Veröffentlicht: 28.05.13
Science

Ist superschneller Wasserfluss möglich?

Vom Einsatz von Kohlenstoffnanoröhren verspricht man sich viel, wie etwa einen ultraschnellen Wassertransport, um Meerwasser zu entsalzen. Eine Simulation zeigt nun, dass die Schätzungen für extrem hohe Transportraten möglichweise auf wackligem Fundament beruhten. Sowohl experimentell arbeitende Forscher als auch Wissenschaftler, die mit Computermodellen vorgehen, sind sich uneins über das Potenzial und die Physik des ungewöhnlichen Werkstoffs.

Peter Rüegg
Computerwissenschaftler der ETH Zürich simulierten den Fluss von Millionen von Wassermolekülen durch lange Kohlenstoffnanoröhren. (Grafik: Petros Koumoutsakos / ETH Zürich)
Computerwissenschaftler der ETH Zürich simulierten den Fluss von Millionen von Wassermolekülen durch lange Kohlenstoffnanoröhren. (Grafik: Petros Koumoutsakos / ETH Zürich) (Grossbild)

Kohlenstoffnanoröhren, kurz CNT, stiessen seit ihrer Entdeckung 1991 auf reges Interesse der Wissenschaft. Denn das Material hat ungewöhnliche Eigenschaften, die es für verschiedene Anwendungen prädestiniert. So werden CNT in der Elektrotechnik eingesetzt, als Spitze von leistungsfähigen Rastertunnelmikroskopen, als verstärkende Fasern in Kunststoffen oder für bestimmte Bauteile von Flugzeugen. CNT haben auch die Fantasie beflügelt: Seile aus diesen Nanoröhren sollen dereinst Weltraumlifte von der Erde ins All befördern.

Als realistischer gilt die Anwendung von CNT-Membranen als Filtermedium. Experimente und Simulationen deuten darauf hin, dass Wassermoleküle extrem schnell durch solche Membranen hindurchströmen. Das macht sie interessant als Filter für Meerwasser-Entsalzungsanlagen. Wassermoleküle passen durch die feinen Poren, Salzionen hingegen nicht. Dieses Potenzial von CNT-Membranen wurde deshalb intensiv erforscht.

Theoretisches Limit weit übertroffen

Massgebend für ultraschnelle Transportprozesse ist die Dimension: Im Nanobereich, so vermuteten Forscher, fliegen Wassermoleküle regelrecht durch die Kohlenstoffnanoröhren, ohne deren hydrophobe Wände zu berühren, weshalb sich die Reibung verkleinert und den Wassertransport verstärkt. Je dünner die CNT sind, desto grösser wird die Rate für den Wassertransport.

Grundlage für den Wassertransport durch Röhren ist eine Formel aus der Fluiddynamik. Diese beschreibt die Transportrate, die sich anhand des Durchmessers und der Länge eines Rohres sowie des Druckunterschieds beim Ein- und Austritt der Flüssigkeit an den Rohrenden berechnen lässt.

Für den Wasserfluss durch Nanoröhren gelten aber andere Gesetze, denn die Geschichte bietet viel Stoff für wissenschaftliche Kontroversen: Einige Experimente ergaben für den Fluss von Wasser durch CNT Transportraten, die 100'000 Mal grösser sein sollen als das theoretisch errechnete Limit, das für Wassertransport durch solche Röhren im Makrobereich gelten würde. Andere massen lediglich auf einen 100- bis 1000-fach verstärkten Wasserstrom. Auch Simulationen halfen nicht weiter, um eine Antwort auf die Frage zu geben, ob CNT-Membranen wirklich so viel Potenzial haben. Bisherige Computermodelle berücksichtigen zu wenige Wassermoleküle und CNT, die kürzer waren als diejenigen, die in den Experimenten gebraucht wurden. Simulationen, die von einer 100'000-fachen Verstärkung berichteten, erhielten diesen Wert lediglich durch eine Extrapolation.

Neue Simulation hinterfragt ultraschnellen Transport

Neue Nahrung für die Kontroverse liefert nun ein Forschungsteam um ETH-Professor Petros Koumoutsakos mit der bis anhin grössten und detailliertesten Simulation des Wasserstroms durch Kohlenstoffnanoröhren. Das Computermodell simuliert CNT von der gleichen Länge wie diejenigen, die in den Experimenten verwendet wurden. Die Arbeit wurde in der Fachzeitschrift «Nano Letters» veröffentlicht.

Die Simulationen können allerdings nur eine 200-fache Verstärkung des Wasserstroms bestätigen. Die 100'000-fache Verstärkung, die einige Laborversuche ergeben haben, können die Simulationen jedoch nicht nachweisen. Für Petros Koumoutsakos sind die publizierten, extrem hohen Durchflussraten ein Rätsel. «Unsere Simulationen lassen vermuten, dass solche hohen Durchflussraten für reines Wasser und CNT nicht möglich sind», sagt der ETH-Professor. Zwar konnte Koumoutsakos bestätigen, dass eine zunehmende Länge der CNT den Wasserdurchfluss verstärkt. Sind die Röhrchen aber länger als 500 Nanometer, verändern sich die Transportraten kaum mehr. Auch konnte er simulieren und theoretisch klären, dass Hindernisse beim Ein- und -Austritt an einem Röhrchen die Durchflussrate des Wassers verkleinern. Dieser Effekt betrifft aber nur kurze CNT, bei langen spielt er kaum eine Rolle.

Millionen virtueller Moleküle

Das Computermodell beruht auf reinen Kohlenstoffnanoröhren von einem Mikrometer Länge und rund zwei Nanometern Durchmesser. Durch diese liessen die Computerwissenschaftler Millionen virtueller Wassermoleküle fliessen. Die Berechnungen der Professur für Computerwissenschaften waren so umfangreich, dass sie nur möglich waren dank des Grosscomputers am Schweizer Hochleistungsrechenzentrum CSCS in Lugano.

