Veröffentlicht: 07.05.13
Science

Grosses Potenzial und viele Unbekannte

Die Werner Siemens-Stiftung fördert die Tiefengeothermie-Initiative der ETH Zürich mit einer Donation von 10 Millionen Franken. Das unterstützt die ETH Zürich in ihrem Vorhaben, die erste von zwei geplanten Professuren im Bereich Tiefengeothermie aufzubauen. Im Interview mit ETH Life äussert sich Professor Domenico Giardini als Delegierter der Schulleitung für Tiefengeothermie über die Chancen, Risiken und Möglichkeiten, die diese Art der Energiegewinnung in der Schweiz hat und darüber, was die erste Professur für Geoenergie leisten muss.

Interview: Peter Rüegg
Domenico Giardini, Delegierter der Schulleitung für Tiefengeothermie, ist vom grossen Potenzial dieser Energiegewinnung überzeugt. (Bild: Angelika Jacobs / ETH Zürich)
Domenico Giardini, Delegierter der Schulleitung für Tiefengeothermie, ist vom grossen Potenzial dieser Energiegewinnung überzeugt. (Bild: Angelika Jacobs / ETH Zürich) (Grossbild)

ETH Life: Die Donation der Werner-Siemens-Stiftung erlaubt es der ETH Zürich, eine neue Professur für Tiefengeothermie aufzubauen. Was soll und kann diese Professur leisten?
Domenico Giardini: Ich hoffe viel! Wir müssen erforschen, ob wir die Tiefengeothermie in der Schweiz nutzen können oder nicht. Heute können wir nicht mit Gewissheit sagen, ob wir im Jahr 2050 fünf, zehn oder null Prozent unseres Stroms und Energie mithilfe der Tiefengeothermie erzeugen können. Diese Antwort erhalten wir erst, wenn wir dieses Gebiet gründlich erforschen.

Die neue Professur ist den Erdwissenschaften angegliedert. Welche Fragen soll sie beantworten?
Die Professur soll sich mit der geologischen Umgebung in der Tiefe, wo die Wärme gewonnen werden soll, befassen. Also damit, ob in drei bis fünf Kilometern unter der Erdoberfläche Wasser vorhanden ist und welches Gestein dort vorkommt. Um zu bestimmen, wo die Tiefengeothermie eingesetzt werden könnte, müssen wir die Geologie und unterschiedliche Methoden verstehen. Weiter möchten wir herausfinden, ob wir diese Wärme in jedem Fall nutzen können, um Energie zu erzeugen. Um von der Tiefengeothermie profitieren zu können, müssen wir die geeigneten Technologien dafür auswählen.

Setzt die ETH Zürich mit dem Ausbau Tiefengeothermie-Forschung auf das richtige Pferd?
Ja. Bund, Kantone, Gemeinden und die Industrie sind an der Tiefengeothermie sehr interessiert. Die Industrie ist sich bewusst, dass sie ohne Forschung und ohne besseres Technologieverständnis nicht weiterkommt. Der Bund hat neu 202 Mio. Franken für die Energieforschung für 2013 bis 2016 bereitgestellt. Eines der geförderten Gebiete ist die Tiefengeothermie. Das zeigte der ETH Zürich, dass das Interesse an diesem Thema grundsätzlicher Natur und für die ganze Gesellschaft wichtig ist. Mich freut es umso mehr, dass auch Donatoren diese Botschaft verstanden haben und in den Ausbau der Tiefengeothermie investieren. Die Werner-Siemens-Stiftung hat erkannt, dass es in diesem Bereich Forschung und Entwicklung braucht, und dass diese einen unmittelbaren Nutzen für die Gesellschaft haben wird.

Dennoch ist noch vieles ungewiss. Geht die ETH nicht das Risiko ein, dass sie in zehn Jahren die Akte Tiefengeothermie schliessen muss?
Nein. In zehn Jahren werden wir wahrscheinlich noch nicht viel Strom mit Tiefengeothermie produzieren. Es wird eine Phase geben, in der die Technologie im experimentellen Stadium bleibt und wir den Strom aus Tiefengeothermie subventionieren müssen. Das ist jedoch bei allen neuen erneuerbaren Energien so. Es wird Zeit und neue Forschungsergebnisse brauchen, bis die Tiefengeothermie als Technologie erfolgreich sein kann. Wenn die Frage also lautet, ob die Tiefengeothermie für die ETH Zürich in zehn Jahren noch interessant ist, dann ist die Antwort sicher positiv. Sie wird noch interessanter als heute.

