Veröffentlicht: 13.09.07
Umweltmikrobiologie

Methan, das aus der Kälte kommt

ETH-Forschende untersuchten diesen Sommer im russischen Lena-Delta den Methanhaushalt in arktischen Permafrostböden - Forschung unter erschwerten Bedingungen.

Peter Rüegg
Die typische Polygonstruktur der Tundra im Lena-Delta.
Die typische Polygonstruktur der Tundra im Lena-Delta. (Grossbild)

„Da würde ich sofort wieder hingehen“, sagt ETH-Professor Josef Zeyer. Die Begeisterung ist ihm noch immer anzusehen. Denn Zeyer genoss diesen Sommer ein seltenes Privileg: Der Umweltmikrobiologe konnte auf Einladung einen Monat lang zusammen mit deutschen und russischen Klimatologen, Bodenkundlern, Geodäten und Entomologen auf der entlegenen Forschungsstation Samoilov im sibirischen Lena-Delta Forschung betreiben - und damit ein Gebiet besuchen, das wohl nur wenige Westeuropäer aus eigener Anschauung kennen.

Ruhe in grandioser Natur

Die Station wird vom deutschen Alfred Wegener Institut für Meeres- und Polarforschung Potsdam zusammen mit russischen Partnern betrieben und ist eine einfache Holzhütte, die Platz für ein Dutzend Forscherinnen und Forscher bietet. Ein Stromgenerator sorgt für ein wenig Komfort, und das Wasser stammt vom nahegelegenen See. Auf der Speisekarte stehen vor allem Fisch und Rentierfleisch. Radio und TV sind Fremdwörter, nur einmal am Tag verschicken die Forscher ihre Mails via Satellit. Dafür hat man: Stille, Weite, Abgeschiedenheit, Natur, „einmalige Ökosysteme“, wie Zeyer betont – seltene Güter in der immer kleiner und hektischer werdenden Welt.

Im Winter können die Temperaturen in dieser Region minus 50 oC erreichen. Der Sommer beginnt Ende Juni und dauert gerade mal zwei Monate. Aber auch dann ist es eher frisch, und Nieselregen kann tagelang dominieren. Sobald die Temperaturen wenige Grad über Null steigen, stürzen sich Myriaden von Mücken auf die Forscher. Die Arbeit draussen ist dann nur mit einer Imkerausrüstung möglich.

Unendlich weit von Moskau weg

Auch die Anreise ist ein Abenteuer. Ausgangspunkt für die Expedition ins Lena-Delta  ist die Garnisonsstadt Tiski, ein heruntergekommener Aussenposten der Zivilisation, unendlich weit von Moskau entfernt. Einst lebten in der Stadt oberhalb des Polarkreises Zehntausende von russischen Soldaten und ihre Angehörigen. Heute ist die Siedlung am Zerfallen und wer nicht bleiben muss, zieht weg. Bei der Ankunft des Schweizer Forschers im Juli ist das Meer noch gefroren.

Die letzten 50 Kilometer von Tiksi zur Forschungsstation im Lena-Delta legen die Forscher im russischen Armeehelikopter zurück. Gepäck, wissenschaftliche Ausrüstung und Proviant für einen Monat verschwinden im Bauch des Helikopters. Die Passagiere sitzen auf ihren Gepäckstücken dicht an dicht.

Aus dem Helikopter offenbart sich den Forschern eine einzigartige Landschaft. Das Lena-Delta umfasst ungefähr drei Viertel der Fläche der Schweiz und ist dennoch nur von rund einem Dutzend Fischern und Jägern besiedelt. Typisch sind die eigenartigen Polygone, die durch Risse im Permafrost entstanden sind. Die Risse öffnen sich im Winter, und bei der Schneeschmelze im Sommer dringt Wasser ein, das sofort gefriert. In der Tiefe der Risse bilden sich stetig wachsende Eiskeile, die mehrere Meter breit und über 15 m tief werden können. Im Zentrum dieser Polygone bilden sich häufig Teiche, die das Interesse von Zeyer geweckt haben und für vier Wochen sein Forschungsobjekt darstellen.

