Veröffentlicht: 04.06.13
Science

Produktionsfaktor Bestäubung

Ohne Bienen keine Nahrung für die Menschen? So einfach ist es nicht. Eine Fallstudie von ETH-Ökologen in einem Kaffeeanbaugebiet in Indien zeigt auf, dass bestäubende Insekten nur ein Produktionsfaktor unter vielen sind. Für Bauern kommen mehrere Optionen infrage, um die Ernte zu steigern.

Peter Rüegg
Eine Biene der Art Apis cerana (östliche Honigbiene) bestäubt Kaffeeblüten. Farmer können mit bestimmten Bewirtschaftungsmethoden die Leistung bestäubender Insekten erhöhen. (Bild: J. Ghazoul / ETH Zürich)
Eine Biene der Art Apis cerana (östliche Honigbiene) bestäubt Kaffeeblüten. Farmer können mit bestimmten Bewirtschaftungsmethoden die Leistung bestäubender Insekten erhöhen. (Bild: J. Ghazoul / ETH Zürich) (Grossbild)

Weltweit sterben Bienen und es schwindet die Insektenvielfalt: Gerade in letzter Zeit haben nicht nur Medien sondern auch Wissenschaftler Befürchtungen geäussert, dass die Bestäubungsleistung von Insekten zurückgeht und dies die Nahrungsmittelsicherheit gefährdet. Die (ausbleibende) Bestäubung ist deshalb zu einem guten Argument für den Schutz von Arten, natürlichen Lebensräumen sowie für biologische Landwirtschaft geworden.

ETH-Forscherinnen aus der Gruppe von Jaboury Ghazoul, Professor für Ökosystemmanagement, gingen diesem Argument auf den Grund. Sie untersuchten auf Kaffeeplantagen in der Provinz Kodagu im südlichen Indien, welchen Einfluss Bestäuberinsekten auf den Kaffee-Ertrag in einem Waldfeldbausystem haben. In ihre Untersuchung bezogen sie auch die Boden- und Waldbewirtschaftung, Umweltfaktoren wie Wasser sowie die Bodenfruchtbarkeit und die Beschattung der Kulturen durch Bäume oder Wald ein.

Dadurch erarbeitete sich die Forschungsgruppe von der Rolle der Bestäuber ein Bild, das für dieses Anbausystem vom gängigen Bild - «ohne Bienen kein Ertrag» - abweicht. Die bestäubenden Bienen, so die Erkenntnis, sind ein Produktionsfaktor unter vielen. Die Kaffeebauern können die Produktivität ihrer Pflanzungen teilweise auch bienenunabhängig steigern. Die Resultate der Studie wurden soeben in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.

Wichtiger, aber nicht einziger Faktor

«Bestäuber sind wichtig für die Kaffeebauern», sagt Ghazoul mit Nachdruck, «in Bezug auf einen effektiven Kaffeeanbau und eine Ertragssteigerung sind sie jedoch viel weniger wichtig als etwa Bewässerung oder Kalkdüngung.» Damit bringt er eine zentrale Erkenntnis aus dem Kaffeeanbau in der Kodagu-Provinz auf den Punkt.

Kaffee wird in dieser Region in einem traditionellen Waldfeldbau angebaut. Die Kaffeebüsche dürfen nicht im direkten Sonnenlicht stehen und werden deshalb ins Unterholz des Waldes oder im Schatten grosser Einzelbäume gepflanzt. Die Kaffeebüsche blühen nach starkem Regen alle zur selben Zeit zwischen Februar und März. Drei Bienenarten bestäuben die Blüten: Die Riesenhonigbiene Apis dorsata, Apis cerana und die solitär lebenden Wildbiene Tetragonula iridipennis. Die Riesenhonigbiene ist die grösste und wichtigste Bestäuberin. Sie bildet grosse Kolonien und braucht für ihr Nest dicke Äste hoher Bäume, die das Gewicht der Kolonie zu tragen vermögen.

Mehr Ertrag durch Bewässerung und Kalk

Um mehr Kaffee zu ernten, haben die Bauern jedoch mehr Möglichkeiten als nur auf den Bienenfleiss zu setzen, wie Ghazoul herausgefunden hat. Mit einer Kalkdüngung können sie den Ertrag steigern, unabhängig von der Bienendichte. Und statt sich auf Regenfälle zu verlassen, lohnt es sich für Bauern, mit künstlicher Bewässerung die Blütenbildung herbeizuführen. «Dabei ist es für einen Bauern besonders interessant, seine Plantagen zu einer anderen Zeit zu bewässern als die Bauern in der Nachbarschaft», sagt Ghazoul. Denn so werden seine Plantagen zum Magnet für Bienen. Diese konzentrierte Bestäubung erhöht den Ertrag der Plantage massiv, zeigen die ETH-Forschenden in ihrer Publikation. Anders, wenn der Regen alle Kaffeebüsche der Region gleichzeitig auf natürliche Weise zum Blühen bringt: Die Bienen verteilen sich über eine grosse Fläche, die Bestäubung ist weniger gut, der Ertrag fällt schlechter aus.

Trend zur Entwaldung

Im System des Waldfeldbaus kann ein Bauer auch an einem anderen Rädchen drehen: Er fällt Bäume oder Wald, um mehr Licht auf seine Kaffeepflanzen zu bringen. Auch diese Massnahme steigert den Ertrag. Damit zerstört er jedoch den Lebensraum der Riesenhonigbiene Apis dorsata.

