Veröffentlicht: 08.08.13
Science

Eiszeiten nur dank Rückkoppelung

Warum es alle hunderttausend Jahre zu einer Eiszeit kommt, konnte die Wissenschaft bisher nicht komplett erklären. Forschende zeigen nun mit einer Computersimulation detailliert: Nicht nur Schwankungen in der Sonneneinstrahlung spielen dabei mit, sondern auch die gegenseitige Beeinflussung von vergletscherten Kontinenten und Klima.

Fabio Bergamin
Während der letzten Eiszeit lagen die nördlichen Regionen Amerikas, Europas und Asiens unter einer dicken Eisschicht. (Illustration: Ittiz / Wikipedia)
Während der letzten Eiszeit lagen die nördlichen Regionen Amerikas, Europas und Asiens unter einer dicken Eisschicht. (Illustration: Ittiz / Wikipedia) (Grossbild)

Eiszeiten und Warmzeiten wechseln sich in der Erdgeschichte mit schöner Regelmässigkeit ab: In einem Rhythmus von gut hunderttausend Jahren kühlt sich das Klima auf der Erde ab, wobei weite Gebiete im Norden Amerikas, Europas und Asiens unter einer dicken Eisschicht begraben werden. Schliesslich schlägt das Pendel wieder zurück, es wird wieder wärmer, und die Eismassen schmelzen. Wissenschaftler haben in Gletschermoränen, Meeressedimenten und Polareis stichhaltige Hinweise für diesen Hunderttausendjahreszyklus gefunden. Eine überzeugende Erklärung dafür gab es bisher jedoch nicht.

Ein japanisch-schweizerisch-amerikanisches Forscherteam mit Beteiligung von Heinz Blatter, emeritierter Professor für physikalische Klimatologie an der ETH Zürich, konnte nun mit einer Computermodellierung zeigen: Der Eiszeit-Warmzeit-Wechsel wird wesentlich davon bestimmt, dass sich kontinentale Eisschilde und Klima wechselseitig beeinflussen.

«Wenn ein ganzer Kontinent von einer 2000 bis 3000 Meter dicken Eisschicht bedeckt ist, ist die Topografie eine völlig andere», erklärt Blatter diese Rückkoppelungseffekte. «Dies sowie das unterschiedliche Rückstrahlvermögen von Gletschereis im Verhältnis zu eisfreier Erde führen zu markanten Veränderungen in der Oberflächentemperatur und der Luftzirkulation in der Atmosphäre.» Ausserdem verändere eine grossflächige Vergletscherung auch den Meeresspiegel und somit die Meeresströmungen, was ebenfalls das Klima beeinflusse.

Schwacher Effekt mit starker Wirkung

Wie die Wissenschaftler der Tokyo University, ETH Zürich und Columbia University in ihrer in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichten Arbeit zeigen konnten, treten diese Rückkoppelungseffekte von Erde und Klima in Ergänzung zu weiteren, bekannten Mechanismen auf. Schon länger ist klar, dass das Klima in langfristigen Zeitskalen massgeblich von der Sonneneinstrahlung beeinflusst wird. Weil sich die Erdrotation und die Umlaufbahn der Erde um die Sonne periodisch leicht ändern, schwankt auch die Sonneneinstrahlung. Wenn man diese Schwankung genau betrachtet, sind darin verschiedene, sich überlagernde Zyklen von rund 20'000, 40'000 und 100'000 Jahren zu erkennen (siehe Kasten).

Schwierigkeiten bereitete den Wissenschaftlern bisher, dass der Hunderttausendjahreszyklus der Sonneneinstrahlung verhältnismässig schwach ist und sich der prominente Hunderttausendjahreszyklus der Eiszeiten alleine damit nur schwer erklären lässt. Mithilfe der Rückkoppelungseffekte ist dies nun möglich.

Simulation von Eis und Klima

Die Forschenden gewannen ihre Erkenntnis aus einem umfassenden Computermodell, in dem sie eine Eisschild-Simulation mit einem bestehenden Klimamodell kombinierten. Damit errechneten sie die Vereisung der Nordhalbkugel für die vergangenen 400'000 Jahre. Das Modell berücksichtigt nicht nur die astronomischen Eckwerte, die Bodentopografie und die physikalischen Fliesseigenschaften von Gletschereis, sondern insbesondere auch das Klima und die Rückkoppelungseffekte. «Es ist das erste Mal, dass die Vergletscherung der ganzen Nordhemisphäre mit einem Klimamodell, das alle wesentlichen Aspekte einschliesst, modelliert wurde», sagt Blatter.

