Veröffentlicht: 21.07.09
Gleitschirmfliegen

Wissen, was am Gleitschirm passiert

Bis heute lässt sich schlecht voraussagen, wie sich ein Gleitschirm im Wind verhält. Mit extraleichten Minicomputern lassen sich für den Flug wesentliche Parameter in Echtzeit messen und dadurch gefährliche Situationen verhindern. Christoph Wartmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH Zürich, hat das neuartige System patentiert, das schon bald auch Seglern beim Trimmen helfen soll.

Alexandra von Ascheraden
Die Aerodynamik beim Gleitschirmfliegen wird bis heute nicht vollständig verstanden. Dank Minicomputern am Schirm können Parameter wie Luftdruck, Deltas zwischen Unter- und Überdruck, sowie Beschleunigung während des Flugs in Echtzeit gemessen werden. (Bild: ZVg)
Die Aerodynamik beim Gleitschirmfliegen wird bis heute nicht vollständig verstanden. Dank Minicomputern am Schirm können Parameter wie Luftdruck, Deltas zwischen Unter- und Überdruck, sowie Beschleunigung während des Flugs in Echtzeit gemessen werden. (Bild: ZVg) (Grossbild)

Eigentlich wollte er nur das Piepsen loswerden. Das Piepsen des Variometers, das dem Gleitschirmpiloten anzeigt, dass er an Höhe gewinnt. «Solche digitalen Töne passen nicht besonders zu einem wunderbaren Naturerlebnis», erzählt Christoph Wartmann, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur für CAAD (Computer Aided Architecture Design) am Institut für Hochbautechnik und leidenschaftlicher Gleitschirmflieger. Ausserdem wollte er nicht nur wissen, wann er an Höhe gewinnt, sondern auch welche Seite des Schirms stärker ansteigt, denn eine bewusste Drehung in diese Richtung würde den Auftrieb verstärken. Wartmann hatte die Idee, seine Forschung an drahtlosen Sensornetzwerken auch fürs Fliegen zu nutzen. Kurzerhand besorgte er Vibrationsmotoren, wie sie in Handys verbreitet sind, und baute sie in die Finger eines Handschuhs ein. Diese reagieren in Intensität und Intervall auf die Daten, die die entwickelten Sensorenknoten in der Gleitschirmkappe liefern.

Wissen, wann der Schirm einklappt

Wartmanns Idee wird zu einem besseren Verständnis der Aerodynamik im Schirm und einer erhöhten Sicherheit während des Flugs beitragen. Wenn nämlich ein Schirm zusammenklappt, braucht der Pilot viel Erfahrung, um einen Absturz zu verhindern. Wann es zu diesem gefährlichen «Klappern» kommt ist noch immer nicht bis ins Letzte erforscht.

Um die Strömungen am Schirm beobachten zu können, griffen die Hersteller bisher zu einer für solch einen technisch komplexen Sport fast archaisch anmutenden Methode: Sie montierten eine Kamera auf den Schirm und befestigten Fäden auf der Oberfläche des Stoffes. Sobald die Luftströmung abriss, stellten sich die Fäden auf, dann wurde es gefährlich, weil der Schirm einklappen konnte. Die Ergebnisse dieser Messungen waren wenig befriedigend, auch weil die schwere Kamera den Schirm eindellte und somit die Ergebnisse ohnehin verfälschte.

Wartmann befestigt statt dessen am Gleitschirm sogenannte Wireless Sensor Nodes, das sind fünf bis acht Gramm schwere Minicomputer. Normalerweise nutzt Wartmann diese, um an Gebäuden den Energieverbrauch zu messen. Warum aber nicht dieselbe Techologie auch fürs Paragliden nutzen? Fünf bis zehn Messpunkte liefern gleichzeitig verschiedenste Daten auf den Handschuh: Luftdruck, Deltas zwischen Unter- und Überdruck, Beschleunigung, Kappeninnendruck, Strömungen innerhalb der Kappe sowie Referenzmessungen an der Oberfläche der Kappe und am Piloten selber. Hinzu kommt ein GPS, um zu dokumentieren, welches Manöver wann durchgeführt wurde.

Endlich Daten in Echtzeit

Eine solche Datenfülle in Echtzeit wird erst durch die leichten Messpunkte möglich. Die Daten werden zur Auswertung auf einer SD-Karte festgehalten, wie man sie auch als Speicherkarte im Handy benutzt. Die Sensornodes sind mit Lithium-Polymer-Akkus bestückt, die bei fünf bis sechs Messungen pro Sekunde gut achteinhalb Stunden Strom liefern. «Jetzt kann man erstmals die exakte Situation im Gleitschirm bei einer Reihe von unterschiedlichen Manövern messen und dies in einer Datenfülle und Genauigkeit, wie es aufgrund des hohen Gewichts von herkömmlichen Messinstrumenten bislang nicht möglich war», erläutert Wartmann. Seit Mai hält die ETH ein weltweites Patent auf dieser Neuentwicklung. Der grösste Schweizer Paragliding-Hersteller, die Thuner Advance Paragliding AG, ist vor kurzem als Kooperationspartner eingestiegen und wird die Technik weiter testen.

Auch für Segler interessant

Auch die Segler werden von den neuartigen Sensorknoten profitieren. «Beim Segel sind die Probleme dieselben», erläutert Wartmann, denn auch hier gälte es, die Aerodynamik zu verstehen. Die bekannten Messinstrumente sind oft zu schwer für den dünnen Stoff. Mit dem «dSail Digitizer Sail Monitoring System» überträgt Wartmann seine Innovation sozusagen vom Himmel aufs Wasser. «Das Segel meldet automatisch, wie es besser getrimmt werden könnte. Dadurch können Segler bei Regatten Höchstgeschwindigkeiten erreichen», sagt Wartmann. Im dSail-System werden Sensoren in Luv und Lee des Segels angebracht, um damit Wind und atmosphärischen Druck zu messen. Diese Daten können in bereits auf dem Boot bestehende Systeme integriert werden, zum Beispiel in Autopiloten, die das Boot nachts auf Kurs halten. Erste Testfahrten hat Wartmann mit der «Grand Surprise» der ETH-Sportorganisation ASVZ auf dem Zürichsee absolviert. Bald wird er seine Sensorknoten auch im Atlantik auf einer Rennyacht testen können. Auf der «Tsu Hang», das steht –­ wie passend – in der chinesischen Sprache für Wind.

 
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