unterscheidet. Es ist nicht nur für die Beschreibung von Tieren und Pflanzen essentiell, sondern bietet heute einen zentralen Ausgangspunkt für eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Fragen – von der Molekularbiologie bis zu den Wirtschaftswissenschaften. Die Evolutionstheorie ist für die Biologie ebenso fundamental wie die Gravitationstheorie für die Physik.

Darwin stellte mit seinem Buch den Glauben an die von Gott erschaffene Kreatur auf den Kopf. Begann damit ein neues wissenschaftliches Zeitalter?
Ja, ich glaube die Wirkung dieses Werks ist mit dem Aufkommen des heliozentrischen Weltbildes von Kopernikus im 18. Jahrhundert vergleichbar. Der Einfluss auf unsere Wahrnehmung und die Erklärung der Natur ist enorm. Damals fand ein fundamentaler Bruch mit dem herkömmlichen Weltbild statt, eine wissenschaftliche Revolution.

Und die damaligen Erkenntnisse haben bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren?
Nein, die im Buch beschriebenen Grundprinzipien gelten heute noch genauso. Natürlich wusste Darwin damals vieles noch nicht, zum Beispiel kannte er die Prinzipien der Vererbung nicht. Aber das Buch überrascht bis heute durch die Tiefgründigkeit der Analyse und den grossen Schatz an gesammelten Daten. Es ist wohl einzigartig als Werk, das sowohl eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst hat und gleichzeitig allgemeinverständlich geschrieben ist.

Können Sie sich noch an Ihre erste Lektüre Darwins erinnern?
Ja, ich war erstaunt, wie gut dieses Werk zu lesen ist. Es besticht durch eine sehr schöne Sprache – eine Sprache, die in heutigen wissenschaftlichen Publikationen so nicht mehr zu finden ist. Die Tatsache, dass Darwin seine Theorie allgemeinverständlich dargestellt hat, war sicherlich mit ein Grund für den unmittelbar durchschlagenden Erfolg von «The Origins of Species».

Sie haben für das diesjährige Latsis-Programm die «Crème de la crème» von Wissenschaftlern versammelt, die sich mit Fragen rund um die Evolution beschäftigen. War es schwierig, Leute wie Craig Venter oder die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard an die ETH zu holen?
Ich war positiv überrascht. Vor eineinhalb Jahren habe ich die ersten Einladungen verschickt und nur eine einzige Absage wegen einer Terminkollision erhalten. Alle anderen haben auf Anhieb zugesagt. Die Meisten waren von der Idee, ein solch hochkarätiges Meeting zu Ehren von Darwins «The origin of species» abzuhalten, sofort begeistert. Viele der Redner kenne ich persönlich, das hat natürlich einiges erleichtert.

Nach welchen Kriterien haben Sie das Programm zusammengestellt?
Es war mir wichtig, in Zürich echte Leuchtturmfiguren zu versammeln. Zudem wollte ich verschiedene Facetten und Anwendungsgebiete der Evolutionstheorie zeigen. Dabei haben die unterschiedlichsten Themen Platz: Karl Stetter zum Beispiel forscht an extremophilen Organismen, die an den entlegensten Orten der Erde vorkommen und unter extremen Bedingungen überleben. Oder Peter und Rosemary Grant werden über die Evolution von Darwin’s Finken berichten.

Robert Lord May of Oxford wird in seinem Referat auf die darwinistischen Dynamiken im Bankensystem eingehen. Ist die aktuelle Finanzkrise mit Darwin erklärbar?
May hat viel epidemiologische Forschung betrieben und die Stabilität von Ökosystemen studiert. Als plötzlich Stabilitätsprobleme in einem ganz anderen Bereich auftraten, wurde er von der Bank of England zur Beratung beigezogen. Das Interesse der Wirtschaft an evolutionären Dynamiken ist im Moment sehr gross. Ich selber wurde für eine Studie im Auftrag des World Economic Forum hinzugezogen. Inwiefern die beiden Systeme Parallelen aufweisen und ob Erkenntnisse aus der Evolutionstheorie wirklich zu einer stabileren Wirtschaft führen können, wird sich in Zukunft zeigen. Ich finde diesen Ansatz auf jeden Fall spannend und bin froh, dass wir das Thema auch auf dem Symposium haben.

Der wohl bekannteste Redner ist Craig Venter, der sich mit der Entschlüsselung des menschlichen, beziehungsweise seines eigenen, Erbguts einen Namen gemacht hat. Venter ist in wissenschaftlichen Kreisen eine umstrittene Persönlichkeit, seinen Vortrag hat er provokativ mit «Taking over evolution» betitelt. Weshalb gerade Venter?
Die Sequenzierung und Entschlüsselung von Genomen hat für die Evolutionsbiologie unglaubliche Perspektiven eröffnet. Niemand steht so sehr für diese neue Ära in der Biologie wie Venter. Er hat die DNA von vielen Organismen sequenziert und reist heute in seinem eigenen Boot durch die Weltmeere, um die genetische Vielfalt der Mikroorganismen im Meer zu untersuchen. Das sind für die evolutionsbiologische Forschung enorm wertvolle Daten.

Nehmen wir an, Sie hätten vor 150 Jahren die Möglichkeit gehabt Charles Darwin kennenzulernen, welche Fragen hätten Sie ihm gestellt?
Ich hätte ihn gebeten, mich auf einem Spaziergang durch die Alpen oder vielleicht auch nur durch seinen Garten zu begleiten. Er hätte sicher stundenlang vor einer einzigen Blume verharren und diese in all ihren Einzelheiten und Funktionen beschreiben können. Ich wäre einfach daneben gestanden und hätte zugehört. Das stelle ich mir unglaublich bereichernd vor.

Sebastian Bonhoeffer ist Professor für Theoretische Biologie an der ETH Zürich und Hauptorganisator des Latsis Symposiums.

Latsis Symposium vom 23. und 24. November 2009

Das kommende Latsis Symposium trägt den Titel «Darwin’s legacy: A symposium in honor of the 150th anniversary of the publication of 'The Origin of Species'» und findet im Rahmen des Darwin-Jahres 2009 in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich statt. Eine Reihe von hochkarätigen Rednern aus der Evolutionsbiologie und verwandten Gebieten werden während zwei Tagen Einblick in ihre Forschungsarbeit geben, darunter die Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard, J. Craig Venter, Rosemary und Peter Grant und Robert Lord May of Oxford. Die Vorträge richten sich nicht nur an Biologen, sondern an ein breites, wissenschaftlich interessiertes Publikum aller Disziplinen. Eine Anmeldung zu den einzelnen Vorträgen ist nicht nötig. Weitere Informationen und das vollständige Programm unter http://www.darwinyear09.ch/index.php?id=72

Ort und Datum:
Montag den 23. und Dienstag den 24.11.2009, ETH Zürich, Auditorium Maximum, Rämistrasse 101
Alle Vorträge vom Montag und Dienstagmorgen können auf dem Campus Science City auf dem Hönggerberg live in Raum E 51 im Gebäude HIT mitverfolgt werden.
Nach der Veranstaltung sind Podcasts auf der Website www.darwinyear09.ch verfügbar.

 
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