Veröffentlicht: 13.06.08
Kohlendioxid und Meeresversauerung

Zu wenig Kalk für Korallen

Durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern gelangt immer mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre und heizt das Klima an. Doch das Gas löst sich auch im Meer und senkt den Säuregrad des Wassers. Was dies für das Ökosystem Ozean bedeutet, untersucht nun ein grossangelegtes EU-Forschungsprojekt mit ETH-Beteiligung.

Peter Rüegg
Gephyrocapsa oceanica, eine Kalkalge, könnte zu den Leidtragenden der Meeresansäuerung gehören. (Bild: wikipedia)
Gephyrocapsa oceanica, eine Kalkalge, könnte zu den Leidtragenden der Meeresansäuerung gehören. (Bild: wikipedia) (Grossbild)

Das Meer hat der Menschheit bis anhin einen grossen Gefallen getan. Ein Drittel des ausgestossenen Kohlendioxids ist in den letzten 200 Jahren in den unendlichen Tiefen der Ozeane verschwunden und wurde damit der Atmosphäre entzogen. Der Klimawandel und Erwärmung hätte sich wohl schneller vollzogen, hätte sich nicht ein Teil des zusätzlichen CO2 im Meerwasser gelöst.

Einsetzende Ansäuerung verändert Chemie

Nun droht den Ozeanen, die noch immer rund ein Drittel des vom Menschen verursachten Kohlendioxids schlucken, eine Ansäuerung. Der pH-Wert des Meerwassers lag in den letzten 10'000 Jahren bei ungefähr 8,1, also im leicht basischen Bereich. Seit der Industrialisierung und der zunehmenden Freisetzung von CO2 ist er weltweit um den Wert 0,1 gesunken. Bis Ende des 21. Jahrhunderts soll gemäss Modellen der Säuregrad des Meerwassers auf 7,7 abnehmen. Ein solch tiefer pH-Wert des Meerwassers ist in den letzten 400'000 Jahren, möglicherweise sogar seit 20 Millionen Jahren, nicht mehr vorgekommen.

Für zahlreiche Lebewesen, die Kalkschalen oder –skelette bilden, kann dieses saurere Meerwasser zum Problem werden. "Wenn zu wenig Carbonat im Wasser vorhanden ist, so wird das für kalkschalen bildende Organismen problematisch", sagt Gian-Kasper Plattner, Oberassistent am Institut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik.

Korallen ohne Kalkskelett

Carbonat entsteht in einer Gleichgewichtsreaktion mit dem natürlich im Meerwasser vorhandenen CO2. Durch den steigenden Eintrag von CO2 in die Ozeane ändert sich dieses Gleichgewicht. Carbonat wird "verbraucht" – und fehlt dann den Korallen, Meeresschnecken oder Zooplankton-Organismen, die dieses für den Bau ihrer Kalkschalen oder –skelette benötigen. Das zeigt ein Experiment von israelischen Wissenschaftlern, die Korallen künstlich angesäuertem Wasser mit einem pH-Wert von 7,3 bis 7,6 aussetzten. Diese Säuregrade könnten erreicht werden, falls sich der Gehalt von CO2 in der Atmosphäre verfünffacht. Nach einem Monat in diesem saureren Wasser begannen sich die Kalkschalen von den Korallen abzulösen und verschwanden mit der Zeit vollständig. Die Korallenpolypen, die Weichteile sozusagen, überlebten jedoch auch ohne Kalk.

Grössere Untersättigungszonen

Mit Sorge beobachten Forscher wie Gian-Kasper Plattner, dass sich die Zonen von Carbonat-Untersättigungen in den Weltmeeren immer weiter ausdehnen. In der Regel sind die oberen Wasserschichten übersättigt, das heisst Kalk (Calciumcarbonat) wird ausgefällt, die tieferen Wasserschichten hingegen sind untersättigt. Diese Trennschicht wird unter anderem durch den Säuregrad bestimmt.
Die Trennschicht hat sich im Lauf der letzten 200 Jahre nach oben verschoben. Im Nord-Pazifik beispielsweise um etwa hundert Meter von rund 500 Meter Tiefe auf 400 Meter. Stellenweise ist dieser Effekt der Untersättigung auch schon in der Nähe der Oberfläche zu beobachten, zum Beispiel in Auftriebsgebieten vor der Küste Nordamerikas. Eine Kalk-Untersättigung stellt sich zudem in kalten Meeren rund um die Pole schneller ein als in tropischen warmen Ozeanen.

