Veröffentlicht: 27.09.13
Science

«Emissionen verpflichten uns langfristig»

Heute früh verabschiedeten die Uno-Mitgliedsländer an einer Konferenz in Stockholm den ersten Teil des neuen Sachstandsbericht zum Klima. An der Konferenz war auch Reto Knutti, Professor für Klimaphysik. Er hat als verantwortlicher Autor des Kapitels zu Langzeitklimaprognosen am neuen Bericht mitgearbeitet. ETH Life unterhielt sich mit ihm über den Bericht und den Stand des Klimawissens.

Interview: Fabio Bergamin
ETH-Professor Reto Knutti nahm an der Konferenz des IPCC in Stockholm teil. (Bild: Daniel Auf der Mauer / ETH Zürich)
ETH-Professor Reto Knutti nahm an der Konferenz des IPCC in Stockholm teil. (Bild: Daniel Auf der Mauer / ETH Zürich) (Grossbild)

Es gibt einen Klimawandel, und er ist mindestens zur Hälfte menschgemacht. Dessen ist sich die Klimawissenschaft im neuen Bericht sicherer als noch vor sechs Jahren. Warum hat die Sicherheit zugenommen?
Man hat nun mehr Beobachtungsdaten als vor sechs Jahren, insbesondere von den Ozeanen – etwa vom Meeresspiegel oder vom Meereis –, aber auch vom Permafrost auf den Landflächen. Auch hat die Wissenschaft in den vergangenen sieben Jahren Fortschritte gemacht. Wir verstehen das Klimasystem nun besser. Die neuen Daten bestätigen die bisherigen und zeigen, dass sich das Klima verhältnismässig schnell ändert.

In den vergangenen zehn Jahren wurde es auf der Erde jedoch nicht wärmer – die Temperatur blieb beinahe konstant. Das passt schlecht ins Bild der Klimaveränderung.
Die Atmosphärentemperatur stieg tatsächlich nicht so stark an wie in den Jahrzehnten zuvor. Dennoch stieg sie leicht, und die letzten zehn Jahre waren die wärmste Dekade seit Messbeginn. Die Atmosphärentemperatur ist ausserdem nicht der einzige Indikator für einen Klimawandel. Viele andere Messgrössen veränderten sich: Der Meeresspiegel stieg weiter an, das Meereis nahm weiter ab – 2012 auf ein Rekordminimum. Auch wurden die Ozeane immer wärmer.

Wie erklären Sie sich die stagnierende Atomsphärentemperatur in einem sich längerfristig erwärmenden Klima?
Klimaerwärmung heisst nicht, dass jedes Jahr wärmer ist als das vorhergehende. Vielmehr schwankt die Temperatur von Jahr zu Jahr stark. Der Hauptantrieb dafür ist der El-Niño-Effekt im Pazifik. 1998 war ein ausgeprägtes El-Niño-Jahr, mit Temperatur-Ausreissern gegen oben. In den vergangenen zehn Jahren gab es kein so starkes El-Niño-Jahr mehr. Ausserdem verändert sich die Einstrahlung der Sonne auf die Erde zyklisch und nimmt derzeit ab. Aufgrund der Sonnenaktivität würde man erwarten, dass die Temperatur sogar leicht sinken sollte. Und schliesslich vermuten wir, dass der tiefe Ozean im Moment mehr Wärme aufnimmt. Die Messdaten dazu reichen jedoch nicht ganz, um das mit Sicherheit sagen zu können.

In den vergangenen Monaten diskutierte die Wissenschaftswelt auch intensiv darüber, ob CO2 das Klima vielleicht doch nicht so stark erwärmt, wie man bisher angenommen hat.
Es ist unbestritten, dass CO2 über den Treibhauseffekt zu einer Klimaerwärmung führt. Es ist allerdings nicht ganz einfach, diesen Einfluss zu quantifizieren. Im letzten IPCC-Bericht stand, dass eine Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einem Anstieg der Temperatur von 2 bis 4,5 Grad führt. Neue Studien, darunter auch eine, an der ich beteiligt war, weisen jedoch darauf hin, dass dieser Einfluss etwas geringer sein könnte. Daher wird der Bereich im neuen Bericht breiter angegeben: von 1,5 bis 4,5 Grad. Das ändert aber das Bild nicht wesentlich.

Wir haben es angetönt: Im neuen Bericht steht, mindestens die Hälfte der Erwärmung sei menschgemacht. Was ist mit der anderen Hälfte?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist auch ein Grossteil der anderen Hälfte vom Menschen verursacht. Im Bericht steht, dass mit 95 Prozent Wahrscheinlichkeit mindestens die Hälfte menschgemacht ist. Aber unsere beste Schätzung ist, dass praktisch die ganze Erwärmung menschgemacht ist. Das mag verwirren, aber es ist wie zum Beispiel im Sport: Ich bin sicher, dass ich beim Weitsprung mehr als drei Meter schaffe, aber meine beste Schätzung für den nächsten Sprung ist sechs Meter.

Sie verbrachten nun vier Tage an der Konferenz des Intergovernmental Panel on Climate Change in Stockholm. Worum ging es dabei?
Der Sachstandsbericht wird von Wissenschaftlern verfasst. Als Entwurf lag er schon lange vor der Konferenz vor. Da es sich beim IPCC jedoch um ein Uno-Gremium handelt, muss der Bericht von der Politik abgesegnet werden. An der Konferenz wird vor allem über den Wortlaut der vielbeachteten, rund 30 Seiten starken Zusammenfassung für Entscheidungsträger diskutiert. Sie muss von den Uno-Mitgliedsländern einstimmig angenommen werden.

