Warum Cannabis Entzündungen hemmt
Cannabis wird seit langem eine entzündungshemmende Wirkung zugeschrieben. ETH-Forscher haben nun entdeckt, dass dafür nicht nur die bekannten psychoaktiven Substanzen verantwortlich sind. Eine entscheidende Rolle spielt auch eine Verbindung, die wir täglich über die pflanzliche Nahrung einnehmen.

Cannabis sativa L. wird von vielen nicht nur wegen seiner berauschenden Wirkung geschätzt, sondern seit langem auch als Medizinalpflanze genutzt. Obwohl man das Gewächs schon seit Jahren intensiv untersucht, findet man immer wieder neue überraschende Aspekte. So haben Forscher der ETH Zürich und der Universität Bonn eine bisher wenig beachtete Komponente im ätherischen Öl dieser Pflanze genauer untersucht und dabei bemerkenswerte pharmakologische Effekte festgestellt. Wie die Autoren der Studie in der jüngsten Ausgabe der renommierten Wissenschaftszeitschrift PNAS schreiben, eröffnen die Erkenntnisse insbesondere für die Prävention und Behandlung von Entzündungen interessante Perspektiven.
Völlig andere Molekülstruktur
In der Hanfpflanze finden sich über 450
verschiedene Substanzen. Nur drei von ihnen sind für die Rauschwirkung von
Marihuana und Haschisch verantwortlich. Sie aktivieren im Körper die beiden
Rezeptoren CB1 und CB2. Während der CB1-Rezeptor im Zentralnervensystem die
Wahrnehmung beeinflusst, spielt der CB2-Rezeptor im Gewebe eine entscheidende
Rolle bei der Unterdrückung von Entzündungen. Wird der Rezeptor aktiviert,
schüttet die Zelle weniger entzündungsfördernde Signalstoffe, sogenannte
Zytokine, aus.
Die Wissenschaftler entdeckten nun,
dass die Substanz beta-Carophyllen, welche 12 bis 35 Prozent des ätherischen
Öls der Cannabispflanze ausmacht, selektiv den CB2-Rezeptor aktiviert. Im
Gegensatz zu den drei psychoaktiven Substanzen dockt beta-Carophyllen jedoch
nicht an den CB1-Rezeptor an. Deshalb löst die Substanz auch keine Rauschwirkung
aus. „Auf Grund der vielfältigen Wirkungen von Cannabis vermutete man schon
seit längerem, dass neben den psychoaktiven Stoffen noch andere Substanzen eine
Rolle spielen“, erklärt Jürg Gertsch vom Institut für Pharmazeutische
Wissenschaften der ETH Zürich. „Doch bislang wusste man erstaunlicherweise
nicht, um welche Substanz es sich genau handelt.“ Bemerkenswert findet Gertsch,
dass beta-Carophyllen eine ganz andere Molekülstruktur besitzt als die
klassischen Cannabinoide. „Vermutlich erkannte man aus diesem Grund bisher
nicht, dass diese Substanz den CB2-Rezeptor ebenfalls aktivieren kann.“
Die Wissenschaftler konnten den
Nachweis, dass beta-Carophyllen an den CB2-Rezeptor bindet, nicht nur in vitro
erbringen, sondern auch im Tierversuch. Sie behandelten Mäuse, die unter einer
entzündlichen Schwellung an den Pfoten litten, mit oral verabreichten Dosen der
Substanz. Dabei zeigte sich, dass bei bis zu 70 Prozent der Tiere die
Schwellung zurückging, selbst bei tiefen Dosen. Bei Mäusen, bei denen das Gen
für den CB2-Rezeptor fehlte, zeigte die Substanz jedoch keine Wirkung.
Weit verbreitete Substanz
Die Resultate sind vielversprechend in Hinblick auf die Prävention oder Behandlung von Erkrankungen, in denen der CB2-Rezeptor eine positive Rolle spielt. Allerdings stehe man diesbezüglich erst am Anfang, erklärt Gertsch. „Wir wissen noch nicht, wie beta-Carophyllen vom menschlichen Körper genau aufgenommen wird und ob in Menschen therapeutische Blutspiegel erreicht werden.“ Trotzdem: Der Wissenschaftler könnte sich vorstellen, dass die Verbindung dereinst nicht nur helfen wird, gewisse Formen von Entzündungen zu heilen, sondern dass sie auch die Behandlung von chronischen Krankheiten wie Leberzirrhose, Morbus Crohn, Osteoarthritis und Arteriosklerose unterstützen könnte. Bei all diesen Krankheiten spielen der CB2-Rezeptor und das damit verbundene Endocannabinoid-System eine wichtige Funktion. Besonders attraktiv ist, dass beta-Carophyllen nicht nur in Cannabis, sondern allgemein in Pflanzen sehr häufig vorkommt und wir diese Substanz täglich über die Nahrung einnehmen. Die nicht-toxische Verbindung, die übrigens schon seit Jahren als Zusatz in Lebensmitteln und Kosmetikprodukten eingesetzt wird, findet man beispielsweise in Gewürzpflanzen wie Oregano, Basilikum, Zimt und schwarzem Pfeffer. „Ob wir mit unserer Studie einen neuen Link zwischen der pflanzlichen Ernährung und der Verhütung sogenannter Lifestyle-Erkrankungen gefunden haben, wird sich in künftigen Studien zeigen“, ergänzt Gertsch.
Literaturhinweis
Gertsch, J et al.: Beta-caryophyllene is a dietary cannabinoid. Published online on June 23, 2008, Proc. Natl. Acad. Sci. USA, doi: 10.1073/pnas.0803601105
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