Weitere Modelle deuten darauf hin, dass sich bei weiter steigenden atmosphärischen CO2-Konzentrationen bis zum Jahr 2100 die Trennschicht hin zur Wasseroberfläche verschiebt. Stärker betroffen sind kalte Meere, die gemäss diesen Prognosen rascher untersättigt sein werden.

Neues Gleichgewicht?

"Der Schwellenwert von Unter- zu Übersättigung ist geochemisch zu verstehen, nicht biologisch", betont Plattner. Ob ein Lebewesen unter der Kalk-Untersättigung leidet oder nicht, unterscheidet sich nicht nur von Art zu Art, sondern sogar innerhalb der gleichen Art. Der Carbonatmangel werde deshalb nicht jedes Kalkschalen bildende Lebewesen gleich betreffen, sagt er.

Möglich sei, dass sich das ökologische Gleichgewicht in Zukunft von kalkbildenden Organismen zu einer anderen Gruppe von Meeresorganismen verschiebe. Weg von Kalkschalenbildnern, hin zu Silikatschalen bildenden Diatomeen beispielsweise.

Grossangelegtes Forschungsprogramm

Noch aber klafft eine grosse Wissenslücke über die ökologischen Auswirkungen der Meeresansäuerung. Mit dem Forschungsprojekt EPOCA, das im Rahmen des 7. EU-Rahmenprogramms am Dienstag in Nizza lanciert wurde, versuchen nun 27 Forschungsgruppen aus neun Ländern, mehr über die Folgen des Kohlendioxid-Eintrags ins Meer herauszufinden. Mit EPOCA wollen die Forscher die Veränderungen in der Chemie der Ozeane und der Verbreitung von Meeresorganismen dokumentieren. Bei diesem Forschungsprojekt sollen auch Daten darüber gesammelt werden, ob und wie einzelne Organismen, Lebensgemeinschaften und Ökosysteme auf die Meeresansäuerung anfällig sind.
Die europäischen Forscherinnen und Forscher erhoffen sich von EPOCA Antworten auf Fragen wie sich der pH-Wert des Meerwassers in Zukunft verändern wird, wie Organismen auf den Carbonat-Sättigungsgrad reagieren und ob marine Organismen ihre Produktivität verändern werden. Einige Forschungsgruppen arbeiten auch auf dem Meer, unter anderem mit Mesokosmos-Experimenten, mit denen sie unter realen Bedingungen herausfinden möchten, wie Organismen auf eine erhöhte CO2-Konzentration im Wasser und in der Luft reagieren.

ETH-Forscher modellieren Zukunft

Die ETH-Forschungsgruppe mit Gian-Kasper Plattner, der Doktorandin Claudine Hauri und Nicolas Gruber, Professor am Institut für Biogeochemie und Schadstoffdynamik, ist an EPOCA beteiligt. Sie wird sich darauf konzentrieren, die "Felddaten" in numerische Modelle zu integrieren und Simulationen des Kohlenstoffkreislaufs in Küstennähe zu erstellen. In erster Linie wollen sie herausfinden, wie sich die Chemie des Meerwassers um die Kanarischen Inseln und dem europäischen Schelf ändert. Die Küstenregionen gehören einerseits zu den produktivsten Meereszonen, sind andererseits aber auch am verletzlichsten. Diese Regionen seien aus wirtschaftlicher Sicht interessant, sagt Plattner, denn die Meereszonen bis 200 Meter Tiefe zählten zu Europas wichtigsten Fischgründen. Ändere sich die Produktivität dieser Meere, dann könne das für Fische und Fischerei bisher wenig bekannte Folgen haben.

Ein Fokus, der an der ETH geplanten Forschung wird sein, wie sich die Pufferkapazität der küstennahen Gewässer unter steigender CO2-Konzentration in der Atmosphäre entwickelt. Je höher diese ansteigt, desto weniger Kohlendioxid kann das Meer aufnehmen. "Verglichen mit dem offenen Meer ist in den Küstengebieten diese Pufferkapazität schon heute reduziert", gibt Plattner zu bedenken.