Bakterien halten sich die Waage

Denn in den Polygonen und ihren Tümpeln spielen sich Vorgänge ab, die möglicherweise einen wichtigen Einfluss auf das globale Klima haben. Im Lena-Delta beginnt der Permafrost bereits wenige Zentimeter unter der Oberfläche und reicht bis in eine Tiefe von 600 Metern. In den Polygonteichen beginnt das Eis 50 Zentimeter unter der Wasseroberfläche. Unmittelbar über dem Eis leben methanogene Mikroorganismen, die den organischen Kohlenstoff - in den arktischen Permafrostböden lagert immerhin fast ein Drittel des weltweit gespeicherten organischen Kohlenstoffs - zu Methan umsetzen. Methan aber ist ein äusserst klimawirksames Gas: Ein Methanmolekül wirkt 25 bis 30 mal stärker auf den Treibhauseffekt als ein Kohlendioxidmolekül.

Methan diffundiert in den Sedimenten und im Wasser nach oben und trifft auf Sauerstoff, der von der Atmosphäre her nach unten diffundiert. In der Zone, in der sich Methan und Sauerstoff treffen, leben "methanverzehrende", so genannt methanotrophe Bakterien, die Methan zu Kohlendioxid oxidieren und damit verhindern, dass Methan in die Atmosphäre gelangt.

Seggen als Spielverderber

In den Polygonteichen "funktioniert" dieses System hingegen anders. Viele dieser Tümpel sind dicht mit Seggen bewachsen, die in der Wurzelzone das Methan aufnehmen, dadurch die methanotrophen Bakterien umgehen und das Gas ungefiltert direkt in die Atmosphäre transportieren. Die Pflanzenstängel weisen Leitgefässe für den Gasaustausch auf: Methan aus dem Wurzelbereich wird abgeführt, Sauerstoff aus der Luft in die Tiefe transportiert.

Zeyer hat nun versucht, während seines Aufenthaltes in Sibirien mehr über die Methanbilanz in den Polygonteichen herauszufinden. In Feldversuchen hat er die Methankonzentrationen in Funktion der Tiefe gemessen, die Aktivitäten der methanogenen und methanotrophen Bakterien im Tümpel quantifiziert und die Intensität des Methantransportes durch die Seggen bestimmt. Im Labor und im Feld wurde er dabei tatkräftig von Maryvonne Landolt vom Stab Forschung der ETH unterstützt, die ebenfalls Mikrobiologin ist. Einige Proben wurden an die ETH gebracht und weiter analysiert. Noch sind nicht alle Resultate ausgewertet, aber bereits jetzt ist klar, dass sich die Prozesse sehr gut quantifizieren lassen und dass der Methantransport durch die Pflanzen bedeutend ist.

Was, wenn's wärmer wird?

Noch sind aber viele Fragen offen. Allzu schnell war der Monat in der sibirischen Arktis für Zeyer und Landolt vorüber. So sagt der in diesem Jahr veröffentlichte IPCC-Report für die Arktis eine überdurchschnittliche Erwärmung voraus. Doch was heisst das für die Methanproduktion? Der Boden dürfte tiefer hinab auftauen und die biologische Aktivität zunehmen. Produzieren deshalb die Bakterien in der Folge mehr Methan? Nimmt auch die Aktivität der methanotrophen Bakterien zu? Oder profitiert die Segge von ansteigenden Temperaturen?

Im Weiteren betont Zeyer, dass die heutigen Klimamodelle in vielen Belangen den Boden als Black Box betrachten müssen, weil ein detailliertes Prozessverständnis fehlt. Der ETH-Professor möchte deshalb die Ergebnisse über die mikrobiellen Methanumsätze im Permafrostbereich vermehrt mit den Daten verknüpfen, die mit Hilfe von Messungen über dem Boden (Satelliten, Flugzeuge, Eddy Covariance) gewonnen werden. „Die Arbeit geht weiter“, sagt er, und die Kooperationen mit dem Alfred Wegener Institut und den russischen Kollegen wird voraussichtlich intensiviert.

 
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