Veröffentlicht: 29.01.08
IODP-Forschungsbohrung

Durchbohrte Platten

Seit 6 Wochen befinden sich die beiden Schweizer Geowissenschaftler France Girault und Michael Strasser an Bord des IODP Bohrschiffes Chikyu. Sie gehören dort einem Internationalen Forschungsteam an, das die Nankai Trog Subduktionszone erforscht. Heute berichten sie zum letzten Mal von Bord des Schiffes. Nächsten Dienstag werden sie in Shingu mit all Ihren Daten, Probenmaterialien und Erfahrung wieder an Land gehen.

France Girault & Michael Strasser
Die Wissenschaftler und Besatzung der Chikyu bei einer sonntäglichen Feueralarm-Übung. (Bild: France Girault)
Die Wissenschaftler und Besatzung der Chikyu bei einer sonntäglichen Feueralarm-Übung. (Bild: France Girault) (Grossbild)

Letzter Feueralarm

Jeden Sonntagmorgen um 10 Uhr ertönt über die Bordlautsprecher der Feueralarm: „This is a fire drill. Please proceed to your master station“. Mit Helm, Schutzbrille, Stahlkappenschuhen und Schwimmweste versammeln wir uns alle vor den Rettungsbooten, während die Crew-Mitglieder die Bekämpfung eines Brandes oder einer Notfallsituation üben. Die Sicherheit muss auf solch einem grossen Schiff wie der Chikyu gewährleistet sein. Wie Clowns aussehend, auf das O.K. des Safety Officer wartend, verlängern die eben Erwachten ihren Schlaf an Deck, während die, die gerade von ihrer Schicht kommen und müde von der Arbeit sind, ebenfalls ein kleines Nickerchen machen. Für uns sind diese „Fire Drills“ wie ein Anker in unserer allmählich verschwommenen Zeitskala. Ein Anker, an dem wir uns festhalten können und der uns wissen lässt, welchen Tag wir haben. Wir zählen die Wochen an Bord anhand der Anzahl Fire Drills, die hinter oder vor uns liegen. Einer steht noch aus, bevor wir im Hafen einlaufen. Es wird das allererste Mal sein, dass das neue Japanische Forschungsschiff Chikyu von einer wissenschaftlichen Expedition zurückkehrt. Wir werden dann erstmals seit fast zwei Monaten festen Boden unter den Füssen haben.

Wir wissen schon jetzt, dass die wissenschaftlichen Hauptziele unserer Expedition erreicht wurden. An zwei Bohrlokalitäten wurde erfolgreich durch die Mega Splay Störung und in die frontale Überschiebung der Nankai Trog Subduktionszone gebohrt (ETH Life-Bericht vom 8.1.08). Trotz mehrerer schwierigen Situationen, in denen etwa die Stabilität des Bohrlochs gefährdet war und in sich einzustürzen drohte oder keine schönen und kompletten Bohrkern-Abfolgen zu Tage gefördert wurden, sondern nur kleine Teilstücke, haben wir genug Informationen und Daten für weiterführende Forschungsprojekte gesammelt. Unglaublich beeindruckend, wenn man sich vorstellt, dass wir in bis zu 4000 Meter Wassertiefe bis zu 600 Meter tief in den Ozeanboden gebohrt haben. Und das in einen Untergrund, der durch die tektonischen Kräfte stark deformiert ist und durch eine komplizierte Gesteinsabfolge von feinkörnigen Tonen bis zu mächtigen Kiesen charakterisiert ist.

