Veröffentlicht: 14.05.09
Weltraumteleskop Herschel

Ein letztes Fenster öffnen

An der ETH wird man den heutigen Start des Herschel-Weltraumteleskops gespannt mitverfolgen: Eine Direktübertragung des Starts und eine «kleine Party» sollen alle, die bisher am Astronomischen Institut der ETH Zürich am Herschel-Projekt beteiligt waren, für einmal wieder zusammenbringen.

Simone Ulmer
Distanzmessungen zwischen primärem und sekundärem Spiegel des Herschel Teleskops. (Bild: ESA)
Distanzmessungen zwischen primärem und sekundärem Spiegel des Herschel Teleskops. (Bild: ESA) (Grossbild)

Was für die Physiker der Large Hadron Collider-Teilchenbeschleuniger ist, ist für die Astronomen das Weltraumteleskop Herschel. Heute soll es endlich so weit sein: Nachdem vor siebenundzwanzig Jahren erste Pläne aufkamen und schliesslich vor elf Jahren mit dem Bau begonnen wurde, wird das Weltraumteleskop startklar sein. Der Countdown läuft, die Tage werden unter den auf den Start hin fiebernden Astronomen bereits seit Wochen herunter gezählt.

Auf der Spur der Fernen Infrarotstrahlung

Ein erfolgreicher Start gibt auch ETH-Wissenschaftlern Grund zum Feiern. An der ETH Zürich wurden nämlich am Institut für Astronomie sowie dem Institut für Feldtheorie und Höchstfrequenz Teile für das Heterodyne Instrument for the Far Infrared (HIFI) entwickelt - eines der insgesamt drei Instrumente, mit denen Herschel bestückt ist. Mit ihm wird die Ferne Infrarot Strahlung gemessen werden.

Mit einem 3,5 Meter durchmessenden Spiegel hat Herschel eine zehnmal grössere Optik als bisherige Spiegel für diese Wellenlänge und ermöglicht eine sieben Mal höhere räumliche und eine 100 Mal höhere spektrale Auflösung, als herkömmliche Teleskope. Damit hat die ESA (European Space Agency) ein Teleskop gebaut, das die nie zuvor von einem Observatorium erforschten Wellenlängen zwischen Infrarot- und Sub-Millimeter-Bereich untersuchen soll.

«Mit Herschel öffnen wir das letzte noch unerforschte Fenster in den messbaren Frequenzbereichen der kosmischen Strahlung», erklärt Arnold Benz, Professor am Institut für Astronomie der ETH Zürich stolz. Das Weltraumobservatorium ist deshalb auch nach dem deutsch-britischen Astronomen Friedrich Wilhelm Herschel benannt, der im Jahr 1800 die Infrarotstrahlung entdeckte. «Das Teleskop ermöglicht uns erstmals Wassermoleküle bei sehr tiefen Temperaturbereichen - bei 10 bis 20 Grad Kelvin - zu beobachten», sagt Benz. Bei solchen Temperaturen sind keine optischen Photonen mehr zu sehen. Solche Bedingungen herrschen dort, wo Sterne und Planeten entstehen, in kalten Wolkenkernen, in denen sich Sauerstoff und Wasserstoff vermutlich um Staubpartikel anlagern und sich durch katalytische Reaktion zu Wasser verbinden.

Dreimonatiger Weg zu optimalen Bedingungen

Um derartige Prozesse beobachten und Theorien verifizieren zu können, braucht es ein Weltraumobservatorium wie Herschel. Denn von der Erde aus ist es nicht möglich, die Ferne Infrarotstrahlung bis in den Sub-Millimeter-Bereich zu beobachten, da der Wasserdampf der Atmosphäre die kosmische Strahlung absorbiert. Hinzu kommt, dass jeder Körper im infraroten Bereich leuchtet und dieses «Hintergrund-Rauschen» möglichst klein gehalten werden muss, damit die Messwerte nicht verfälscht werden. Deshalb muss das Teleskop auf eine Umlaufbahn weit weg von der irdischen Wärmestrahlung gebracht werden. Es wird sein Ziel nach einer dreimonatigen Reise - in der es eine Strecke von etwa 1,5 Millionen Kilometern zurücklegt - am sogenannten Lagrange-Punkt L2 erreicht haben. Dort herrschen optimale Bedingungen für seinen Einsatz: Einerseits ist die Störung durch Infrarot-Strahlung von Erde und Mond minimal und andererseits heben sich die Gravitationskräfte von Sonne und Erde und die Fliehkraft der Bahnbewegung gegenseitig auf, sodass der Satellit keinen Treibstoff braucht.

