Ruf nach «robusten» UN-Mandaten
Internationale Experten diskutieren an der ETH Zürich über aktuelle Herausforderungen in der Friedensförderung in Afrika. Politikwissenschaftler Marco Wyss erläutert, wie China und Indien zunehmend Einfluss auf UN-Missionen nehmen und weshalb Frieden heute oft erzwungen wird.
Herr Wyss, 1960 fand im Kongo die erste
Friedensoperation unter UN-Mandat in Afrika statt. Heute wird die Bevölkerung in
der Provinz Nord-Kivu trotz UN-Präsenz wieder von marodierenden Rebellengruppen
terrorisiert. Ist der Kongo ein Beispiel dafür, dass die militärische Friedensförderung
des Westens in Afrika gescheitert ist?
Das
glaube ich nicht. Mehrere Studien kamen zum Schluss, dass die Gewalt in Afrika dank
Friedensoperationen gesamthaft abgenommen hat. Speziell die komplexeren
Missionen im letzten Jahrzehnt zeigten Wirkung. Seit den Rückschlägen in
Somalia und Ruanda beinhaltet die Friedensförderung nicht mehr nur das
Auseinanderhalten von kriegerischen Parteien nach einem Waffenstillstand. Das
sogenannte Peacebuilding, also die Staatenbildung, die Entwaffnung,
Demobilisierung und Reintegration von Rebellen und die Sicherheitssektorreform
sind häufig genauso Teil solcher Missionen.
Und trotzdem hat man das Gefühl, dass für jeden
gelösten Konflikt ein neuer dazukommt.
Oft sind
die Missionen zu ambitiös; man will mit den verfügbaren Mitteln zuviel
erreichen. In vielen Missionen in Afrika fehlen die finanziellen, militärischen
und logistischen Mittel, um Zivilisten umfassend vor Angriffen zu schützen. Auch
die Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration von Soldaten in die
Gesellschaft ist heute eine zentrale Forderung der Friedensförderung. Aber wie
soll man zehntausende Ex-Kombattanten in eine nicht funktionierende Wirtschaft
integrieren?
Heute toben vermehrt innerstaatliche Kriege. In
Somalia oder im Norden Malis kämpft der Staat gegen islamistische Gruppen. Was
bedeutet das für die Friedensförderung?
In solchen
Fällen wird oft der Ruf nach «robusten» UN-Mandaten zur Friedenserzwingung
laut, also nach Einsätzen mit ausgedehntem Waffeneinsatzwie in Somalia. Dort tobt
ein Krieg, bei dem man mit traditioneller Friedensförderung nichts mehr ausrichten
kann.
Die EU und die USA haben sich personell aus solchen
oft sehr gefährlichen Einsätzen zunehmend herausgezogen. Wer kämpft heute in
Afrika für den Frieden?
In den
letzten Jahren hat eine «Afrikanisierung» der Einsätze unter UN-Mandat stattgefunden.
Viele Truppenkontingente werden heute von afrikanischen Staaten und von
Entwicklungsländern bereitgestellt. Die USA und die EU beteiligen sich vor
allem noch finanziell, mit logistischer Unterstützung und in der
Kapazitätsbildung – das heisst in der Ausbildung und im Aufbau von
afrikanischen Friedenstruppen.
An der kommenden Konferenz sind die «Emerging
Powers» ein wichtiges Thema. Welche Rolle spielen Länder wie China und Indien
heute schon bei der Befriedung Afrikas?
China stellt
unter den permanenten UN-Sicherheitsrats-Mitgliedern derzeit am meisten
personelle Ressourcen für UN-Missionen in Afrika – bislang jedoch hauptsächlich
im Bereich der Logistik. China will sich einerseits als verantwortungsbewusste
Grossmacht zeigen, andererseits verfolgt sie natürlich auch eigene strategische
Interessen auf dem Kontinent. Indien wiederum stellt zwar schon lange
Truppenkontingente für UN-Missionen, will nun aber verstärkt auch auf globaler
Ebene über deren Ausrichtung mitdiskutieren.
Inwiefern ist internationale Friedensförderung immer
auch an realpolitische Interessen gekoppelt – speziell in Hinblick auf den
Ressourcenreichtum in Afrika?
Die
politischen Interessen bilden immer den strategischen Rahmen, in dem
Friedensförderung stattfindet. Nach Ende des Kalten Kriegs zog sich der Westen
zunehmend aus Afrika zurück. Mit dem stärkeren Einfluss von China in Afrika sprechen
verschiedene Analysten jedoch bereits von einem neuen Wettlauf um Afrika, in
dessen Folge auch die westlichen Staaten ihr Interesse für Afrika
wiederentdeckten; allen voran Frankreich und die USA. Das wiederum hat die
Position der afrikanischen Staaten gestärkt. Sie orientieren sich nicht mehr
nur gegen Westen, sondern vermehrt auch gegen Osten.
Derzeit sind 18 Schweizer Militärs verteilt
über 5 UN-Missionen in Afrika im Einsatz – als Militärbeobachter, zur
Minenräumung oder Kapazitätsbildung. Weshalb soll sich die Schweiz in Afrika
engagieren?
Das stärkste
Argument sollte die Solidarität sein, die seit Bundesrat Petitpierre ein integraler
Bestandteil der Schweizer Neutralität ist. Über die Solidarität und die
Beteiligung an der Friedensförderung in Afrika pflegt die Schweiz auch ihr
internationales Image.
Aber droht nicht gerade die Beteiligung an
solchen Einsätzen, in Konflikt mit der Neutralität zu geraten?
Nicht
solange die Missionen unter UN-Mandat stehen und keine friedenserzwingenden
Massnahmen mit Gewaltanwendung beinhalten, wie zum Beispiel bei der
Intervention in Libyen. Eine Beteiligung an solchen Einsätzen hätte in der
Schweiz aber derzeit politisch sowieso keine Chance.
Öffentliche Veranstaltung zu Friedensförderung in Afrika
Vom 23.
bis 24. November beschäftigen sich an der ETH Zürich Experten aus aller Welt mit
den aktuellen Herausforderungen der Friedensförderung in Afrika. Organisiert
wird die Konferenz vom «Center for Security Studies» (CSS). Sozialwissenschaftler aus unterschiedlichen Bereichen
beleuchten aktuelle Krisenherde, analysieren die wichtigsten Akteure und machen
globale Trends aus.
Am Freitag findet ab 18 Uhr im Hörsaal
HG E 3 eine öffentliche Paneldiskussion zur
internationalen Friedensförderung in Afrika statt, u.a. mit Alan Doss, dem
langjährigen Leiter von UN-Missionen in der Demokratischen Republik Kongo,
Liberia und der Elfenbeinküste. Mehr Informationen unter: www.ipafrica.ethz.ch
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