Veröffentlicht: 02.07.13
Science

Neue Markersubstanz für Krebszellen

Wissenschaftler der ETH Zürich haben eine neue Substanz entwickelt, mit dem bestimmte Tumorarten mittels Positronen-Emissions-Tomografie hochauflösend sichtbar gemacht werden können. Der sogenannte Tracer wurde erfolgreich in Mäusen getestet. Nun planen die Forscher die klinische Erprobung am Menschen.

Fabio Bergamin
Postdoc Thomas Betzel bereitet die Synthese des neu entwickelten Folsäure-PET-Tracers für die Anwendung an Krebspatienten vor. (Bild: Gloria Pla / ETH Zürich)
Postdoc Thomas Betzel bereitet die Synthese des neu entwickelten Folsäure-PET-Tracers für die Anwendung an Krebspatienten vor. (Bild: Gloria Pla / ETH Zürich) (Grossbild)

Bildgebende Verfahren in der Krebsmedizin liefern längst nicht nur Informationen über Ausmass und Lage von Krebsgeschwüren. Es gibt moderne Methoden, welche die Tumorzellen darüber hinaus sehr genau charakterisieren, etwa, welche spezifischen Moleküle sie an ihrer Oberfläche tragen. Aus solchen Zusatzinformationen gewinnen Ärzte wichtige Hinweise auf den genauen Krebstyp, oder sie können die Wahrscheinlichkeit abschätzen, dass ein Patient auf eine bestimmte Therapieform ansprechen wird.

Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) ist ein solches Verfahren. Anders als bei der Computertomografie oder der Magnetresonanztomografie wird bei der PET nicht das Körpergewebe sichtbar gemacht, sondern radioaktiv markierte Moleküle – Tracer genannt – im Körperinnern. Diese werden vor der Messung in die Blutbahn eines Patienten gebracht. Nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip heften sie sich an bestimmte Zelloberflächenmoleküle. Durch die radioaktive Strahlung wird im PET-Bild spezifisch Zellgewebe mit diesen Oberflächenmolekülen angezeigt.

Forschende der ETH Zürich, des Paul-Scherrer-Instituts und der Firma Merck Millipore haben nun einen neuen Tracer für PET entwickelt, der an den Folsäure-Rezeptor bindet. Dieser Rezeptor ist interessant, weil er unter anderem auf der Zelloberfläche vieler Krebsarten und dort gehäuft vorkommt. Das PET-Bild gibt Auskunft über Grösse und Lage des Tumors sowie über die Dichte der Folsäure-Rezeptoren an der Zelloberfläche.

Weltweit erste klinische Studie

Die Forscher unter der Leitung von Simon Ametamey und Roger Schibli, beides Professoren am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich, haben ihre neue Substanz erfolgreich in Mäusen mit Gebärmutterhals-Tumoren getestet. In einem nächsten Schritt möchten die Wissenschaftler nun untersuchen, ob sich die Substanz in Menschen als ähnlich erfolgreich erweist. Dazu ist eine Pilotstudie bei Patientinnen und Patienten mit Eierstock-, Lungen- und Darmkrebs in mehreren Schweizer Spitälern geplant, darunter dem Universitätsspital Zürich. Es wird weltweit die erste klinische Studie eines Folsäure-Rezeptor-Tracers für PET an Patienten sein.

Sollte sich die Substanz dabei als geeignet erweisen, möchten die Wissenschaftler sie in Zukunft dafür einsetzen, die Wirksamkeit von Chemotherapien im Voraus abzuschätzen. Dabei denken sie vor allem an eine neue Generation von Krebsmedikamenten, die ebenfalls an den Folsäure-Rezeptor andockt, über diesen ins Innere von Krebszellen geschleust wird und spezifisch dort ihre Wirkung entfaltet.

Personalisierte Medizin

«Für diesen zielgerichteten Therapieansatz mit zelltoxischen Substanzen bietet unser PET-Tracer eine wichtige Ergänzung», sagt Ametamey. Denn eine Schwierigkeit bei der neuen Therapieform ist, dass die Krebszellen nicht bei allen Patienten den Folsäure-Rezeptor tragen. Bei Eierstock-, Gebärmutterhals- und Hirntumoren sind es 9 von 10 Patientinnen und Patienten, bei Lungenkrebs gut drei Viertel und bei Brustkrebs knapp die Hälfte. Bei Patientinnen und Patienten ohne den Rezeptor wäre die neuartige Chemotherapie wirkungslos.

Mithilfe des neuen Verfahrens könnte es möglich sein, bereits im Voraus abzuschätzen, ob eine Patientin oder ein Patient auf eine solche Therapie anspricht. Bei Patienten, bei denen der Tumor keine Folsäure-Rezeptoren besitzt, könnte man auf diese Therapie verzichten, womit die Patienten von Nebenwirkungen verschont blieben. Ausserdem können Mediziner mit PET den Therapieverlauf kontrollieren und dabei untersuchen, ob der Tumor schrumpft.

Entzündungen sichtbar machen

Der neue PET-Tracer ist allerdings nicht nur für die Krebsmedizin interessant, sondern ebenso geeignet, um Entzündungsreaktionen im Körper sichtbar zu machen. Denn der Folsäure-Rezeptor ist auch bei bestimmten Zellen des Immunsystems, den Makrophagen (Fresszellen), vermehrt an der Oberfläche zu finden, und zwar nur, wenn diese während einer Entzündungsreaktion in einem sogenannt aktivierten Zustand sind. So wäre es beispielsweise denkbar, die neue Markersubstanz zu verwenden, um Entzündungskrankheiten wie Arteriosklerose, Arthritis oder entzündliche Darmerkrankungen mit PET sichtbar zu machen.

Ausserdem ist ein dritter Anwendungsbereich für die Substanz denkbar: den der Medikamentenentwicklung. «Wenn wir eine Methode haben, um auf nicht-invasive Weise chronische Entzündungsreaktionen nachzuweisen, können wir die Wirksamkeit von entzündungshemmenden Medikamenten besser testen», erklärt Schibli.

Einziges Labor in der Schweiz

Die Arbeit mit der radioaktiven PET-Markersubstanz stellt besondere Ansprüche an die Laborinfrastruktur. Die ETH Zürich beheimatet das einzige Labor in der Schweiz, welches die Einrichtung für die Entwicklung neuer radioaktiver Substanzen besitzt und zugleich die Anforderungen erfüllt, solche Substanzen für den Einsatz in klinischen Versuchen am Menschen herzustellen. Dabei geht es insbesondere darum, die Moleküle in grosser Reinheit und in ausreichenden Mengen zu produzieren. PET-Tracer sind nicht lagerfähig. Das in dieser Arbeit verwendete radioaktive Isotop Fluor-18 zerfällt rasch: Es hat eine Halbwertszeit von weniger als zwei Stunden. Daher entwickelten die Forscher ein nicht-radioaktives Vorgängermolekül, in das sie das radioaktive Fluor-18 in einem einzigen letzten Schritt einfügen können. Das Endprodukt muss nach der Herstellung und der Qualitätsprüfung unverzüglich zum Patienten transportiert werden.

Literaturhinweis

Betzel T, Müller C, Groehn V, Müller A, Reber J, Fischer CR, Krämer SD, Schibli R, Ametamey SM: Radiosynthesis and Preclinical Evaluation of 3‘-Aza-2‘-[18F]fluorofolic Acid: A Novel PET Radiotracer for Folate Receptor Targeting. Bioconjugate Chemistry, 2013, 24, 205-214. DOI: 10.1021/bc300483a

 
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