Veröffentlicht: 09.01.09
Metallforschung

Mehr Sicherheit beim Sportklettern

Wie sicher sind Karabinerhaken, die beim Klettern eingesetzt werden? Dieser Frage ist ETH-Materialwissenschaftler Thomas Schambron nachgegangen, indem er sowohl statische wie auch, als Novum, dynamische Belastungstests durchgeführt hat. Fazit: Rein statische Versuche werden den komplexen Kräften, die aufs Material einwirken, nicht gerecht.

Beat Grossrieder
Das A und O der Sicherung am Berg: Karabinerhaken sollten möglichst leicht sein und doch grössten Belastungen standhalten.
Das A und O der Sicherung am Berg: Karabinerhaken sollten möglichst leicht sein und doch grössten Belastungen standhalten. (Grossbild)

Jeder Sportkletterer kennt das Dilemma: Um mit so wenig Ballast wie nötig in die Wand zu steigen, packt man möglichst leichte Karabinerhaken aus Aluminium in den Rucksack – wohlwissend, dass die schwereren Haken aus Stahl eigentlich mehr Sicherheit bieten würden. Der «ideale» Kletterkarabiner sollte möglichst leicht, möglichst stabil und einfach zu bedienen sein, sich aber nicht unbeabsichtigt öffnen.

Nur gibt es bis jetzt noch keinen Karabiner, der alle Voraussetzungen erfüllt. Deshalb werden beim Klettern unterschiedliche Arten von Karabinern verwendet; jede Karabinerform stellt dabei einen Kompromiss zwischen Gewicht, Festigkeit, Sicherheit und einfacher Bedienung dar. Aber: Karabiner ohne Verschlusssicherung lassen sich zwar leichter bedienen, können sich aber auch leichter unbeabsichtigt öffnen. Karabiner mit Verschlusssicherung beugen einem unbeabsichtigten Öffnen vor, sind aber umständlicher zu bedienen.

Statische versus dynamische Festigkeit

«Im Bergsport sind Kletterkarabiner ein wesentlicher Bestandteil der Sicherungskette. Sie bilden die Verbindung zwischen Ankerpunkten an der Felswand und dem Kletterseil. Falls der Kletterer stürzt, sind sie dynamischen Lasten in der Grössenordnung von 5 bis 15 Kilonewton kN ausgesetzt, was 0.5 bis 1.5 Tonnen entspricht», sagt Thomas Schambron, diplomierter Materialwissenschaftler ETH und heute Mitarbeiter von BlueScope Steel in Australien. Unter der Leitung von Peter J. Uggowitzer, Professor am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich, hat Thomas Schambron eine Testreihe mit verschiedenen Karabinerhaken durchgeführt, um deren Festigkeit zu prüfen; die Ergebnisse werden demnächst im Journal of Sports Engineering veröffentlicht.

Die internationale EN Norm für Kletterkarabiner verlangt eine Mindestbruchlast von 20 kN. Dieser Wert muss jedoch lediglich in einem statischen Zugversuch nachgewiesen werden. In einem solchen Versuch wird die Last deutlich langsamer aufgebracht, als dies bei einem Sturz der Fall wäre, bei dem dynamische Kräfte wirken. Bislang war noch unerforscht, wie sich diese statische Festigkeit gegenüber der dynamischen Festigkeit verhält. Thomas Schambron hat nun diese Werte zum ersten Mal verglichen und hat zudem untersucht, wie sich mechanischer Verschleiss auf die Festigkeit von Karabiner auswirkt. «Angesichts der rasant steigenden Popularität des Klettersports in den letzten Jahren ist diese Frage von wesentlicher Bedeutung», meint Schambron.

Verschärfung der Test-Norm?

Konkret hat der Materialwissenschaftler zwei verschiedene Karabinermodelle untersucht - stellvertretend für die vielen im Handel erhältlichen Varianten. Bei den Testmodellen hat er Abnutzungen simuliert, wie sie in der Praxis vorkommen können, etwa einen Seilabrieb, der den Querschnitt der Haken um bis zu 60 Prozent reduziert. Bestandteil des Tests war es auch, die Karabiner statisch und dynamisch zu Bruch zu bringen. Dabei führte Schambron die statischen Versuche gemäss der EN Norm durch, wogegen er für die dynamischen Tests eine Sturzanlage eines grossen Seilherstellers verwendete.

Die dynamischen Tests führten zu deutlich tieferen Bruchlasten als die statischen Tests; die Differenz betrug 25 bis 50 Prozent. «Dieses Ergebnis war in diesem Masse völlig unerwartet und wurde zum ersten Mal beobachtet», kommentiert Thomas Schambron. «Die routinemässige Durchführung von dynamischen Tests sollte deshalb bei der Entwicklung von neuen Karabinern in Betracht gezogen und unter Umständen in der EN Norm vorgeschrieben werden», folgert der Wissenschaftler. Denn ein bloss statischer Zugversuch überschätze die in der Praxis massgebende Festigkeit von Kletterkarabiner deutlich.

Vorsicht bei geöffnetem Schnapper

Bei der Analyse der Abnutzungen traten ebenfalls überraschende Resultate an den Tag: Leichte bis mässige Verletzungen des Karabiners wie Kerben oder Abrieb führten zu keiner wesentlichen Abnahme der Bruchlast. Der gefährdete Querschnitt befindet sich im Schnapper oder im Übergang vom unteren Radius in den Steg; bei normalem Gebrauch weisen diese Stellen jedoch kaum je eine Schädigung auf. «Alte oder leicht beschädigte Karabiner können also weiterhin eingesetzt werden», beruhigt Thomas Schambron.

Die statischen und dynamischen Tests lieferten ähnliche Bruchlasten bei offenem Karabiner, jedoch deutliche Unterschiede bei geschlossenem. Die Festigkeit bei offenem Schnapper ist wesentlich geringer als die Festigkeit bei geschlossenem Schnapper. Aus diesem Grund können Karabiner mit offenem Schnapper schon bei relativ geringer Belastung brechen. Ein solcher Fall kann eintreten, wenn der Karabiner genau in dem Moment belastet wird, in dem er an einem Felsen anschlägt. Dabei kann sich der Schnapper durch seine Trägheit für einen kurzen Augenblick öffnen.

Die objektiv grösste Gefahr eines Karabinerversagens liegt also beim unerwünschten Öffnen eines Schnappers vor. Deshalb empfiehlt Schambron, Karabiner mit Stahldrahtschnapper zu verwenden; diese sind leichter als herkömmliche Schnapper und bleiben deshalb bei einem Aufschlag geschlossen. Zwar können auch Drahtschnapper durch kleine Felsvorsprünge aufgedrückt werden, falls der Bohrhaken ungünstig platziert ist, jedoch öffnen sie sich nicht aufgrund von Vibrationen oder durchs Aufschlagen des Karabiners an den Fels. Eine noch höhere Sicherheit lässt sich durch Redundanz erreichen, etwa indem an gefährdeten Stellen mehrere Haken gleichzeitig platziert oder Schraubkarabiner eingesetzt werden. Vorsicht geboten ist auch auf Gletschern oder beim Klettern im Granit, wo feiner Sand vorkommt. Diese Partikel beschleunigen die Abnutzung der Karabinerhaken, weshalb vielbenutzte Karabiner wie Umlenkungen in Klettergärten und Kletterhallen aus Stahl sein sollten und von den Betreibern regelmässig auf Abrieb und Funktionieren des Schnappers geprüft werden müssen.

Das ABC der Kletterkarabiner

Moderne Kletterkarabiner bestehen aus Aluminiumlegierungen. Karabiner aus Stahl sind stabiler, aber schwerer, und deshalb unüblich. Sie werden aber zum Beispiel in der Bergrettung eingesetzt. Die Festigkeit von Karabinern wird in Kilonewton (kN) angegeben; ein Kilonewton entspricht etwa der Gewichtskraft von 100 Kilogramm. Auf jedem Karabiner muss die Festigkeit für drei Belastungsarten angegeben werden: Belastung in Längsrichtung, in Querrichtung sowie in Längsrichtung bei offenem Schnapper.
Der Normalkarabiner Typ B (basic) hat eine Mindestbruchkraft von 20 kN in Längsrichtung, 7 kN in Querrichtung und 7 kN bei offenem Schnapper. Wenn ein Normalkarabiner bei einem Sturz mit offenem Schnapper oder quer belastet wird, können Kräfte von mehr als 7 kN auftreten. Der Karabiner kann also brechen, obwohl er den Anforderungen der Norm entspricht. Es empfiehlt sich, Karabiner mit einer Mindestbruchkraft von 10 kN bei offenem Schnapper zu verwenden. Normalkarabiner sind auch mit Verschlusssicherung erhältlich, üblicher ist aber die Version ohne Verschlusssicherung.

Literaturhinweis:

Schambron T & Uggowitzer PJ. Effects of wear on static and dynamic failure loads of aluminium-based alloy climbing karabiners. Sports Eng. Published online: 13 November 2008.

 
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