Veröffentlicht: 11.09.09
Bericht aus dem Beringmeer

Leben an Bord eines Forschungsschiffes

Gretta Bartoli ist Postdoc am Departement für Erdwissenschaften der ETH Zürich. Der Schweizer Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung finanzierte ihren zweimonatigen Aufenthalt auf dem neu renovierten Forschungsschiff Joides Resolution (JR) im Beringmeer. Für ETH Life berichtet sie von ihrem Leben an Bord.

Gretta Bartoli
Für die Sedimentologin Gretta Bartoli fremdartige Bohrkerne: Vulkanisches Gestein (Foto: Bill Crawford, Carlos Zarikian).
Für die Sedimentologin Gretta Bartoli fremdartige Bohrkerne: Vulkanisches Gestein (Foto: Bill Crawford, Carlos Zarikian). (Grossbild)

Ich bin schon zum zweiten Mal auf der JR (siehe ETH Life Artikel vom 3.07.2009), und es ist ein schönes Gefühl, wenn sich ein Teil der Besatzung noch an einen erinnert. Beim letzten Mal, im Jahr 2004, führte mich die Reise im Rahmen der Expedition 303 in den Nordatlantik und in die Labradorsee. In der Zwischenzeit erhielt die JR während langer und intensiver Renovierungsarbeiten in Singapur ein «Facelifting». Die Brücke ist jetzt wesentlich grösser und vereinnahmt auf der dritten Ebene das gesamte Deck. An den ersten beiden Tagen an Bord habe ich mich immer wieder verlaufen, da alles neu angeordnet ist: Wenn ich die Kombüse suchte – die jetzt Fenster hat und deshalb nicht mehr so düster wie früher ist - , landete ich immer im Fitnessraum.

Die Unterkünfte wurden insbesondere im Hinblick auf die Lärmdämmung deutlich verbessert. Obwohl ich von Technikern weiss, die sich dennoch über das laute «Kern an Deck! Keeerrrrn an Deck!» mitten in der Nacht beschwerten. Das könnte aber auch ein Albtraum gewesen sein, denn ich habe so etwas nie gehört. Ausserdem gibt es keine Vier-Personen-Kabinen mehr, sondern nur noch Zweier-Kabinen. Da wir in Schichten von 12:00 Uhr bis 00:00 Uhr oder von 00:00 Uhr bis 12:00 Uhr arbeiten, habe ich die Kabine in der Nacht für mich allein, weil meine Zimmergenossin in der Nachtschicht arbeitet. Da ich in der Tagschicht bin, sind mittlerweile sechs Wochen vergangen, seit ich den letzten Sonnenaufgang gesehen habe - aber dafür habe ich schöne Fotos von Sonnenuntergängen.

Begegnungen mit Killerwalen und Seelöwen

In Victoria, Kanada, sind wir in See gestochen und werden Anfang September in Yokohama wieder von Bord gehen. Beim Verlassen des Hafens von Victoria haben wir in der aufgehenden Sonne auf glatter See einige Killerwale gesehen. Alles war so ruhig und schön, dass ich völlig vergass, dass ich möglicherweise seekrank werden könnte.

Wir erreichten das Beringmeer über den so genannten Umnak Pass, einer Meeresstrasse zwischen dem Beringmeer und dem Nordpazifik und hatten gehört, dass wir beim passieren der Meeresstrasse ein wenig Land sehen könnten. Als jemand rief, er habe einen Leuchtturm erblickt, rannten wir raus auf Deck. Aber es herrschte völlige Finsternis! Alles was wir sehen konnten war ein mattes Licht, das in weiter Ferne schimmerte - so viel zu den schönen Landschaften, die wir uns erhofft hatten.

Am nächsten Tag kamen wir an unserem ersten Standort, beim Umnak-Plateau, an. Wir waren gerade draussen und genossen einen Kaffee, als plötzlich jemand schrie. Ein Seelöwe war gerade aus dem Wasser aufgetaucht und war wohl ebenso überrascht über uns wie wir über ihn, so weit weg von der Küste. Wir machten Fotos, während er sich schüchtern mit seinen Flossen durch das Gesicht rieb und schliesslich wieder verschwand.

Später kamen noch Tümmler zu Besuch. Ich war so glücklich, an diesem Ort zu sein und eine Herde von Delphinen zu sehen, die wie Torpedos zwischen den Wellen schwammen - bis ich versuchte, ein Bild zu machen: Die Delphine sind so schnell, dass es mir nicht gelang, sie mit meinem Fotoapparat einzufangen. Frustriert gab ich auf. Schliesslich gelang es jemanden, sie zu filmen.


Bohren und wissenschaftliche Arbeit

Die letzte IODP (Integrated Ocean Drilling Program)-Expedition in das Beringmeer fand 1971 mit der «Glomar Challenger» statt, als das IODP noch DSDP (Deep Sea Drilling Project) hiess. Wir hatten das Glück, dass ein Teilnehmer dieser Expedition mit uns an Bord war: David Scholl, vom Fachbereich Geologie und Geophysik der University of Alaska Fairbanks.

Ich fahre als Sedimentologin mit; das heisst, ich helfe dabei, die Bohrkerne zu beschreiben, Fotos zu machen und sie zu scannen, um die Spektrale Farbreflektion zu messen. Wir entnehmen auch so genannte Smear-Slides von Sediment, die wir unter dem Mikroskop betrachten, um die Mengen an Lehm, Schluff, Sand und biogenen Bestandteilen zu ermitteln.

