Veröffentlicht: 17.09.09
Weichmacher im Essen

Bewusste Ernährung schützt nicht vor Schadstoffen

Phthalate, die Weichmacher von Kunststoffen, gerieten im vergangen Jahrzehnt vermehrt in die Schlagzeilen und wurden beispielsweise mit Missbildungen der männlichen Genitalien, Diabetes, Frühgeburten und Übergewicht in Verbindung gebracht. Dass man ihnen jedoch selbst mit einer gesunden Ernährung nur schwer entrinnen kann, zeigt eine Studie der ETH Zürich.

Simone Ulmer
Was gesund aussieht, kann Umweltchemikalien in sich bergen - auch Frischprodukte sind mit Phthalaten belastet. (Bild: flickr/Book Maiden Zürich)
Was gesund aussieht, kann Umweltchemikalien in sich bergen - auch Frischprodukte sind mit Phthalaten belastet. (Bild: flickr/Book Maiden Zürich)

Kunststoffe sind in unserem Alltag allgegenwärtig. Um sie weich, biegsam, langlebig und schöner zu machen, werden beispielsweise PVC oder synthetisch hergestellter Gummi mit einer organischen Verbindung – einem Ester aus Phthalatsäuren und Alkohol – versetzt, so genannten Phtalaten. Die Kunststoffindustrie setzt davon jährlich rund fünf Millionen Tonnen ein; sie sind in gewöhnlichen Bodenbelägen, Kabeln, Verpackungsmaterialien, aber auch in medizinischen Produkten und Kosmetika enthalten.

Leichtes Spiel

Gerade weil sie allgegenwärtig sind, gelangen sie leicht in die Nahrungskette und über Essen und Trinken in den menschlichen Organismus. Wann und wo dies geschieht, ist nur schwer nachzuprüfen und kaum untersucht. «Denn häufig», sagt Michael Siegrist, Professor am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich, «weiss man gar nicht, an welcher Stelle der Nahrungsproduktion die Phthalate in die Lebensmittel gelangen. Ob sie beispielsweise vom Eimer stammen, in den Oliven geerntet wurden, oder vom Förderband, oder sonst irgendwo aus der Produktionskette.»

Siegrist leitete nun eine Studie des Instituts für Umweltentscheidungen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Chemie- und Bio-Ingenieurwissenschaften der ETH Zürich, die zeigt, dass deshalb bewusste Ernährung kaum die Aufnahme von Phthalaten verhindert. Diejenigen Konsumenten, die sich natürlich und gesund ernähren und bewusst darauf achten, möglichst wenig chemische Zusätze in ihrer Nahrung zu haben, nehmen täglich vermutlich sogar mehr Phthalate zu sich, als solche, die sich überhaupt keine Gedanken über ihre Ernährung machen.

Ziel der Studie war einerseits in Modellen über die Essgewohnheiten von Konsumenten zu zeigen, wie stark sie den Phthalaten ausgesetzt sind. Andererseits untersuchten die Wissenschaftler die Beziehung zwischen dem Interesse des Konsumenten an einer natürlichen und gesunden Ernährung und wie sie Risiken von möglichen Kontaminationen der Nahrungsprodukte, etwa mit Pestiziden oder Phthalaten, wahrnehmen. Die Wissenschaftler stellten in ihrer Studie damit erstmals eine Beziehung zwischen Wahrnehmung des Konsumenten und physikalischer Realität in Bezug auf die Aufnahme von Lebensmitteln her, die mit Phtahalten belastet sind.

In ihrer Studie befragte das Forscherteam in der Deutschschweiz knapp 1200 Personen nach ihren Essgewohnheiten. Um die psychologische Verbindung zu bekommen, mussten die Probanden Angaben zu ihrer Ernährungsweise machen und zu den Risiken, die sie in Nahrungsmitteln sehen. Aus der Auswertung der Befragung ergaben sich vier charakteristische Gruppen: Jene, die sich gesundheitsbewusst ernährt und dabei auch auf Nahrungszusätze setzt im Vergleich zu jener, die sich gesund und natürlich ernährt. Dann gab es die Gruppe, die sich über ihre Ernährung keine Gedanken macht und sich passiv verhält und eine weitere, die besonders viele fett- und zuckerhaltige Lebensmittel sowie Fertigmahlzeiten konsumiert.

Junk Food nicht schlechter als gesunde Produkte

Zur Quantifizierung der von den Probanden über die Nahrung aufgenommenen Phthalat-Mengen nutzten die Forscher bereits vorhandene Daten von Nahrungsmitteln, deren Phthalat-Belastung untersucht wurde. Es zeigte sich, dass die Personen, die sich gesund und natürlich ernähren, am meisten Phthalate zu sich nehmen und jene, die sich in ihren Essgewohnheiten passiv verhalten, am wenigsten Phtalaten ausgesetzt sind. Insgesamt waren die Ergebnisse der beiden ernährungsbewussten Gruppen und der «fettig, süss und Fertignahrungsmittel»-Gruppe ähnlich. Beruhigend scheint jedoch, dass die von der European Food Safety Agency erlassenen unterschiedlichen Toleranzwerte für verschiedenen Weichmacher in der Studie weder überschritten noch annähernd erreicht wurden. Die Forscher räumen jedoch ein, dass dieses Ergebnis mit Vorsicht zu geniessen sei, da nicht alle Nahrungsmittel berücksichtigt werden konnten.

Das Ergebnis scheint nichts destotrotz paradox und bringt auch die Forscher in Erklärungsnot. Maria Dickson-Spillmann, Doktorandin von Siegrist und Erstautorin der Studie, betont, dass es diesbezüglich noch viel Forschungsbedarf gibt. Sie sagt: «Unsere Ergebnisse zeigen, dass auch Konsumenten, die Wert auf gesunde und natürliche Ernährung legen, sich einer Umweltchemikalie wie Phthalat nicht entziehen können. Die Befunde unterstreichen die Wichtigkeit von Lebensmittelkontrollen durch kantonale Laboratorien.» Falsch wäre, den Konsumenten deshalb beispielsweise von frischem Obst oder Gemüse abzuraten und dadurch andere Gesundheitsrisiken herbeizuführen.

In den vergangenen Jahren gab es Studien, die vermuten lassen, dass Phthalate im Menschen ähnlich wirken wie Hormone: Dabei zeigten sich vor allem bei männlichen Nachkommen Missbildungen im Genitalbereich. Weitere, jedoch noch fragliche Zusammenhänge, wurden mit Unfruchtbarkeit und Diabetes bei Männern, Frühgeburten bei Schwangeren und vorzeitigem Brustwachstum bei Mädchen hergestellt. Deshalb wird heute beispielsweise für Baby-Beissringe ohne Phthalate geworben, oder in der Lebensmittelindustrie mit Gummihandschuhen und Verpackungsmaterialien gearbeitet, die kaum Phthalate abgeben oder gar keine enthalten. Durch ihre Omnipräsenz wird es aber kaum gelingen, sie vollständig aus der Nahrungskette zu verbannen.

Literaturhinweis

Dickson-Spillmann M, Siegrist M, Keller C & Wormuth M: Phthalate Exposure Through Food and Consumers‘ Risk Perception of Chemicals in Food, Risk Analysis (2009), 29, 1170-1181, doi:10.1111/j.1539-6924.2009.01233.x