Das Teleskop muss mit einem Sonnensegel permanent beschattet und die Messelektronik gekühlt werden. Damit sie von der eigenen Wärmestrahlung abgeschirmt ist, werden die Instrumente in eine Art überdimensionalen Thermoskanne eingebracht, in der superflüssiges Helium die Temperaturen - mit etwa einem Grad Kelvin - knapp über dem absoluten Nullpunkt hält.

Auf den Spuren des Universums

Arnold Benz und sein Team werden ihr Hauptaugenmerk auf die Spektrallinien von Wassermolekülen und ihre Verwandten richten. Damit HIFI Spektrallinien aus dem bisher unerforschten Frequenzbereich erfassen kann, funktioniert es zunächst wie ein optisches Teleskop. Dabei fokussiert HIFI mit Spiegeln die Wellen in 7 verschiedenen Wellenbändern auf Mischer, welche die Strahlung wie ein Radioempfänger auf eine viel kleinere Zwischenfrequenz transformieren, wo sie dann elektronisch verstärkt wird.

Der physikalische Zustand des Wasserdampfs lässt sich ermitteln, wenn bei der Beobachtung eines Objektes mindestens drei für das Wassermolekül charakteristische Linien mit starker Intensität identifiziert werden. Wasser sei neben molekularem Wasserstoff (H2) und Kohlenmonoxid (CO) das drittwichtigste Molekül im Universum, erklärt Benz und schwärmt: «Es ist ein spannendes und interessantes Molekül, das von der Erde aus nicht beobachtet werden kann. Herschel bietet uns zum ersten Mal die Chance, den Ursprung seiner Entstehung und seinen Einfluss auf die Planetenbildung nach zu verfolgen».

Die genauere Kenntnis über die Bedeutung des Wassers könnte Hinweis darauf geben, wie es kommt, dass sich beispielsweise massenreiche und massenarme Planeten bilden. Denn bei der Planetenbildung wird dem Wasser ein wichtiger Beitrag bei der Akkretion zugeschrieben: Es bildet einen Eismantel um die Staubkörner und verändert somit deren Koagulationsfähigkeit zu grösseren Körpern. Bei der Sternbildung ist Wasser wichtig für den Energiehaushalt der Sterne, da es die Temperaturen reguliert und die Sterne abkühlen lässt. Herschel könnte auch viele offene Fragen zur Bildung und Entwicklung von Galaxien vom jungen Universum bis heute beantworten helfen.

Arbeit für Jahrzehnte

Während das Teleskop im Einsatz ist, sollen von HIFI etwa 75‘000 Spektrallinien von unterschiedlichen Molekülen erfasst werden. «Wir erwarten, dass wir Spektrallinien finden werden, bei denen es Jahre dauern wird, bis wir sie identifiziert haben. Dabei werden wir viele Überraschungen erleben und sicherlich neue Moleküle entdecken». Deshalb sei es auch nicht so dramatisch, dass nach spätestens vier Jahren der Datenfluss versiegen wird. Denn maximal so lange wird der Helium-Vorrat zur Kühlung des Systems ausreichen. Die bis dahin gesammelten Daten würden aber die Wissenschaft noch über Jahrzehnte hinweg beschäftigen, da ist sich Benz sicher.

Jetzt muss sich der Satellit nur noch erfolgreich auf den Weg machen. Da der genaue Zeitpunkt des Starts – der auch mitten in der Nacht sein könnte - nicht vorhergesagt werden kann, kann man auf der Webseite des Institut für Astronomie den aktuellen Stand der Startvorbereitungen abrufen.

 
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