Veröffentlicht: 12.06.13
Science

Mit kleiner RNA Dogmen umgestossen

Der Rössler-Preis 2013 geht an Olivier Voinnet, Professor für RNA-Biologie am Departement Biologie. Zusammen mit über zwei Dutzend Mitarbeitenden untersucht er Funktionen und Rollen von kleinen interferierenden RNA-Molekülen bei der Regulation lebenswichtiger Vorgänge wie der Immunantwort.

Peter Rüegg
Donator Max Rössler (links) überreichte Olivier Voinnet am «Thanks Giving»-Anlass der ETH Foundation den Rössler Preis. Die Laudatio hielt ETH-Präsident Ralph Eichler (Bild: Heidi Hostettler/ETH Zürich).
Donator Max Rössler (links) überreichte Olivier Voinnet am «Thanks Giving»-Anlass der ETH Foundation den Rössler Preis. Die Laudatio hielt ETH-Präsident Ralph Eichler (Bild: Heidi Hostettler/ETH Zürich). (Grossbild)

Olivier Voinnet entspricht nicht dem Bild, das man von einem Professor hat. Er trägt tarnfarbige «All Star»-Stoffschuhe, verwaschene, auf Fersenhöhe ausgefranste Jeans. Einen Wollpullover, darunter ein Hemd. Die langen Haare sind im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. So sitzt er seinem Förderer gegenüber, dem früheren Finanzmathematiker Max Rössler, der in Anzug und mit sauber gebundener Krawatte zuhört, was der Biologe über seine Forschung berichtet.

Der Franzose arbeitet an der Erforschung von kleinen Ribonukleinsäuren (RNA). Diese Klasse von Molekülen wurde erst vor 15 Jahren entdeckt, nicht nur, weil sie so klein sind, sondern vor allem deshalb, weil die Gene, die den Code für den Bau dieser Moleküle tragen, lange nur als «Junk DNA» von unbekanntem Nutzen galten. Ein zentrales Dogma der Biologie war überdies, dass RNA eine transportfähige Abschrift eines Gens und damit der Plan für den Bau eines Proteins ist. Die Rolle der kleinen RNA-Moleküle weicht davon jedoch ab. Sie dienen unter anderem der Regulation und Stilllegung von Genen und werden deshalb als small interfering RNA (siRNA) bezeichnet, die gerade mal aus 21 Basenpaaren bestehen. Die Erkenntnisse rund um diese Klasse von RNA-Molekülen stiessen ein zentrales Dogma der Biologie um.

Pflanze nutzt Viren-RNA zur Abwehr

An diesem «Umsturz» massgeblich beteiligt war und ist Olivier Voinnet. Für diese und weitere herausragenden wissenschaftlichen Leistungen erhielt er deshalb den mit 200'000 Franken dotierten Rössler-Preis 2013. Preisstifter Max Rössler übergab dem ETH-Professor die Ehrung gestern Abend im Rahmen des «Thanks Giving», das die ETH Foundation einmal im Jahr für Donatoren der ETH Zürich ausrichtet.

Die Forschungskarriere des 41-jährigen Olivier Voinnet begann mit dem Studium der Molekular- und Zellbiologie an der Université Pierre et Marie Curie in Paris, das er 1994 beendete. 1996 schloss er als Diplomingenieur in Agronomie am Agro Paris Tech ab. Nach seinem Studium zog es ihn ins Sainsbury Laboratory in Norwich, England, wo er unter der Führung von Sir David Baulcombe 2001 promovierte. In dieser Zeit gelang Voinnet der wissenschaftliche Durchbruch als Mitentdecker der RNA-Interferenz (RNAi) in Pflanzen.

So fand er heraus, dass sich Pflanzen mithilfe von siRNA gegen eindringende Viren wehren. Die siRNA stammt vom Erreger selbst und dient der Pflanze als Erkennungsmarke dazu, die Virengene hoch spezifisch aufzuspüren, zu blockieren und auszuschalten. Weiter konnte Voinnet aufzeigen, dass sich diese Form der Immunabwehr in der ganzen Pflanze ausbreitet, dass das Virus aber mit eigenen Proteinen die pflanzlichen Enzyme, welche für die RNAi unerlässlich sind, ausser Gefecht setzt.

«ETH vertraut ihren Forschenden»

Noch ein weiteres Jahr arbeiteten Baulcombe und Voinnet zusammen, ehe der Franzose 2002 in seine Heimat an das Institut de Biologie Moléculaire des Plantes du CNRS in Strassburg berufen wurde. Im Jahr 2005 wurde er bereits zum Forschungsdirektor ernannt. Schliesslich erhielt Voinnet den Ruf an die ETH Zürich, wo er seit Ende 2010 als ordentlicher Professor für RNA-Biologie am Departement Biologie arbeitet.