Die Labors sind wesentlich kleiner als vor der Renovierung, aber besser organisiert und voll mit neuer Technologie. So musste ich mich als Sedimentologin mit einer Reihe neuer Software vertraut machen. Eine davon ist DeckLogik, ein Programm, das uns ermöglicht, Bohrkerne direkt auf dem Bildschirm des Computers zu beschreiben, so dass die Daten sofort in einer Datenbank abgelegt werden - das heisst, wenn es funktioniert.

APC-Kernbohrrekord

Es gibt verschiedene Kernbohrverfahren. Eines von ihnen ist das APC (Advanced Piston Coring). Es schädigt das Sediment am wenigsten und die Bohrkerne bleiben beim Bohrprozess weitgehend unversehrt. Deshalb versuchen wir so lange wie möglich, mit dieser Methode zu bohren. Wenn das Sediment aber zu hart wird, müssen wir auf das XCB-Verfahren (Extended Core Barrel) zurückgreifen. Dabei wird das Sediment im Kernrohr gedreht, so dass die Kerne ein wenig wie Kekse aussehen.

Bei Bohrungen am Bowers Ridge am 30. Juli, kurz vor Mittag, begann das Gerücht die Runde zu machen, «wir könnten den APC-Bohrrekord brechen». Der liegt bei 414,6 Metern Bohrkernlänge und wurde auf der vorangegangenen PEAT-Expedition aufgestellt. Im Falle des Rekords plante unser Staff Scientist Carlos Zarikin vom Integrated Ocean Drilling Programm der Texas A&M University, ein Event daraus zu machen, indem er vorschlug, dass wir alle – Wissenschaftler und Techniker – auf die Bohrplattform gehen sollten, um das zwölf Meter Kernrohr zu halten, für ein Foto für die Nachwelt. Die Spannung in den Labors stieg, und die Leute suchten sich Helme und Sicherheitsschuhe, um Zugang zur Bohrplattform zu bekommen. Als das „Kern an Deck“ ausgerufen wurde, liefen wir nach draussen und warteten auf den Kern, der aber nur etwa 1 m lang zu sein schien. Um den Rekord zu brechen, brauchten wir jedoch 1,10 Meter. Nach sorgfältigem Messen ergab die Gesamtlänge des Kerns 1,30 Meter (einschliesslich Kernfänger), so dass wir den Rekord um 20 cm geschlagen hatten! Trotzdem etwas enttäuscht über den geringen Vorsprung, gingen wir für das Foto auf die Bohrplattform, was normalerweise verboten ist, weil es einer der gefährlichsten Orte auf dem Schiff ist. Zu guter Letzt waren wir alle jedoch sehr aufgeregt: Weitere Bohrungen brachten uns schliesslich den APC-Kernbohrrekord von 458,4 Metern.

Der Bowers Ridge Sockel

Als wir am nächsten Standort am Bowers Ridge bohrten, kam unsere Co-Chefin Christina Ravelo vom Ocean Sciences Department der University of California Santa Cruz vom Laufsteg zurück und sagte: «Wir haben das Grundgestein erreicht.» Das bedeutete, dass wir am Ende der Sedimentsequenz angekommen und auf harten Grund gestossen waren – und das 20 Meter eher, als prognostiziert worden war. Nach einer kurzen Diskussion wurde beschlossen, einige Proben von hartem Felsgestein zu nehmen, um den Sockel des Bowers Ridge zeitlich einordnen zu können.

Warum ist das so wichtig? Erstens, weil wir nicht wissen, wann die JR wieder einmal ins Beringmeer fahren kann. Zweitens weiss niemand, wie Bowers Ridge entstanden ist. Zurzeit gibt es laut David Scholl zwei Hypothesen: Entweder ist Bowers Ridge ein Basaltgestein aus der Kreidezeit, das von Hawaii in das Beringmeer trieb oder es entstand im Eozän im Beringmeer, während sich der Aleuten Rücken bildete. Die Basalte ermöglichen uns vielleicht das Alter zu bestimmen und eine der beiden Hypothesen zu bestätigen.

Als die Basaltstücke und vulkanoklastischen Gesteinsproben auf dem Beschreibungstisch ankamen, musste ich mich aber erst einer neuen Herausforderung stellen – dem Beschreiben von Felsgestein. Darauf war niemand von uns vorbereitet, aber es gelang uns dennoch, unsere Verpflichtung gegenüber der IODP zu erfüllen.

Während wir in den ersten Augusttagen am Abhang des Beringmeers bohren, scheint die Sonne über uns, und wir essen an Deck zu Mittag. Es ist fast schon zu warm, tut aber nach dem monatelangen Nebel richtig gut. Dummerweise funktioniert die Eiscrememaschine nicht. Der Kombüse ist ausserdem der Kaffee ausgegangen und auch meine Schokoladenvorräte sind gefährlich knapp geworden. Es ist Zeit, heimzufahren!

Aus dem Beringmeer

Gretta Bartoli

PS: Weitere Informationen über das IODP gibt es auf der Website des Consortium for Ocean Leadership unter http://www.oceanleadership.org/, und es lohnt sich, bei Facebook nach Joides Resolution zu suchen.