Nimmt die Politik dabei Einfluss auf die Wissenschaft?
Fakten sind Fakten, und die Regierungen können diese nicht ändern. Aber sie können mitreden, welche Punkte in die Zusammenfassung kommen, und den exakten Wortlaut bestimmen. Oft werden die Aussagen dabei verständlicher und klarer. Und manchmal werden im Sinne eines Kompromisses so viele Ergänzungen und Fussnoten gemacht, dass eine Aussage fast unlesbar wird. Über einzelne Aussagen haben wir die ganze vergangene Nacht debattiert, und einige Regierungen haben während Stunden versucht, die Aussagen zu verwässern. Aber am Schluss sind alle Fakten der Wissenschaft unverändert geblieben.

Der IPCC-Bericht von 2007 enthielt eine vieldiskutierte Falschaussage zum Gletscherschwund im Himalaya. Der Gletscherschwund wurde im Bericht übertrieben dargestellt. Sind solche Fehler auch im neuen Bericht möglich?
Der IPCC hat die Qualitätssicherung nochmals erhöht. Wie schon bei den früheren Auflagen wurde auch der neue Bericht von externen Experten begutachtet. Sowohl Wissenschaftler als auch Regierungsvertreter konnten Einwände formulieren, welche die Autoren schriftlich beantworten mussten. Dieser Prozess wurde von sogenannten Review Editors, also einer Art wissenschaftlichen Schiedsrichtern, überwacht. Fehler sollten dadurch reduziert werden. Aber es wird nie möglich sein, Tausende von Seiten ganz ohne Fehler zu schreiben.

Der neue Bericht benutzt nicht mehr dieselben Klimaszenarien wie der letzte. Warum?
Die früheren Berichte arbeiteten mit technologischen Szenarien. Experten für Energie, Technologie und Wirtschaft erstellten diese Szenarien. Die Szenarien unterschieden sich im Wesentlichen darin, wie stark die Gesellschaft in Zukunft auf fossile und wie stark auf alternative Energien setzen wird. Die Klimaphysiker bezogen sich in ihren Berechnungen auf diese Szenarien. Und auf ihre Resultate wiederum beriefen sich die Experten für die Folgen des Klimawandels und für den Umgang damit. Das System hatte den Nachteil, dass die technologischen Szenarien oft veraltet waren, als die Resultate der Klimaphysiker und Klimafolgen-Experten vorlagen. Kritiker stellten dann nicht nur die technologische Machbarkeit der Szenarien infrage, sondern auch die Aussagekraft der Berichte als Ganzes.Wie ist man diesem Problem begegnet?

Wie ist man diesem Problem begegnet?
Nun definiert man die Szenarien über die atmosphärische Konzentration an Treibhausgasen. Es gibt ein optimistisches Szenario, das in etwa dem Zwei-Grad-Klimaziel entspricht, ein pessimistisches Szenario über vier Grad, und zwei dazwischen. Die Änderung hat den Vorteil, dass wir nun gleichzeitig die Klimafolgen berechnen können, während die Ökonomen mögliche Technogien und Kosten dazu abschätzen können. Aber obschon die Szenarien jetzt anders definiert sind: Die Klima-Voraussagen haben sich nicht wesentlich geändert.

Was ist aus Ihrer persönlichen Sicht das wichtigste Resultat des Berichts?
Ausgestossenes CO2 verbleibt während mehreren Jahrhunderten in der Atmosphäre – es akkumuliert dort. Im Bericht steht, dass die totale CO2-Menge der Hauptverursacher der langfristigen Klimaerwärmung ist. Und dass Treibhausgas-Emissionen eine über Jahrhunderte andauernde Verpflichtung von vergangenen und gegenwärtigen Generationen für die Zukunft darstellt. Für mich sind dies die Hauptaussagen. Die Gesellschaft muss sich überlegen, wie sie damit umgeht. Wenn sich Ökonomie und Politik mit langfristigen Fragen beschäftigen, meinen sie damit den Zeithorizont der nächsten 20, 30, vielleicht allerhöchstens 50 Jahre. Hier geht es um ein Langfristproblem, das diesen Rahmen sprengt. Das CO2-Budget, das die Menschheit total emittieren darf, ist beschränkt. Zwei Drittel des CO2 für das Zwei-Grad-Ziel haben wir schon verbraucht. Je früher wir unseren Ausstoss drastisch reduzieren, desto grösser ist der Handlungsspielraum späterer Generationen. Je länger wir zögern mit Handeln, desto schwieriger wird es, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten.

ETH-Klimarunde 2013

Elf Klimaforscherinnen und -forscher der ETH Zürich haben am ersten Teil des fünften IPCC-Klimaberichts mitgearbeitet. Sie stehen der Öffentlichkeit am Donnerstag, 3. Oktober Red und Antwort. An der ETH-Klimarunde 2013 thematisieren sie gemeinsam mit Expertinnen und Experten anderer Institutionen die brennendsten Fragen rund um den Klimabericht an Tischgesprächen, Vorträgen und einer Podiumsdiskussion. Die Anmeldung ist kostenlos, die Teilnehmerzahl jedoch beschränkt. Bitte registrieren Sie sich bis am 30. September.