Veröffentlicht: 11.02.08
Erste Karl Schmid Vorlesung

Treppenhistorien

Mit einem hintersinnigen Geschichtenfeuerwerk über den Geist der Treppe eröffnete der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann die geplante Reihe der Karl Schmid Vorlesungen an der ETH.

Martina Märki
Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann eröffnete die geplante Reihe der Karl Schmid Vorlesungen an der ETH.
Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann eröffnete die geplante Reihe der Karl Schmid Vorlesungen an der ETH. (Grossbild)

Das Publikum, das sich am vergangenen Mittwoch Abend im Audimax einfand, meisterte die Stufen des Auditoriums beschwingt, trotz mehrheitlich nicht mehr allzu jugendlichen Alters. Die erste Vorlesung zu Ehren Karl Schmids, gehalten vom Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann, widmete sich denn auch nicht ohne boshaften Hintersinn dem Thema Treppen, genauer gesagt dem esprit de l’escalier. Eine Vorlesung im akademischen Sinn war es eigentlich nicht, wohl aber ein Vorlesung im wörtlichen Sinn, deren Sprachreichtum, Witz und Eleganz man mit Vergnügen lauschte. Philosophische Betrachtungen über den Sinn der Treppe von Platon bis Hegel mischten sich mit hintersinnigen Geschichten, erlebten, gefundenen oder erfundenen, sei dahingestellt – auf jeden Fall literarisch höchst elegant transformierten. Vom kaiserlichen Emporschreiten einer uralten Ex-Kaiserin auf den klösterlichen Treppen in Einsiedeln über die dreist-burlesken, philosophisch inspirierten Bankräuber auf den Stufen einer Bankfiliale im Berlin der 68er-Jahre, von der Treppe im Schiffsbauch der Titanic, die nur zum Hinabschreiten gedacht war bis zur Rolltreppe im Flughafen Zürich, die den Autoren gnadenlos und völlig prosaisch zu Fall bringt – eine Kulturkritik als Hintertreppengeschichte, sozusagen.

Die Vorlesung wurde organisiert von der an der ETH Zürich beheimateten Karl-Schmid-Stiftung. Sie soll künftig jedes Jahr stattfinden. Als Referenten sollen Personen zu Wort kommen, die sich in einem der unterschiedlichen Arbeitsfelder Karl Schmids ausgezeichnet haben, insbesondere der Literatur und Politik. Dass mit Thomas Hürlimann, der als Autor von Theaterstücken wie „Grossvater und Halbbruder“ oder „Der Gesandte“ von Anfang an bewiesen hat, dass er ein politischer Autor ist, ein solcher gefunden war, musste die frühere Bundeskanzlerin Annemarie Huber-Hotz, neu-gewählte Präsidentin der Karl-Schmid-Stiftung, nicht eigens betonen. Karl Schmid, der als Germanist vier Jahre lang als Rektor der ETH Zürich amtete, hätte seine Freude daran gehabt.

Karl Schmid

Sein intellektueller Horizont war aussergewöhnlich breit, seine Ausstrahlung reichte weit über die Landesgrenzen hinaus. Als Literarhistoriker schrieb Karl Schmid (1904 – 1974) Brillantes und Bleibendes zur Bedeutung der (Deutsch-) Schweizer Kultur und ihrem Verhältnis zu diesem Land ("Das Unbehagen im Kleinstaat", 1963). Mit Max Frisch stand er diesbezüglich in einer leidenschaftlich geführten Debatte.
Der ETH-Literaturprofessor war zudem zwischen 1953 und 1957 Rektor dieser Hochschule, Präsident des Schweizerischen Wissenschaftsrats und - last, not least - Oberst im Generalstab. Als solcher präsidierte Karl Schmid die "Studienkommission für strategische Fragen", deren Bericht von 1969 die Grundlage der modernen Schweizer Sicherheitspolitik bildete.

 
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