Veröffentlicht: 05.02.09
Projekt Citius

Vom Schnellsein zum schnell und sportlich sein

An der ETH Zürich wird derzeit zusammen mit dem Schweizer Bobverband und Partnern aus der Industrie an den Olympia-Bobs für die Olympischen Winterspiele 2010 gebaut. Olympiasieger Gottfried Diener vom 4er-Bob von 1956 erzählt warum Geld früher mehr zählte als Sportsgeist, weshalb üben auf Gras keinen Erfolg bringt und warum die Schweizer Bobfahrer das Anschieben erfunden haben.

Simone Ulmer
Die Olympiasieger von Cortina d‘ Ampezzo im 4er-Bob 1956: Heiri Angst, Robert Alt, Gottfried Diener und Franz Kapus.
Die Olympiasieger von Cortina d‘ Ampezzo im 4er-Bob 1956: Heiri Angst, Robert Alt, Gottfried Diener und Franz Kapus. (Grossbild)

Gottfried Diener ist der älteste noch lebende Bob-Olympiasieger der Schweiz. Seine Karriere als Bobfahrer dauerte von 1951 bis 1956 zwar nur fünf Jahre, aber in dieser Zeit hat der heute zweiundachtzigjährige das Bobfahren massgeblich beeinflusst. 1956 - auf dem Höhepunkt und Ende seiner Karriere als Bobfahrer - gewann er zusammen mit Franz Kapus, Robert Alt und Heinrich Angst die Goldmedaille im 4er-Bob bei den Olympischen Spielen im italienischen Cortina d‘ Ampezzo. Bereits 1954 wurde er in Cortina, und 1955 in St. Moritz, Weltmeister.

Nur der Steuermann wurde beim Namen genannt

Wie Diener zum Bobfahren gekommen ist, ist eher eine etwas verworrene Geschichte, geprägt von einer Epoche des Bobfahrens, die sich in jenen Jahren grundlegend änderte. Heute noch empört darüber, dass „nur der Steuermann zählte“, zeigt er Nominierungslisten aus jener Zeit, in denen nur die Namen der Steuermänner der Bobs aufgelistet sind. Als Allroundtalent im Schiessen mit dem Gewehr, der Pistole und viel später auch mit der Armbrust sowie als erfolgreicher Nationalturner und als Ringer, traf der Athlet Anfang der 1950iger Jahre auf den Nationalturner und Bob-Fahrer Heinrich Angst, durch den er zum Bob-Fahren kam.

Zuvor hatte ihn bereits Fritz Feierabend, zur damaligen Zeit weltbekannter Bob-Bauer und Bob-Steuermann aus Engelberg, angefragt, ob Diener nicht Interesse hätte in seinem Team mitzufahren. Mit 2000 Schweizer Franken sei er dabei. «Damals zählte nicht Sportlichkeit, sondern das Geld», sagt Gottfried Diener. Ein Bob kostete 6000 Schweizer Franken. Feierabend baute für jede Saison etwa sechzehn 2er- und 4er-Bobs. Die Käufer seien aus der ganzen Welt gekommen, da nur Feierabend-Bobs gewonnen hätten, erzählt Diener. Man spricht heute gar von der «Feierabend-Dynastie».

Der Sport fehlte beim Bob-Fahren

Die Mitfahrer trugen die Konstruktionskosten und wurden deshalb vom Steuermann nicht anhand sportlicher Kriterien ausgewählt, sondern nach ihrer Liquidität, erzählt Diener. Diener stellte an Feierabend damals die Bedingung, dass er die Mannschaft aussuchen dürfe und dass diese körperlich trainiert werden müsse. «Denn so wie das Bobfahren damals betrieben wurde, war das für mich eine völlig unsportliche Angelegenheit», erklärt Diener. Der Steuermann sass am Steuer und nur der letzte schubste den Bob an. Alle anderen sassen von Anfang an im Bob und sollten einfach möglichst schwer sein, damit der Bob schnell ist.

Feierabend und Diener wurden sich damals nicht einig und Diener tat sich mit Kapus, Alt und Angst zusammen. Erst bei der Weltmeisterschaft in Cortina d‘ Ampezzo 1954 fuhren die beiden gemeinsam in einem Bob, da zuvor der Steuermann, von der Mannschaft zu der Diener gehörte, Franz Kapus, ausgefallen war und Feierabend ihn kurzerhand ersetzte. Prompt holte sich das ad hoc gebildete Team den Weltmeistertitel.

Trockenübungen auf Gras und Schienen

Als Diener 1951 in den Bob-Sport einstieg, trainierte er die Mannschaft. Er und der Bob-Bremser des Teams, Heinrich Angst, kannten sich beide vom Ringen und wollten, dass das Team sportlich durchtrainiert ist. Körperliche Ertüchtigungen an der Sprossenwand bis hin zu Flugrollen über den Bob gehörten zum Trainingsprogramm. Zudem wollten die Sportler auch im Sommer trainieren, mussten aber rasch feststellen, dass die Bedingungen mit einem Bob auf Rollen an einem Grashang nicht vergleichbar mit einer Eisbahn waren. Sie bauten deshalb Schienen, auf denen der Bob rollte. «Wir waren die ersten Bobfahrer die sportlich trainierten und auch im Sommer den Start auf den Schienen für die Wintersaison übten», erzählt Diener. Hinzu kam, dass sie als erste ein Element einführten, was heute als selbstverständlich das Bild vom Bobfahren prägt, nämlich dass alle Fahrer mit Anlauf nehmen mussten. Feierabend war damals noch der grosse Bob-Bauer. Jede Mannschaft baute sich den Bob jedoch entsprechend ihrer Bedürfnisse, etwa der Grösse der Fahrer, um. Pedalabstand und Länge der Seilsteuerung mussten angepasst werden. Da bei Dieners Team alle Anlauf nehmen mussten, mussten Bügel am Fahrgestell angebracht werden, damit die Piloten sich in den beschleunigten Bob hinein schwingen konnten.

«Gewinnen konnten wir trotzdem»

Aber nicht nur die neue Einstellung zum Bobfahren, vorgelebt von Diener und seinem Team, veränderten den gesamten Bob-Sport. Bei den Olympischen Spielen 1952 in Oslo brachte die damalige deutsche Mannschaft derart viel Gewicht auf die Waage, dass die anderen Teams keine Chance hatten. Erstmals kam es daraufhin in den Folgewettkämpfen, ab 1953, zu einer Gewichtsregulierung. «In Folge der Vorgaben stellte man plötzlich fest, dass nicht nur das Gewicht für einen Sieg wichtig ist», sagt Diener.

Erstaunt verfolgt er das Projekt CITIUS, bei dem unter Zusammenarbeit der ETH Zürich mit dem Schweizer Bobverband und der Industrie die Bobs für die Olympischen Spiele in Vancouver 2010 gebaut werden: «Es ist beeindruckend wie viele Menschen an diesem Projekt arbeiten, wenn ich das mit unseren Bedingungen von damals vergleiche», sagt Diener. Mit verschmitztem Lächeln fügt er hinzu: «Gewinnen konnten wir trotzdem».

Heute ist aus dem Bob-Bauen eine Wissenschaft geworden. Im Rahmen vorgegebener Bedingungen versucht man die massgeblichen Knackpunkte am Chassis zu optimieren. Bestes Kufen-Gleiten und ein optimales aerodynamisches Verhalten des Bobs sowie eine guttrainierte Mannschaft sind ein Muss.

Vom Rodelschlitten zum Bobsleigh

Ende des 19. Jahrhunderts verbanden junge Briten in St. Moritz zwei Rodelschlitten mit einem Brett, wobei der vorderste der beiden Schlitten drehbar und durch zwei Stricke lenkbar war. Sie tauften ihr Gefährt „Bobsleigh“ und fuhren damit die Strasse von St. Moritz nach Celerina hinunter.1888 wurde in der Schmiedemeister-Werkstatt Matthys in St. Moritz der erste „echte“ Bob gebaut. Aus der Doppelrodler-Konstruktion wurde ein Schlitten, der aus Stahl konstruiert wurde. Er bestand aus den Kufen und einer Sitzfläche für die Fahrer. Später stieg die Familie Feierabend aus Engelberg in den Bobbau ein und prägte diesen über Jahrzehnte massgeblich. Anfangs noch ohne Gehäuse und mit Rundkufen aus Stahlrohren entwickelten sich nach und nach die heutigen modernen Bobs.Der St. Moritz Bobclub ist der älteste Bob-Club der Welt, dort wurde auch 1903 die erste Bob-Bahn eröffnet, gefolgt von Davos, Engelberg und Pontresina.