Weshalb sich die Durchflussrate seiner Simulation so stark von den in gewissen Experimenten gemessenen Werten unterscheiden, kann sich der Computerwissenschaftler nicht erklären. «Unsere Ergebnisse stimmen mit Resultaten aus neueren Experimenten sogar überein», betont Koumoutsakos. Er vermutet, dass chemische Veränderungen der CNT oder andere unbeobachtete Phänomene den Strom verstärken könnten. Die Simulation berücksichtige solche Verunreinigungen jedoch nicht, sagt er. Koumoutsakos fasst deshalb ins Auge, weitere Computermodelle zu entwickeln, die auch solche Unsicherheiten berücksichtigen und quantifizieren.

Der ETH-Professor hofft, dass sein Computermodell andere Forscher anregt, ihre Ergebnisse zu hinterfragen und mit ihm zusammenzuarbeiten, um Unsicherheiten in Experimenten und Simulationen zu quantifizieren. Künftig müssten experimentell erhobene Daten mit Simulationen unterlegt werden, ehe sie publiziert werden, findet er.

Experimente liefern breit gestreute Daten

Hyung Gyu Park, ETH-Assistenzprofessor für Energietechnik, ist einer der ersten Forscher, die Durchflussraten experimentell bestimmten. Er führte Experimente mit CNT durch, die Koumoutsakos nun teilweise in Frage stellt, und publizierte sie 2006 in der Fachzeitschrift «Science». Park beobachtete Transportraten, die 500- bis 8500-fach höher lagen als die theoretischen Voraussagen. Im besten Fall liegen seine experimentell erhobenen Werte und die Simulation um das Zweieinhalbfache auseinander. «Damit haben wir eine recht gute Übereinstimmung erreicht», sagt er.

Park anerkennt, dass Koumoutsakos und seinem Team eine hervorragende Simulation der Molekulardynamik gelungen sei. Die Computerwissenschaftler hätten die dazu nötige Strömungsphysik gründlich aufgearbeitet und damit den Fluss von Wasser in Graphitumgebungen im Nanometer-Massstab gut beschreiben können. Der koreanische Forscher gibt aber zu bedenken, dass diese Art der Simulation methodische Grenzen habe. «Diese Simulation kommt realen experimentellen Bedingungen zwar einen Schritt näher», findet der Energieforscher, «sie entsprechen aber noch nicht ganz der Realität.»

Park sagt, dass das Vorgehen der Computerwissenschaftler an sich korrekt sei. Die den Simulationen zugrundeliegenden Voraussetzungen unterscheiden sich jedoch von seinen Experimenten. So hat er Kohlenstoffnanoröhren zwischen ein bis zwei Nanometer Durchmesser benutzt. In der Simulation liegt der Durchmesser jedoch bei 2,03 Nanometern. Der Unterschied mag zwar winzig und unbedeutend erscheinen. In diesen Grössenbereichen verändert sich der Wassertransport aber stark, was Park experimentell beobachtete. Auch berücksichtige die Simulation nur einen Röhren-Durchmesser, seine Experimente hingegen mehrere.

Fruchtbare Diskussion

Trotz seiner Kritik sieht Park die Simulation seines Departementskollegen Petros Koumoutsakos als wichtigen Beitrag, von dem die experimentelle Forschung profitieren wird. Sie sei ein Fortschritt bei der Modellierung von Fliessphänomenen auf der Nanometerskala und unter Bedingungen, wie sie in Graphitumgebungen herrschen. «Ich werde dieses Modell sowie meine Resultate mit Nanoröhrenmembranen künftig sorgfältig überprüfen», betont er. Denn, so räumt er ein, sei es sehr schwierig, solche Transportprozesse in der Nanometerskala experimentell zu messen. Ausserdem sei es eine Herausforderung, eine Billion (1012) CNT mit konstantem Durchmesser zu synthetisieren, um eine Membran von einem Zentimeter Grösse zu erzeugen. Dieses Kunststück ist Parks Forschungsgruppe vor kurzem gelungen. Derzeit arbeitet sie daran, CNT-Membranen in grösserem Massstab herzustellen.

Ihrer wissenschaftlichen Debatte zum Trotz sehen es beide Forscher als seltenes Privileg, dass in der gleichen Institution Forscher sowohl an Experimenten wie auch an Simulationen zu diesem Thema arbeiten. «Ich bin überzeugt davon, dass unser gesunder Wettbewerb und die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern beider Gebiete diese aufregende Forschungsrichtung weiterbringt», sagt Park.

Literaturhinweise

Walther JH, Ritos K, Cruz-Chu ER, Megaridis CM, Koumoutsakos P. Barriers to superfast water transport in carbon nanotube membranes. Nano Letters, 2013, 13 (5), pp 1910–1914. DOI:10.1021/nl304000k

Holt JK, Park HG, Wang Y, Stadermann M, Artyukhin AB, Grigoropoulos CP, Noy A, Bakajin O. Fast Mass Transport Through Sub-2-Nanometer Carbon Nanotubes. Science 19 May 2006: 312 (5776), 1034-1037. DOI:10.1126/science.1126298

Majumder M, Chopra N, Andrews R, Hinds BJ. Nanoscale hydrodynamics: Enhanced flow in carbon nanotubes. Nature 438, 7064, 44, DOI: 10.1038/43844a

Qin X, Yuan Q, Zhao Y, Xie S, Liu Z. Measurement of the rate of water translocation through carbon nanotubes. Nano Letters. 2011 May 11;11(5):2173-7. DOI: 10.1021/nl200843g