Geo-Detektive

Einer der Höhepunkte war, als wir letzte Woche die frontale Überschiebung, die Plattengrenze zwischen der Philippinischen und der Eurasischen Platte, erbohrten. Die Begeisterung, diese Kerne endlich geöffnet auf dem Beschreibungstisch zu sehen, war sehr gross. Wir waren überrascht und fasziniert zu sehen, dass die kritische Zone eine Abfolge von mehreren diskreten dünnen Lagen ist, die nur wenige Zentimeter dick sind. Wie „erdwissenschaftliche Detektive“ führen wir nun präzise die verschiedenen Analysen an den erbohrten Proben durch (ETH life-Bericht 22.1.08) und versuchen so einzelne Puzzelteile aneinander zu reihen, um die Prozesseentlang der Plattengrenzen zu verstehen und die Entwicklungsgeschichte dieses aktiven Kontinentalrandes zu rekonstruieren. Unsere Daten erlauben es, rund fünf Millionen Jahre zurück zu blicken und die heute noch aktiven Prozesse zu studieren, die in tieferen Stockwerken der Subduktionszone sowohl früher wie heute für die Erdbeben in Japan mitverantwortlich sind.

Bevor die einzelnen Puzzleteilchen ein zusammenhängendes Bild ergeben, liegt viel Arbeit vor uns. Die gesammelten Proben werden nach der Expedition in den Labors der weltweit teilnehmenden Wissenschaftler analysiert, um die an Bord gesammelten Daten zu verfeinern. Die Daten unserer Studien werden einerseits in ein mikropaleontologisches Dissertationsprojekt der ETH Zürich einfliessen. Andererseits werden wir zu Hause untersuchen, wie sich die erbohrten Gesteine und Sedimente unter den Erschütterungen durch Erdbeben mechanisch verhalten. Dazu wird Probenmaterial in eine Druckzelle eingespannt, in der es einer sich zyklisch ändernden Belastung ausgesetzt wird. Dadurch werden die Spannungsänderungen im Untergrund während eines Erdbebens simuliert und wir können die dabei verursachten Verformungen oder das Bruchverhalten des Materials analysieren. Davon erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse darüber, wie sich der Ozeanboden während eines grossen Erbebens verhält. Ob und wie sich beispielsweise die Bruchzonen in den Ozeansedimenten bis an die Oberfläche fortpflanzen, oder ob der in diesem Bereich relativ steile Meeresbodenabhang kollabiert und die Sedimente grosse Unterwasser-Lawinen auslösen. Bei beiden Mechanismen geht man heute davon aus, dass sie durch die plötzliche Wasserverdrängung, verursacht durch den sich ruckartig bewegenden Ozeanboden, Tsunamis auslösen können.

Andere Wissenschaftler werden weitere geologische Aspekte der untersuchten Region studieren und sie mit anderen Studien vergleichen oder die Erkenntnisse mittels Computer-Modellierungen in die tieferen Zonen der Subduktionszone projezieren. Somit können generisch die Prozesse studiert werden, die bei der Entstehung von Erdbeben wirken oder wie sich Subdukutionszonen entwickeln. Die Studien bilden dann die Grundlage für die zweite und dritte Phase des Nankai Trough Seismogenic Zone Experiment (NanTroSEIZE; ETH Life Bericht vom 8.1.08). Denn schon Ende des Jahres läuft die Chikyu zu weiteren Expeditionen aus. Dann sollen die Mega Splay Bruchzone und die Plattengrenzen in noch grösseren Tiefe - in den Bereichen, in denen Erdbeben entstehen - erbohrt werden.

Einmalige Erfahrung

Die Aussicht auf die Fortsetzung der wissenschaftlichen Studien in den Labors und an den Computern unserer Heimatinstitute sowie die Vorfreude, endlich wieder festen Boden unter den Füssen zu haben, spornt uns an, die letzte Woche hier an Bord erfolgreich abzuschliessen. Egal, was die verbleibenden Tage noch bringen mögen, die Teilnahme für uns junge Schweizer Wissenschaftler an diesem grossen Ozeanbohrprojekt war sicherlich eine einmalige Erfahrung. Wir haben von den Experten an Bord sehr viel gelernt, konnten gute Kontakte knüpfen und sind begeistert von den neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Diese werden uns in Zukunft hoffentlich die geologischen Prozesse, die an Subduktionszonen ablaufen, besser verstehen lassen.