Veröffentlicht: 22.11.12
Science

Ruf nach «robusten» UN-Mandaten

Internationale Experten diskutieren an der ETH Zürich über aktuelle Herausforderungen in der Friedensförderung in Afrika. Politikwissenschaftler Marco Wyss erläutert, wie China und Indien zunehmend Einfluss auf UN-Missionen nehmen und weshalb Frieden heute oft erzwungen wird.

Interview: Samuel Schlaefli
Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo zerstört in Goma Waffen, die zuvor Rebellen abgenommen wurden. (Bild: UN / Sylvain Liechti)
Die UN-Mission in der Demokratischen Republik Kongo zerstört in Goma Waffen, die zuvor Rebellen abgenommen wurden. (Bild: UN / Sylvain Liechti) (Grossbild)

Herr Wyss, 1960 fand im Kongo die erste Friedensoperation unter UN-Mandat in Afrika statt. Heute wird die Bevölkerung in der Provinz Nord-Kivu trotz UN-Präsenz wieder von marodierenden Rebellengruppen terrorisiert. Ist der Kongo ein Beispiel dafür, dass die militärische Friedensförderung des Westens in Afrika gescheitert ist?
Das glaube ich nicht. Mehrere Studien kamen zum Schluss, dass die Gewalt in Afrika dank Friedensoperationen gesamthaft abgenommen hat. Speziell die komplexeren Missionen im letzten Jahrzehnt zeigten Wirkung. Seit den Rückschlägen in Somalia und Ruanda beinhaltet die Friedensförderung nicht mehr nur das Auseinanderhalten von kriegerischen Parteien nach einem Waffenstillstand. Das sogenannte Peacebuilding, also die Staatenbildung, die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Rebellen und die Sicherheitssektorreform sind häufig genauso Teil solcher Missionen.

Und trotzdem hat man das Gefühl, dass für jeden gelösten Konflikt ein neuer dazukommt.
Oft sind die Missionen zu ambitiös; man will mit den verfügbaren Mitteln zuviel erreichen. In vielen Missionen in Afrika fehlen die finanziellen, militärischen und logistischen Mittel, um Zivilisten umfassend vor Angriffen zu schützen. Auch die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Soldaten in die Gesellschaft ist heute eine zentrale Forderung der Friedensförderung. Aber wie soll man zehntausende Ex-Kombattanten in eine nicht funktionierende Wirtschaft integrieren?

Heute toben vermehrt innerstaatliche Kriege. In Somalia oder im Norden Malis kämpft der Staat gegen islamistische Gruppen. Was bedeutet das für die Friedensförderung?
In solchen Fällen wird oft der Ruf nach «robusten» UN-Mandaten zur Friedenserzwingung laut, also nach Einsätzen mit ausgedehntem Waffeneinsatzwie in Somalia. Dort tobt ein Krieg, bei dem man mit traditioneller Friedensförderung nichts mehr ausrichten kann.

Die EU und die USA haben sich personell aus solchen oft sehr gefährlichen Einsätzen zunehmend herausgezogen. Wer kämpft heute in Afrika für den Frieden?
In den letzten Jahren hat eine «Afrikanisierung» der Einsätze unter UN-Mandat stattgefunden. Viele Truppenkontingente werden heute von afrikanischen Staaten und von Entwicklungsländern bereitgestellt. Die USA und die EU beteiligen sich vor allem noch finanziell, mit logistischer Unterstützung und in der Kapazitätsbildung – das heisst in der Ausbildung und im Aufbau von afrikanischen Friedenstruppen.

An der kommenden Konferenz sind die «Emerging Powers» ein wichtiges Thema. Welche Rolle spielen Länder wie China und Indien heute schon bei der Befriedung Afrikas?
China stellt unter den permanenten UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern derzeit am meisten personelle Ressourcen für UN-Missionen in Afrika – bislang jedoch hauptsächlich im Bereich der Logistik. China will sich einerseits als verantwortungsbewusste Grossmacht zeigen, andererseits verfolgt sie natürlich auch eigene strategische Interessen auf dem Kontinent. Indien wiederum stellt zwar schon lange Truppenkontingente für UN-Missionen, will nun aber verstärkt auch auf globaler Ebene über deren Ausrichtung mitdiskutieren.

Inwiefern ist internationale Friedensförderung immer auch an realpolitische Interessen gekoppelt – speziell in Hinblick auf den Ressourcenreichtum in Afrika?
Die politischen Interessen bilden immer den strategischen Rahmen, in dem Friedensförderung stattfindet. Nach Ende des Kalten Kriegs zog sich der Westen zunehmend aus Afrika zurück. Mit dem stärkeren Einfluss von China in Afrika sprechen verschiedene Analysten jedoch bereits von einem neuen Wettlauf um Afrika, in dessen Folge auch die westlichen Staaten ihr Interesse für Afrika wiederentdeckten; allen voran Frankreich und die USA. Das wiederum hat die Position der afrikanischen Staaten gestärkt. Sie orientieren sich nicht mehr nur gegen Westen, sondern vermehrt auch gegen Osten.

Derzeit sind 18 Schweizer Militärs verteilt über 5 UN-Missionen in Afrika im Einsatz – als Militärbeobachter, zur Minenräumung oder Kapazitätsbildung. Weshalb soll sich die Schweiz in Afrika engagieren?
Das stärkste Argument sollte die Solidarität sein, die seit Bundesrat Petitpierre ein integraler Bestandteil der Schweizer Neutralität ist. Über die Solidarität und die Beteiligung an der Friedensförderung in Afrika pflegt die Schweiz auch ihr internationales Image.

Aber droht nicht gerade die Beteiligung an solchen Einsätzen, in Konflikt mit der Neutralität zu geraten?
Nicht solange die Missionen unter UN-Mandat stehen und keine friedenserzwingenden Massnahmen mit Gewaltanwendung beinhalten, wie zum Beispiel bei der Intervention in Libyen. Eine Beteiligung an solchen Einsätzen hätte in der Schweiz aber derzeit politisch sowieso keine Chance.

Öffentliche Veranstaltung zu Friedensförderung in Afrika

Vom 23. bis 24. November beschäftigen sich an der ETH Zürich Experten aus aller Welt mit den aktuellen Herausforderungen der Friedensförderung in Afrika. Organisiert wird die Konferenz vom «Center for Security Studies» (CSS). Sozialwissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen beleuchten aktuelle Krisenherde, analysieren die wichtigsten Akteure und machen globale Trends aus.

Am Freitag findet ab 18 Uhr im Hörsaal HG E 3 eine öffentliche Paneldiskussion zur internationalen Friedensförderung in Afrika statt, u.a. mit Alan Doss, dem langjährigen Leiter von UN-Missionen in der Demokratischen Republik Kongo, Liberia und der Elfenbeinküste. Mehr Informationen unter: www.ipafrica.ethz.ch

 
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