Veröffentlicht: 24.06.13
Science

Die fluorfreie Outdoor-Jacke

Wasserfeste und atmungsaktive Kleidung enthält oft problematische Fluorverbindungen. Ein ETH-Student hat nun im Rahmen einer Masterarbeit eine fluorfreie Membran entwickelt, die den Vergleich mit handelsüblichen Produkten nicht zu scheuen braucht.

Franziska Schmid
Mario Stucki hat im Rahmen seiner Masterarbeit eine fluorfreie Outdoor-Jacke entwickelt. (Bild: Josef Kuster / ETH Zürich)
Mario Stucki hat im Rahmen seiner Masterarbeit eine fluorfreie Outdoor-Jacke entwickelt. (Bild: Josef Kuster / ETH Zürich) (Grossbild)

In nur 16 Wochen eine Jacke aus einem neuen wasserabweissenden Material entwickeln –dieses Kunststück ist dem Chemie- und Bioingenieurstudenten Mario Stucki gelungen. Er verfasste seine Masterarbeit am Labor für funktionelles Material-Engineering von Professor Wendelin Stark, dessen Gruppe unter anderem an nanoporösen Materialien forscht. Diese Materialien sind mit Löchern im Nanobereich durchsiebt und können als hochsensible Filter eingesetzt werden. Will man zum Beispiel im Biotechbereich oder bei der Wasseraufbereitung kleinste Partikel zurückhalten, sind nanoporöse Materialien oft die erste Wahl.

Weniger bekannt ist, dass auch atmungsaktive, wasserabstossende Textilien wie zum Beispiel Gore-Tex aus einer porösen Membran bestehen. Die Wirkungsweise ist dabei einfach: Wassertropfen sind rund 200 000 Mal grösser als die Poren der Membran und können diese deshalb nicht durchdringen. Körperfeuchtigkeit in Form des viel feineren Wasserdampfs hingegen passiert die Membran problemlos. «Alle atmungsaktiven Funktionstextilien arbeiten nach diesem Prinzip», erklärt Christoph Kellenberger, der als Doktorand die Masterarbeit von Mario Stucki betreut, «also sind wir auf die Idee gekommen, dass man unsere Materialien auch für Textilien verwenden könnte.»

Problematisches Teflon

Gore-Tex und viele andere Funktionstextilien haben einen entscheidenden Nachteil: Die Membranen bestehen aus Polytetrafluorethylen, kurz PTFE genannt. PTFE ist auch besser bekannt unter dem Handelsnamen Teflon. An sich ist Teflon ungefährlich, solange der darin enthaltende Fluor gebunden ist. Freigesetzter Fluor ist aber hochreaktiv, und deshalb können Fluorverbindungen aus mehreren Gründen problematisch sein: Einerseits können schon bei der Herstellung persistente toxische Stoffe entstehen. Wenn PTFE bei der Entsorgung verbrannt wird, können zudem giftige Fluorverbindungen, wie zum Beispiel die hochgiftige Flusssäure, entweichen und in die Umwelt gelangen. «Das Ziel meiner Masterarbeit war deshalb, ein nanoporöses Material zu entwickeln, das zwar die gleichen Eigenschaften wie die handelsüblichen Membranen besitzt, aber fluorfrei und damit vollkommen problemlos entsorgbar ist», fasst Mario Stucki sein Projekt zusammen.

Der Masterstudent konnte dabei auf die Erfahrungen der Forschungsgruppe zurückgreifen, welche schon mit verschiedenen porösen Polymeren gearbeitet hat. Das Verfahren ist denkbar einfach: Die Forscher tragen eine Mischung aus einem Lösungsmittel, einem – in diesem Fall fluorfreien – Polymer und aus Kalknanopartikeln auf eine Fläche auf und lassen das Lösungsmittel verdampfen. Übrig bleibt eine Schicht aus Kunststoff, die durchgehend mit Kalkpartikeln gespickt ist. Mit Hilfe von Säure lösen die Wissenschaftler anschliessend den Kalk heraus. Überall dort, wo die Partikel waren, entstehen so winzige Löcher. Den Kunststoff, den Mario Stucki verwendet, ist von der amerikanischen Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA zugelassen, was bedeutet, dass er auch für Prothesen oder bei Lebensmitteln eingesetzt werden könnte.

Dichter als handelsübliche Produkte

Bei Tests im Labor hat sich schnell gezeigt, dass die Membran den Vergleich mit den handelsüblichen Produkten nicht zu scheuen braucht. Um die Wasserdichtigkeit von Geweben beziffern zu können, wird meistens die Masseinheit Wassersäule verwendet, wobei 1 Meter Wassersäule dem hydrostatischen Druck in 1 Meter Wassertiefe entspricht. «Unser Material weist 60 Meter Wassersäule auf. Somit ist es dichter als handelsübliche Produkte, die nur höchstens 40 Meter Wassersäule aushalten», sagt Stucki. Die Atmungsaktivität wird normalerweise in Gramm Wasserdampf pro Tag und Quadratmeter angeben. Die ETH-Membran weist einen Wert von ungefähr 1000 Gramm Wasserdampf pro Quadratmeter und Tag auf. Dieser Wert liegt im gleichen Bereich wie die von simultan getesteten Produkten, die bereits auf dem Markt sind.

Fertige Jacke im eigenen Design

Eine neue Membran zu entwickeln und zu testen, war dem Masterstudenten allerdings noch nicht genug. Er wollte wissen, ob sich das Material auch in der Praxis bewähren würde. In der Zürcher Firma Stotz Fabrics fanden Kellenberger und Stucki eine Textilfirma, welche Gewebe aus wasserabstossender Bio-Baumwolle anbietet. Die Textilien, die normalerweise bei Outdoorkleidung verwendet werden, sind meist mit poly- und perfluorierten Alkylsubstanzen imprägniert, was ebenfalls problematisch sein kann (ETH Life berichtete). Der Stoff von Stotz Fabrics ist mit ungiftigem Paraffin behandelt.

Stoff und Membran klebte Stucki mit einem handelsüblichen, natürlich ebenfalls fluorfreien Kleber zusammen. Zudem konnte er noch eine Designerin von seinem Projekt überzeugen. Angela Wyss von Honschi hat einen Prototyp einer fluorfreien Jacke entworfen und geschneidert. Die Jacke liess sich mit herkömmlichen Methoden fertigen. Allerdings erwies sich das verwendete Polymer als ziemlich steif, was die Jacke etwas unbequem macht. «Es wäre aber kein Problem, unser Verfahren auf weichere Polymere anzuwenden, um den fertigen Stoff geschmeidiger zu machen», erläutert Kellenberger.

Bei der Jacke handelt es sich lediglich um einen ersten Versuch. Zurzeit steht noch nicht fest, ob Kellenberger und Stucki das Projekt weiterverfolgen. Bis zu einer marktfähigen Jacke wäre der Weg sicher noch lang, denn beim Tragekomfort spielt nicht nur die Membran eine entscheidende Rolle, sondern auch Komponenten wie Verarbeitung oder Schnitt der Jacke. Stucki hat jedenfalls bewiesen, dass Outdoor-Bekleidung in Zukunft durchaus fluorfrei sein könnte – und das in nur 16 Wochen.