In Basel war die Akzeptanz nach den Erdbeben, welche durch die Tiefenbohrungen entstanden sind, verspielt. Wie kann man die Bevölkerung vom Wert dieser Technologie überzeugen?
Die Leute haben zu Recht eine Urangst vor Erdbeben. In Basel wurden Technologien verwendet, von denen behauptet wurde, dass sie kaum Risiken haben sollen. Die Leute haben nicht verstanden, warum eine angeblich «risikofreie» Technologie Erdbeben erzeugt. Wir müssen deshalb extrem sorgfältig vorgehen und dürfen uns keine groben Fehler erlauben, weder in der Kommunikation noch in der Technik.

Keine Frage scheint mehr zu sein, ob das Potenzial in der Schweiz für die Tiefengeothermie vorhanden ist. Wie hoch ist es Ihrer Meinung nach?
Die Tiefengeothermie hat ein gewaltiges Potenzial, denn die Menge der Energie in Form von Wärme ist wirklich sehr hoch. Unsere tiefe Erde ist heiss. Das wissen wir von Tunnelbauten wie dem Gotthard- oder dem Neat-Tunnel. Diese Wärmeenergie entsteht durch den Zerfall von radioaktiven Elementen und durch die Energie, die in der inneren Erde nach ihrer Entstehung erhalten geblieben ist. Bohren Sie in die Tiefe, dann steigt die Temperatur pro Kilometer um 20 bis 30 Grad.

Ist die Tiefengeothermie wirklich die unerschöpfliche saubere Energiequelle, für die sie ausgegeben wird?
Ja, das ist so. Wenn Sie ein tiefes Gesteinsvolumen aufgrund der Wärmenutzung abkühlen, wird es viel Zeit brauchen, bis sich dieses Volumen wieder erwärmt. Das Grundgestein besteht aber aus so vielen Kubikkilometern, die wir gar nicht alle nutzen können, auch in der langfristigen Zukunft nicht. In diesem Sinn gilt die Tiefengeothermie als unerschöpflich.

Was passiert mit den Anlagen, wenn das angebohrte Gesteinsvolumen erkaltet ist?
Die Idee ist, mit der gleichen Anlage ein neues Gesteinsvolumen anzubohren, zum Beispiel an der Seite oder weiter unten. Das Volumen ist so riesig, dass dies nicht ein Ressourcenproblem ist. Die Herausforderung ist, die erste erfolgreiche Anlage zu installieren.

Das Bundesamt für Energie spricht von 10 bis 15 Prozent Strom aus Tiefengeothermie und einem Dutzend Anlagen im Jahr 2050.
Der Anteil der Tiefengeothermie an der Stromproduktion liegt heute bei null Prozent. Deshalb ist schon eine Zunahme um ein Prozent ein Gewinn. Dies wird aber unsere Energieprobleme nicht lösen. Wenn wir in zehn Jahren erkennen, dass die ersten Bohrungen in die richtige Richtung gehen, dann eröffnen sich viele neue Möglichkeiten, um bis im Jahr 2050 einen gewichtigen Anteil, zum Beispiel eine Leistung von einem Gigawatt, zu installieren.

Was denken Sie persönlich über die Tiefengeothermie? Welchen Anteil am Strommix wird sie generieren?
Das Ziel ist, damit bis 2050 mindestens fünf bis zehn Prozent des Schweizer Stroms zu produzieren. Sonst lohnt sich diese Technologie nicht. Die Tiefengeothermie ist heute noch zu teuer. Vielleicht gewinnen wir damit auch in einer ersten Phase nicht so viel Energie wie erwünscht. Wir arbeiten aber daran, den Durchbruch in der Zukunft zu erreichen. Die ETH Zürich unternimmt nun alles Nötige, um die Technologie zu erforschen und zu fördern. Genau deshalb benötigen die ETH Zürich zwei Professuren und Industriekooperationen auf diesem Gebiet.

Domenico Giardini ist Professor für Seismologie und Geodynamik am Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich und Delegierter der Schulleitung für Tiefen-Geothermie. Von 1997 bis Ende 2011 war er Direktor des Schweizerischen Erdbebendienstes SED.