Mit dem Modell konnten die Forschenden ausserdem erklären, warum Eiszeiten jeweils langsam beginnen und verhältnismässig schnell enden. Die eiszeitlichen Eismassen bauen sich über mehrere zehntausend Jahre auf und ziehen sich innerhalb von wenigen Tausend Jahren wieder zurück. Nun ist klar: Nicht nur die Oberflächentemperatur und die Niederschläge bestimmen, ob ein Eisschild zu- oder abnimmt. Dessen Schicksal hängt wegen den erwähnten Rückkoppelungseffekten auch von seiner Grösse ab. «Je grösser der Eisschild, umso kälter muss das Klima sein, um ihn zu erhalten», sagt Blatter. Perioden mit wärmerem Klima führen bei einem kleineren, im Aufbau begriffenen Kontinentaleisschild tendenziell weniger zu einem Abschmelzen. Ganz anders bei einem grossen Eisschild, der bis in tiefe geografische Breiten reicht: Auch eine verhältnismässig kurze warme Periode von wenigen tausend Jahren kann reichen, um einen Eisschild zum Schmelzen zu bringen und das Ende einer Eiszeit einzuläuten.

Die Milanković-Zyklen

Die Erklärung des zyklischen Wechsels von Eis- und Warmzeiten geht auf den serbischen Mathematiker Milutin Milanković (1879-1958) zurück. Er berechnete die Änderungen der Erdbahn und die daraus resultierende Sonneneinstrahlung auf die Erde und beschrieb als erster, dass die zyklischen Änderungen der Sonneneinstrahlung das Resultat einer Überlagerung einer ganzen Reihe von Zyklen sind: Die Neigung der Erdachse schwankt in einem Zyklus von 41'000 Jahren um rund zwei Grad. Zudem taumelt sie in einem Zyklus von 26'000 Jahren leicht, vergleichbar mit dem Taumeln eines Kinderkreisels. Schliesslich ändert sich die elliptische Umlaufbahn der Erde um die Sonne in einem Zyklus von rund 100'000 Jahren in zweierlei Hinsicht: Einerseits ändert sie sich von einer weniger stark elliptischen (kreisähnlichen) zu einer stärker elliptischen Form. Andererseits dreht sich die Achse dieser Ellipse in der Erdbahnebene. Erdachsentaumeln und Ellipsenachsendrehung führen dazu, dass der Tag, an dem die Erde der Sonne am nächsten steht, in einem Zyklus von rund 20'000 Jahren durch das Kalenderjahr wandert: Derzeit ist das Anfang Januar, in rund 10'000 Jahren wird es Anfang Juli sein.

Basierend auf seinen Berechnungen postulierte Milanković 1941, dass die Sonneneinstrahlung im Sommer auf 65 Grad Nord die Eis- und Warmzeiten prägt. Diese Theorie wurde zu seinen Lebzeiten von der Wissenschaftsgemeinschaft abgelehnt. Ab den 1970er Jahren wurde jedoch allmählich klarer, dass sie im Wesentlichen mit den Klimaarchiven in Meeressedimenten und Eisbohrkernen übereinstimmt. Heute ist Milankovićs Theorie breit akzeptiert. «Milankovićs Idee, dass die Sonneneinstrahlung die Eiszeiten bestimmt, war im Prinzip richtig», sagt ETH-Professor Blatter. «Schon früh hat die Wissenschaft allerdings erkannt, dass es zusätzlich Rückkoppelungseffekte im Klimasystem braucht, um die Eiszeiten zu erklären. Wir benennen und identifizieren diese Effekte jetzt präzise.» 

Literaturhinweis

Abe-Ouchi A, Saito F, Kawamura K, Raymo ME, Okuno J, Takahashi K, Blatter H: Insolation-driven 100,000-year glacial cycles and hysteresis of ice-sheet volume. Nature, 2013, 500: 190-193, doi: 10.1038/nature12374