Veröffentlicht: 18.03.08
Particle Physics Masterclasses

Ein Tag als Teilchenphysiker

Früh übt sich, wer einmal Naturwissenschaftler werden will: 68 Schüler und Schülerinnen schlüpften an den vierten internationalen „Hands on Particle Physics Masterclasses“, unter Anleitung von ETH- und Universitäts-Professoren, einen Tag lang in die Haut eines Teilchenphysikers.

Samuel Schläfli
Haben viel gelernt: Kantonsschülerinnen Anita, Silvia und Vivian (v.l.n.r.) an den „Hands on Particle Physics Masterclasses“.
Haben viel gelernt: Kantonsschülerinnen Anita, Silvia und Vivian (v.l.n.r.) an den „Hands on Particle Physics Masterclasses“. (Grossbild)

Zu dritt sitzen Anita, Vivian und Silvia vor dem PC-Bildschirm. Darauf ist ein Radarartiges Bild zu sehen mit farbigen Strichen und Kreuzen. Es handelt sich um ein Spektrum eines Experiments, das im Teilchenbeschleuniger des Europäischen Labors für Teilchenphysik (CERN) in Genf durchgeführt wurde. Die drei Schülerinnen, zwischen 16 und 17 Jahre alt, versuchen nun auf dem Spektrum so genannte „Patterns“ zu erkennen. Dies sind Zeichenkonstellationen, die auf Elektronen, Myonen, Taus oder Quarks hindeuten – alles Zerfallsprodukte der Kollision eines Teilchens mit einem Antiteilchen, welche im Detektor ihre Spuren hinterlassen haben.

Die Aufgabe, mit welcher die drei Schülerinnen beschäftigt sind, nennt sich in der Physik eine visuelle Mustererkennung. „Eine essenzielle Arbeit jedes Teilchenphysikers, trotz modernen elektronischen Hilfsmitteln“, erklärt Günther Dissertori, Professor am Institut für Teilchenphysik (IPP) der ETH Zürich. Gemeinsam mit seinem Institutskollegen Christoph Grab hat er die diesjährige Teilnahme der ETH an den internationalen „Hands on Particle Physics Masterclasses“ organisiert. Die Initiative dazu stammt aus England. Die Masterclasses fanden dieses Jahr zum vierten Mal statt, und zum dritten Mal war die ETH gemeinsam mit den Universitäten Zürich und Bern am vergangenen Freitag mit dabei. Im Rahmen der Masterclasses erhielten 5000 Schülerinnen und Schüler während zwei Wochen an 75 Hochschulen in 21 Ländern die Chance, einen Tag lang den Berufsalltag eines Teilchenphysikers zu erproben. „Wir wollen den Schülern ein Gefühl dafür vermitteln, dass auch sie selber echte Forschung betreiben können. Damit tragen wir unsere Disziplin in die Schulen und können hoffentlich das Interesse der Gymnasiasten für die Physik vertiefen“, erklärt Dissertori. Um die Schüler und Schülerinnen zum Mitmachen an den Masterclasses zu mobilisieren, wurden Gymnasiallehrer in der ganzen Schweiz angeschrieben. In diesem Jahr haben sich 68 Interessierte angemeldet, davon zwölf junge Frauen. „Ein Verhältnis, das ungefähr demjenigen im Physikstudium entspricht“, bemerkt Dissertori.

Auch für Nicht-Physikfreaks spannend

Am Freitagvormittag erhielten die Schüler auf dem Zürcher Universitätscampus Irchel während drei Vorlesungen eine Einführung in die Teilchenphysik – als Grundlage für die selbständige Arbeit am Nachmittag. „Die Vorträge waren sehr interessant, aber es war etwas zuviel Information auf einmal“, meint Vivian von der Kantonsschule im Lee in Winterthur, die mit ihrer gesamten mathematisch-naturwissenschaftlichen Schwerpunktklasse hier ist. Ihr Schulkollege Tobias schätzt die einfachen Erklärungen der Experten: „Ich bin wirklich kein Physikfreak, aber was ich heute morgen hier gelernt habe war wesentlich spannender, als ich vermutet hatte“, sagt er. Nun ist Tobias in den letzten Zügen seiner Spektrumsauswertung und erklärt seinem Kollegen, weshalb die roten Kreuze auf dem Bildschirm nicht auf während des Aufpralls entstandene Myonen hinweisen können. „Das Ganze ist aber extrem komplex“, meint er. So ganz sicher sei er sich bei seiner Interpretation noch nicht. Tim gibt ihm recht. Auch für ihn sei die Teilchenphysik nach all dem, was er heute gehört habe, anspruchsvoller als erwartet: „Ich habe mir überlegt nach der Matur Physik zu studieren. Nun werde ich mir das aber nochmals gründlich durch den Kopf gehen lassen“, meint er lachend. Fasziniert haben ihn aber die Erzählungen zum CERN, „da will ich unbedingt einmal hin“, ist er sich sicher.

Nach der abgeschlossenen visuellen Mustererkennung am Computer, steht zum Schluss des Tages eine Videokonferenz auf dem Programm. Dabei können sich die Schüler mit anderen Masterclasses-Teilnehmenden weltweit über ihre Ergebnisse austauschen. Zudem haben sie die Möglichkeit, allfällig aufgetauchte Fragen direkt an zwei Physikerinnen am CERN zu stellen, welche die Videokonferenz moderieren. An diesem Freitag haben sich neben der Masterclass aus Zürich weitere Hochschulen aus Padova (Italien), aus Budapest und Debrecen (Ungarn) in die Konferenz eingeschaltet. Die Schüler werden zugleich Zeugen der Tücken technologischen Fortschritts. Die Teilnehmer an den anderen Hochschulen sind im topmodernen Konferenzraum in Zürich leider nur schlecht zu hören und das Zusammentragen der Ergebnisse im CERN gestaltet sich mühsam. „Auch das sind Probleme, mit welchen sich international vernetzte Physiker herumschlagen müssen“, schmunzelt Dissertori.

Tag der offenen Tür am CERN

Am Sonntag, 6. April 2008, öffnet das Europäische Labor für Teilchenphysik (CERN) der Öffentlichkeit seine Tore. Das 1954 gegründete CERN ist das weltweit größte Forschungszentrum für Teilchenphysik. Derzeit tragen 20 europäische Mitgliedstaaten diese Forschungseinrichtung. Dieses Jahr wird am CERN nach jahrelanger Bauarbeit der grösste Teilchenbeschleuniger der Welt, der Large Hadron Collider (LHC), in Betrieb genommen. Im 27 Kilometer langen Tunnel werden kleinste Teilchen mit extrem hoher Energie zur Kollision gebracht, was fundamentale Fragen der Physik klären soll, etwa jene nach dem Ursprung der Masse. Die Besucherinnen und Besucher erwartet am 6. April an mehreren Standorten in der Nähe von Genf ein reichhaltiges Programm mit unterirdischen Laborbesuchen, Versuchsdemonstrationen, Vorträgen und Führungen.
Weitere Informationen zum Tag der offenen Tür gibt es hier.

 
Leserkommentare: