Veröffentlicht: 27.08.09
Fokusprojekt

Fliegende Filmrolle schwebt in den USA

Kino einmal anders: Statt auf der Leinwand werden Filme direkt auf einer Filmrolle gezeigt. Und nicht nur das. Sie zeigt sechs Filme gleichzeitig - und kann fliegen. Dieses ungewöhnliche Flugobjekt konnten ETH-Studenten in Los Angeles präsentieren.

Alexandra von Ascheraden
Reely fliegt mit Hilfe von vier Rotoren. (Bild: ASL/ETH Zürich)
Reely fliegt mit Hilfe von vier Rotoren. (Bild: ASL/ETH Zürich) (Grossbild)

Fünf Maschinenbaustudenten der ETH kehrten kürzlich von einer ungewöhnlichen Reise zurück, die ihnen eine einmalige Chance bot: den Prototyp ihrer fliegenden Filmrolle «Reely» beim amerikanischen Unterhaltungskonzern Disney in Kalifornien zu präsentieren. Noch immer schwärmt Valentin Gresch, Projektleiter der Studentengruppe, vom einwöchigen Aufenthalt. «Für diesen grossen Augenblick haben wir ein Jahr lang hart gearbeitet und weitgehend auf unsere Freizeit verzichtet», sagt er.

Neben Laborbesuchen bei Disney konnten die ETH-Studenten ihre Filmrolle in den zwei Disney-Vergnügungsparks bei Los Angeles testen. «Wir haben die Filmrolle in verschiedenen Teilen der Parks fliegen lassen um herauszufinden, zu welchem Thema sie am besten passen könnte», sagt Gresch. So flog «Reely» zu Testzwecken unter anderem durch die Main Street, eine Einkaufsstrasse des Vergnügungsparks Disneyland.

Die Disney-Verantwortlichen hätten ihre Idee «totally cool» gefunden, weiss Gresch. Denn in ihren Vergnügungsparks verfüge Disney kaum über Fluggeräte wie «Reely». Dennoch könne er nicht sagen, ob die Filmrolle einen Platz respektive eine Funktion in einem der Vergnügungsparks erhalte. «Das Projekt muss zahlreiche Instanzen passieren, ehe es in einen Themenbereich der Parks integriert wird», sagt er.

Begonnen hatte das Projekt damit, dass Disney den ETH-Professor Roland Siegwart vom Institut für Robotik und intelligente Systeme fragte, ob seine Studenten «ein Fluggerät entwickeln können, das Technik und Unterhaltung vereint». Im Rahmen der Fokusprojekte, welche angehende Maschineningenieure im 5. und 6. Semester absolvieren können, nahmen sich fünf ETH-Studenten sowie zwei Elektrotechnik-Studenten der ZHAW vor, ein solch ungewöhnliches Flugobjekt zu konstruieren.

Von Tinkerbell bis zum Flugfernseher

Die ursprünglichen Ideen der Studenten reichten von der «Fee Tinkerbell» aus Peter Pan, die mit schlagenden Flügeln durch Disneyland fliegen sollte, bis hin zu einem fliegenden Fernseher. Letzterer war bald ihr Favorit, der Bildschirm hätte jedoch dem Wind zu viel Angriffsfläche geboten. In einer Kaffeepause kam dem Team schliesslich die Idee mit der Filmrolle, die, in der Luft schwebend, Filme abspielt.

Nach einem sehr intensiven Entwicklungsjahr kann sich das Ergebnis sehen lassen: «Reely» hat im wahrsten Sinn des Wortes abgehoben. Dort, wo ansonsten der Film aufgewickelt ist, haben die Studenten sechs 4,3-Zoll-Displays angebracht. Hinter jedem Bildschirm ist ein Minicomputer montiert, der seine Daten von 4-Gigabyte-Speicherkarten bezieht. Auf zwölf weiteren Frames sind Standbilder zu sehen. Einen ganzen Film könne man so zwar nicht anschauen, es gehe um den Effekt, sagt Gresch.

Quadcopter als Basis

Die Filmrolle fliegt, weil sie im Prinzip ein Helikopter mit vier übers Kreuz angeordneten Rotoren ist. Die Flugrichtung lässt sich bestimmen, indem die Drehzahl der einzelnen Rotoren verändert wird. Die Rotoren haben einen Durchmesser von 25 Zentimeter. Jeder der vier Elektromotoren bezieht 250 Watt Leistung aus einer zentralen Stromversorgung, einer Lithium-Polymer-Batterie, die auch die Bordelektronik sowie die Minicomputer versorgt. «Reely» misst 80 Zentimeter im Durchmesser und wiegt dank einer Sandwichstruktur aus Verbundwerkstoffen nur 1,46 Kilogramm. Den Hauptteil des Gewichts machen Akkus, Rotoren und Displays aus. Die Filmrolle wiegt nur 400 Gramm.

Zurzeit wird die Filmrolle über eine Funkfernsteuerung kontrolliert. Ursprünglich hätte sie jedoch autonom fliegen sollen. Dazu fehlt es dem Bordcomputer zurzeit an Rechenleistung, die Steuerungssoftware müsste noch getestet und allenfalls verbessert werden. Bereits vorbereitet ist ein GPS-Sensor, der nur noch an das Regelungssystem angeschlossen werden müsste.

Das Vergnügen, «Reely» öffentlich fliegen zu sehen, werden übrigens nicht die Amerikaner zuerst haben, sondern das Schweizer Publikum: Am 25. September wird die Filmrolle während der Nacht der Forschung am Ufer des Zürichsees schweben – Kino am See in einem ungewöhnlichen Format.