«Emissionen verpflichten uns langfristig»
Heute früh verabschiedeten die Uno-Mitgliedsländer an einer Konferenz in Stockholm den ersten Teil des neuen Sachstandsbericht zum Klima. An der Konferenz war auch Reto Knutti, Professor für Klimaphysik. Er hat als verantwortlicher Autor des Kapitels zu Langzeitklimaprognosen am neuen Bericht mitgearbeitet. ETH Life unterhielt sich mit ihm über den Bericht und den Stand des Klimawissens.
Es gibt einen Klimawandel, und er ist mindestens zur Hälfte menschgemacht. Dessen ist
sich die Klimawissenschaft im neuen Bericht sicherer als noch vor sechs Jahren.
Warum hat die Sicherheit zugenommen?
Man hat nun mehr Beobachtungsdaten als vor
sechs Jahren, insbesondere von den Ozeanen – etwa vom Meeresspiegel oder vom
Meereis –, aber auch vom Permafrost auf den Landflächen. Auch hat die
Wissenschaft in den vergangenen sieben Jahren Fortschritte gemacht. Wir verstehen
das Klimasystem nun besser. Die neuen Daten bestätigen die bisherigen und
zeigen, dass sich das Klima verhältnismässig schnell ändert.
In den
vergangenen zehn Jahren wurde es auf der Erde jedoch nicht wärmer – die
Temperatur blieb beinahe konstant. Das passt schlecht ins Bild der
Klimaveränderung.
Die Atmosphärentemperatur stieg tatsächlich
nicht so stark an wie in den Jahrzehnten zuvor. Dennoch stieg sie leicht, und
die letzten zehn Jahre waren die wärmste Dekade seit Messbeginn. Die
Atmosphärentemperatur ist ausserdem nicht der einzige Indikator für einen
Klimawandel. Viele andere Messgrössen veränderten sich: Der Meeresspiegel stieg
weiter an, das Meereis nahm weiter ab – 2012 auf ein Rekordminimum. Auch wurden
die Ozeane immer wärmer.
Wie erklären
Sie sich die stagnierende Atomsphärentemperatur in einem sich längerfristig
erwärmenden Klima?
Klimaerwärmung heisst nicht, dass jedes Jahr
wärmer ist als das vorhergehende. Vielmehr schwankt die Temperatur von Jahr zu
Jahr stark. Der Hauptantrieb dafür ist der El-Niño-Effekt im Pazifik. 1998 war
ein ausgeprägtes El-Niño-Jahr, mit Temperatur-Ausreissern gegen oben. In den
vergangenen zehn Jahren gab es kein so starkes El-Niño-Jahr mehr. Ausserdem
verändert sich die Einstrahlung der Sonne auf die Erde zyklisch und nimmt
derzeit ab. Aufgrund der Sonnenaktivität würde man erwarten, dass die
Temperatur sogar leicht sinken sollte. Und schliesslich vermuten wir, dass der
tiefe Ozean im Moment mehr Wärme aufnimmt. Die Messdaten dazu reichen jedoch
nicht ganz, um das mit Sicherheit sagen zu können.
In den
vergangenen Monaten diskutierte die Wissenschaftswelt auch intensiv darüber, ob
CO2 das Klima vielleicht doch nicht so stark erwärmt, wie man bisher
angenommen hat.
Es ist unbestritten, dass CO2 über
den Treibhauseffekt zu einer Klimaerwärmung führt. Es ist allerdings nicht ganz
einfach, diesen Einfluss zu quantifizieren. Im letzten IPCC-Bericht stand, dass
eine Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einem
Anstieg der Temperatur von 2 bis 4,5 Grad führt. Neue Studien, darunter auch
eine, an der ich beteiligt war, weisen jedoch darauf hin, dass dieser Einfluss
etwas geringer sein könnte. Daher wird der Bereich im neuen Bericht breiter
angegeben: von 1,5 bis 4,5 Grad. Das ändert aber das Bild nicht wesentlich.
Wir haben es
angetönt: Im neuen Bericht steht, mindestens die Hälfte der Erwärmung sei
menschgemacht. Was ist mit der anderen Hälfte?
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist auch ein
Grossteil der anderen Hälfte vom Menschen verursacht. Im Bericht steht, dass mit
95 Prozent Wahrscheinlichkeit mindestens die Hälfte menschgemacht ist. Aber
unsere beste Schätzung ist, dass praktisch die ganze Erwärmung menschgemacht
ist. Das mag verwirren, aber es ist wie zum Beispiel im Sport: Ich bin sicher,
dass ich beim Weitsprung mehr als drei Meter schaffe, aber meine beste
Schätzung für den nächsten Sprung ist sechs Meter.
Sie
verbrachten nun vier Tage an der Konferenz des Intergovernmental Panel on
Climate Change in Stockholm. Worum ging es dabei?
Der Sachstandsbericht wird von
Wissenschaftlern verfasst. Als Entwurf lag er schon lange vor der Konferenz
vor. Da es sich beim IPCC jedoch um ein Uno-Gremium handelt, muss der Bericht von
der Politik abgesegnet werden. An der Konferenz wird vor allem über den
Wortlaut der vielbeachteten, rund 30 Seiten starken Zusammenfassung für
Entscheidungsträger diskutiert. Sie muss von den Uno-Mitgliedsländern
einstimmig angenommen werden.
Nimmt die
Politik dabei Einfluss auf die Wissenschaft?
Fakten sind Fakten, und die Regierungen
können diese nicht ändern. Aber sie können mitreden, welche Punkte in die
Zusammenfassung kommen, und den exakten Wortlaut bestimmen. Oft werden die
Aussagen dabei verständlicher und klarer. Und manchmal werden im Sinne eines
Kompromisses so viele Ergänzungen und Fussnoten gemacht, dass eine Aussage fast
unlesbar wird. Über einzelne Aussagen haben wir die ganze vergangene Nacht
debattiert, und einige Regierungen haben während Stunden versucht, die Aussagen
zu verwässern. Aber am Schluss sind alle Fakten der Wissenschaft unverändert
geblieben.
Der
IPCC-Bericht von 2007 enthielt eine vieldiskutierte Falschaussage zum
Gletscherschwund im Himalaya. Der Gletscherschwund wurde im Bericht übertrieben
dargestellt. Sind solche Fehler auch im neuen Bericht möglich?
Der IPCC hat die Qualitätssicherung nochmals
erhöht. Wie schon bei den früheren Auflagen wurde auch der neue Bericht von
externen Experten begutachtet. Sowohl Wissenschaftler als auch
Regierungsvertreter konnten Einwände formulieren, welche die Autoren
schriftlich beantworten mussten. Dieser Prozess wurde von sogenannten Review
Editors, also einer Art wissenschaftlichen Schiedsrichtern, überwacht. Fehler
sollten dadurch reduziert werden. Aber es wird nie möglich sein, Tausende von
Seiten ganz ohne Fehler zu schreiben.
Der neue
Bericht benutzt nicht mehr dieselben Klimaszenarien wie der letzte. Warum?
Die früheren Berichte arbeiteten mit
technologischen Szenarien. Experten für Energie, Technologie und Wirtschaft
erstellten diese Szenarien. Die Szenarien unterschieden sich im Wesentlichen
darin, wie stark die Gesellschaft in Zukunft auf fossile und wie stark auf alternative
Energien setzen wird. Die Klimaphysiker bezogen sich in ihren Berechnungen auf
diese Szenarien. Und auf ihre Resultate wiederum beriefen sich die Experten für
die Folgen des Klimawandels und für den Umgang damit. Das System hatte den
Nachteil, dass die technologischen Szenarien oft veraltet waren, als die
Resultate der Klimaphysiker und Klimafolgen-Experten vorlagen. Kritiker
stellten dann nicht nur die technologische Machbarkeit der Szenarien infrage,
sondern auch die Aussagekraft der Berichte als Ganzes.Wie ist man
diesem Problem begegnet?
Wie ist man
diesem Problem begegnet?
Nun definiert man die Szenarien über die
atmosphärische Konzentration an Treibhausgasen. Es gibt ein optimistisches
Szenario, das in etwa dem Zwei-Grad-Klimaziel entspricht, ein pessimistisches
Szenario über vier Grad, und zwei dazwischen. Die Änderung hat den Vorteil, dass
wir nun gleichzeitig die Klimafolgen berechnen können, während die Ökonomen
mögliche Technogien und Kosten dazu abschätzen können. Aber obschon die
Szenarien jetzt anders definiert sind: Die Klima-Voraussagen haben sich nicht
wesentlich geändert.
Was ist aus
Ihrer persönlichen Sicht das wichtigste Resultat des Berichts?
Ausgestossenes CO2 verbleibt während
mehreren Jahrhunderten in der Atmosphäre – es akkumuliert dort. Im Bericht
steht, dass die totale CO2-Menge der Hauptverursacher der
langfristigen Klimaerwärmung ist. Und dass Treibhausgas-Emissionen eine über
Jahrhunderte andauernde Verpflichtung von vergangenen und gegenwärtigen
Generationen für die Zukunft darstellt. Für mich sind dies die Hauptaussagen.
Die Gesellschaft muss sich überlegen, wie sie damit umgeht. Wenn sich Ökonomie
und Politik mit langfristigen Fragen beschäftigen, meinen sie damit den
Zeithorizont der nächsten 20, 30, vielleicht allerhöchstens 50 Jahre. Hier geht
es um ein Langfristproblem, das diesen Rahmen sprengt. Das CO2-Budget,
das die Menschheit total emittieren darf, ist beschränkt. Zwei Drittel des CO2
für das Zwei-Grad-Ziel haben wir schon verbraucht. Je früher wir unseren
Ausstoss drastisch reduzieren, desto grösser ist der Handlungsspielraum
späterer Generationen. Je länger wir zögern
mit Handeln, desto schwieriger wird es, das Zwei-Grad-Ziel einzuhalten.
ETH-Klimarunde 2013
Elf Klimaforscherinnen und -forscher der ETH Zürich haben am ersten Teil des fünften IPCC-Klimaberichts mitgearbeitet. Sie stehen der Öffentlichkeit am Donnerstag, 3. Oktober Red und Antwort. An der ETH-Klimarunde 2013 thematisieren sie gemeinsam mit Expertinnen und Experten anderer Institutionen die brennendsten Fragen rund um den Klimabericht an Tischgesprächen, Vorträgen und einer Podiumsdiskussion. Die Anmeldung ist kostenlos, die Teilnehmerzahl jedoch beschränkt. Bitte registrieren Sie sich bis am 30. September.
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