Neben seiner Professur führt er nach wie vor das Institut in Strassburg. Dieses Engagement erfordere jedoch nicht mehr den gleichen Einsatz wie früher, sagt der ETH-Professor, sodass er sich voll auf seine Arbeit in Zürich konzentrieren könne. Zumal er hier viel mehr Möglichkeiten hat, um seine Forschung zu betreiben. In Frankreich sei das Geld für Forschung knapp, und das wenige werde gleichmässig auf die Forschenden verteilt. An der ETH Zürich habe er eine andere Mentalität kennen und schätzen gelernt.

«Die ETH vertraut ihren Forschern», sagt er. «Ich muss mich nicht dauernd für meine Forschungsideen rechtfertigen. So kann ich mich voll darauf konzentrieren, sie zu realisieren», betont Voinnet. Und Ideen hat er viele. Eben hat er entdeckt, dass der Mechanismus der RNAi auch bei der Virenabwehr in Säugetierzellen eine Rolle spielt. Das Preisgeld will er deshalb dafür verwenden, um der RNAi in diesen Zellen auf den Grund zu gehen.

«Das System der RNAi ist universell», sagt der ETH-Professor. Es komme in allen eukaryotischen Organismen, also in Hefen, Pflanzen, Mäusen und letztlich dem Menschen, vor. Wahrscheinlich habe es sich früh in der Evolutionsgsgeschichte entwickelt und sei über Jahrmillionen erhalten geblieben, betont Voinnet. Mit der Idee, dass RNAi ein Teil des Immunsystems von Wirbeltieren ist, wird er wohl ein nächstes Dogma der Biologie umstossen.

Aussergewöhnlicher Forscher

Voinnet sprüht vor Begeisterung. Er lebt für sein Fachgebiet, investiert seine ganze Schaffenskraft in die Erforschung dieser geheimnisvollen Signalstoffe und die RNA-Interferenz. Wie umfassend die Biologie der kleinen RNS-Moleküle ist, widerspiegelt sich auch in der breiten Ausrichtung seiner Forschungsgruppe. Hauptgegenstand ist zwar die Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, in den Reihen von Voinnets Forscherinnen und Forschern finden sich aber auch Personen, die mit tierischen Zellen, Stammzellen oder sogar mit Muttermilch (vgl. ETH Life) arbeiten. Seine Gruppe in Zürich besteht aus über 25 Leuten, die entsprechend viel Laborraum benötigen.

Labore, die Voinnet auf einem Rundgang im LFW-Gebäude gerne präsentiert. Darin steht hochkarätiges Equipment. Besonders stolz ist der Biologie auf sein «Gewächshaus» im Keller des LFW-Gebäudes. Bei Kunstlicht hält er Hunderte von Arabidopsis-Setzlingen unterschiedlicher Genvarianten, anhand derer er und seine Mitarbeiter die Funktionen von verschiedenen siRNAs untersuchen.

Dank seiner unerschöpflich scheinenden Energie hat sich Voinnet als führender Forscher in der RNAi etabliert und erhielt für seine Arbeit zahlreiche wichtige Auszeichnungen. Eine seiner wichtigsten: Im Jahr 2009 wurde ihm die EMBO Gold Medal als jüngster jemals damit geehrter Wissenschaftler überreicht. Diese Medaille gilt als einer der renommiertesten europäischen Forschungspreise für Nachwuchsforscher. Zudem bewarb er sich erfolgreich für den ERC Starting Grant und den ERC Advanced Grant.

Rössler-Preis

Der promovierte Mathematiker und ETH-Absolvent Max Rössler schenkte 2007 der ETH Zürich zehn Millionen Franken mit einer Donation an die ETH Zürich Foundation, um damit einen jährlichen Förderpreis zu ermöglichen. Mit dem Preis wird jeweils ein besonders vielversprechender junger ETH-Professor in der Expansionsphase seiner Forscherkarriere gefördert. Die Auszeichnung wird zur Förderung des Potenzials eines Wissenschaftlers im Bereich Naturwissenschaften und Technik vergeben. Bis anhin erhielten der Strukturbiologe Nenad Ban, der Erdwissenschaftler Gerald Haug, der Physiker Andreas Wallraff und 2012 die Materialwissenschaftlerin Nicola Spaldin den mit 200‘000 Franken dotierten Preis.