Besonders erfolgreich ist ein Bauer, der beide Massnahmen kombiniert. Vom Verschwinden der grossen Bienen auf seiner eigenen Pflanzung spürt er vorerst nichts. Erst wenn alle Bauern in dieser Weise handeln, wendet sich das Blatt. «Auf der Ebene einer Plantage ist es sinnvoll, Bäume zu entfernen, um den Ertrag zu steigern», sagt der ETH-Professor. «Entscheiden aber alle Farmer in derselben Weise, dann leiden letztlich alle unter den Konsequenzen einer schlechteren Bestäubungsleistung, weil die Riesenhonigbiene verschwindet.»

Tatsächlich haben die Forschenden im Versuchsgebiet Kodagu die schleichende Entwaldung beobachtet. Ghazoul ist überzeugt: Langfristig werden die Bauern Apis dorsata verlieren und somit – wenn sie keine Gegensteuer geben – den wesentlichen Beitrag zur Bestäubung des Kaffees. «Noch ist unklar, ob die anderen beiden Bienenarten diesen Ausfall kompensieren könnten.» Hoffnungslos sei die Situation für die Farmer aber auch dann nicht, sagt er.

Sie könnten Apis cerana, die der europäischen Honigbiene sehr nahe ist, domestizieren und Bienenkörbe in die Plantagen stellen. So sichern sie sich den Bestäubungsservice, ohne von Apis dorsata abhängig zu werden. Die Kehrseite der Medaille: Das entbindet die Farmer von der Verantwortung für Wald und Bäume. «Die Bauern sind damit frei zu entscheiden, ob sie Bäume auf ihrem Land wollten oder nicht», betont der Ökologe. Für den Naturschutz sei das eine schlechte Botschaft. «Für die Bauern sind dies hingegen gute News. Sie haben einige Möglichkeiten, um ihren Ertrag zu sichern, ihre Existenz zu halten oder gar zu verbessern.»

Unerwartete Gefahr durch exotische Baumart

Den angestammten Waldbäumen droht eine weitere Gefahr. Bauern ersetzen die gefällten einheimischen Gehölze oft mit der exotischen Australischen Silbereiche Grevillea robusta, welche den Kaffeepflanzen den nötigen Schatten spendet. Zudem wächst sie schnell, hat einen geraden Stamm, den die Bauern für den Pfefferanbau nutzen können. Denn an den Stämmen lässt sich das Gewürz einfacher ernten. Mit dem Verkauf von Pfeffer verbessern die Bauern ihr Einkommen, genauso wie mit dem Holz der Silbereiche .

Zunehmend wird den Bauern aber bewusst, dass der exotische Baum auch Nachteile hat. Sein Laub beispielsweise baut sich kaum ab. Es bedeckt den Boden sowie die Kaffeepflanzen und ist ein idealer Nährboden für Schadpilze und Bakterien. Möglicherweise beeinflusst es auch den Nährstoffkreislauf, was ein Doktorand von Jaboury Ghazoul derzeit untersucht. Wahrscheinlich verlangsamt das Silbereichenlaub den Nährstoffkreislauf, so dass die Kaffeepflanzen langfristig zu wenig Stickstoff erhalten. Das wiederum würde den Ertrag auf lange Sicht schmälern.

Für die Forschung ist das Fallbeispiel des Kaffeeanbaus in der Provinz Kodagu interessant, da es vor Augen führt, wie Bienen, Bauern und ihre Anbaumethoden sowie natürliche Begebenheiten sich gegenseitig beeinflussen und voneinander abhängen. Die Insekten spielen dabei nicht die einzige tragende Rolle in diesem Landwirtschaftssystem.

Zehn Prinzipien für die Aussöhnung zwischen Natur und Mensch

Zusammen mit weiteren Wissenschaftlern hat ETH-Professor Jaboury Ghazoul zehn Prinzipien beschrieben, die dazu beitragen sollen, die Interessen von Landwirtschaft, Naturschutz und weiteren Anspruchsgruppen in Bezug auf die Land(schafts)nutzung unter einen Hut zu bringen. Bis heute konkurrieren sich die verschiedenen Interessen. Die zehn formulierten Prinzipien sollen zu einer «Aussöhnung» zwischen den Anspruchsgruppen führen und auf eine nachhaltige Landbewirtschaftung hinwirken, insbesondere in ländlichen tropischen Gebieten. Die Prinzipien wurden in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht. Zu ihnen gehören etwa Weiterbildung der Bauern zu Anbaumethoden, die an sich verändernde Bedingungen angepasst werden. Ein weiteres Prinzip beschreibt, dass bei einem Landschaftsansatz verschiedene Ebenen berücksichtigt werden müssen, nämlich die Ebene Landschaft selbst und die Ebene Einzelbetrieb. Im Falle des Beispiels Indien ist ein weiteres Prinzip wesentlich: Klärung von Rechten und Verantwortung. So gehört das bebaute Land den lokalen Bauern, nicht aber die Bäume. Sie gehören dem Staat, was zu Konflikten führt. Die Prinzipien sollen helfen, einen auf die Landschaft bezogenen Ansatz anzuwenden.

Literaturhinweise

Boreux V, Kushalappa CG, Vaast P, Ghazoul J. Interactive effects among ecosystem services and management practices on crop production: Pollination in coffee agroforestry systems. PNAS. 2013 May 21;110(21):8387-92. doi: 10.1073/pnas.1210590110. Epub 2013 May 13.

Sayer J, Sunderland T, Ghazoul J et al. Ten principles for a landscape approach to reconciling agriculture, conservation, and other competing land uses. PNAS 2013 110 (21) 8349-8356; published ahead of print May 21, 2013, doi:10.1073/pnas.1210595110.