Veröffentlicht: 29.04.13
Science

Böses Fett kann sich in gutes umwandeln

ETH-Forscher haben erstmals in einem lebenden Organismus gezeigt, dass weisse und braune Fettzellen direkt ineinander umgewandelt werden können. Sie kratzen dabei an einem Dogma, wonach braune und weisse Fettzellen aus unterschiedlichen Vorläuferzellen gebildet werden. Die Erkenntnis soll dazu beitragen, fettleibigen Menschen mit neuen Therapien zu helfen.

Fabio Bergamin
In weissem Fettgewebe entstehen als Anpassung an Kälte sogenannte «brite» Fettzellen mit vielen kleinen Lipid-Tröpfchen (in dieser mikroskopischen Aufnahme besonders in der linken Bildhälfte zu sehen). (Bild: Christian Wolfrum / ETH Zürich)
In weissem Fettgewebe entstehen als Anpassung an Kälte sogenannte «brite» Fettzellen mit vielen kleinen Lipid-Tröpfchen (in dieser mikroskopischen Aufnahme besonders in der linken Bildhälfte zu sehen). (Bild: Christian Wolfrum / ETH Zürich) (Grossbild)

Die zwei Arten von Fettzellen im Körper könnten unterschiedlicher nicht sein: Weisse Fettzellen dienen vor allem als Energiespeicher. Wenn dem Körper genügend Nahrung zur Verfügung steht, vermehren sie sich und speichern Energie in Form von Fetttropfen für allfällige «schlechte Zeiten». Ganz anders die braunen Fettzellen: Sie sind Heizkraftwerke und darauf spezialisiert, ihnen zur Verfügung stehende Energie zu verbrennen, ein Prozess, bei dem Körperwärme entsteht. Vor allem Neugeborene haben viele braune Fettzellen und regulieren damit ihre Körpertemperatur. Seit bekannt ist, dass auch Erwachsene solche Zellen besitzen, erforscht die Wissenschaft intensiv, wie diese entstehen. Das Wissen könnte, so die Hoffnung der Wissenschaftler, fettleibigen Menschen helfen, braune Fettzellen zu bilden. Dadurch könnte der Körper Fett in Wärme umsetzen, wodurch übergewichtige Menschen abnehmen würden.

Forschende unter der Leitung von Christian Wolfrum, Professor am Institut für Lebensmittelwissenschaften, Ernährung und Gesundheit, haben nun erstmals in einem lebenden Organismus zeigen können, dass sich braune und weisse Fettzellen ineinander umwandeln können. Mit ihrer Arbeit an Mäusen liefern sie wichtige Hinweise zum Ursprung der braunen Fettzellen. Diese Erkenntnis kann nun genutzt werden, um entsprechende gewichtsreduzierende Therapien zu entwickeln.

Lehrmeinung infrage gestellt

Dass in weissem Fettgewebe von Erwachsenen als Anpassung an kalte Temperaturen braune Fettzellen entstehen können, womit das Gewebe «beige» wird, wusste man bereits. Die Zellen werden im englischen Fachjargon «brite» Fettzellen genannt – nach einer Wortschöpfung aus «brown-in-white». In der Wärme sind im Gewebe deutlich weniger dieser braunen Fettzellen zu finden. Allerdings ist noch umstritten, wie sie entstehen. Eine verbreitete Vermutung war lange, dass braune Zellen ausschliesslich aus speziellen Stammzellen entstehen und wieder absterben, wenn der Körper sie nicht mehr braucht. Die Hypothese, dass sich weisse und braune Zellen direkt ineinander umwandeln könnten, stand bisher nicht im Vordergrund. Mit dem Beweis dieser zweiten Hypothese kratzen die ETH-Wissenschaftler nun an der Gültigkeit der gängigen Lehrmeinung.

Genetisch markierte Fettzellen

Der Nachweis gelang den Forschern, indem sie bei Mäusen Fettzellen gentechnisch markierten: Sie züchteten Mäuse, deren braune Fettzellen permanent mit einem roten Farbstoff markiert waren. Ausserdem stellten diese Fettzellen der Mäuse immer dann einen grünen Farbstoff her, wenn bei ihnen das genetische Programm «Heizkraftwerk» aktiviert war. Unter dem Fluoreszenzmikroskop dienten diese Farben den Forschern als Namensschilder der Zellen: Aktive braune Fettzellen leuchteten sowohl rot als auch grün. Zellen, die früher braun gewesen waren, jedoch die Fähigkeit verloren haben, Wärme zu produzieren, leuchteten nur rot.

Christian Wolfrum und sein Doktorand Matthias Rosenwald hielten die Mäuse in einem Wechselklima: zunächst für eine Woche bei winterlichen Temperaturen (8°C), anschliessend für mehrere Wochen bei Raumtemperatur. In der Kälte bildeten die Mäuse braune Fettzellen in ihrem weissen Fettgewebe – das Gewebe wurde beige. In der anschliessenden Wärmeperiode wurde das Gewebe wieder weiss. Unter dem Fluoreszenzmikroskop zeigte sich jedoch, dass viele weisse Fettzellen rot leuchteten, es sich dabei also um verwandelte braune Fettzellen handelte. Als die Forscher die Mäuse anschliessend erneut unter winterlichen Bedingungen hielten, leuchteten die Zellen auch grün – sie hatten sich wieder in braune Zellen umgewandelt.

Aus ihren Experimenten mit Mäusen schliessen die Forscher, dass sich weisse Fettzellen in Abhängigkeit von der Temperatur in braune umwandeln können und umgekehrt. Sie gehen davon aus, dass es sich bei den Menschen ähnlich verhält und die braunen Fettzellen im beigen Gewebe von Erwachsenen aus weissen Fettzellen entstehen können.

Medikamente gegen Fettleibigkeit

«Um neue Therapiemöglichkeiten gegen Fettleibigkeit zu entwickeln, müssen wir Wege finden, weisse Fettzellen in braune umzuwandeln», sagt Wolfrum. Viele Wissenschaftler hätten bisher nach Vorläuferzellen von braunen Fettzellen gesucht, was möglicherweise ein unzureichender Ansatz gewesen sei. In weiterer Forschungsarbeit möchten Wolfrum und seine Kollegen nach den Stimuli suchen, die zur Umwandlung führen, und erforschen, ob und wie man diesen Prozess beeinflussen kann. Die Forschenden denken an Medikamente oder an aktive Komponenten in der Nahrung.

Sie möchten damit einen radikal anderen Therapieansatz begründen. «Bisherige Therapien gegen Fettleibigkeit zielten meistens darauf ab, die Kalorienzufuhr zu reduzieren, beispielsweise indem sie den Appetit zügeln oder dafür sorgen, dass Nährstoffe im Darm schlechter aufgenommen werden», sagt Wolfrum. Von den medikamentösen Therapien, die bisher auf dem Markt seien, funktioniere keine wirklich gut. Der Ansatz, braune Fettzellen zu bilden und zu aktivieren, zielt hingegen nicht auf eine verringerte Energieaufnahme, sondern einen gesteigerten Energieverbrauch.

Literaturhinweis

Rosenwald M, Perdikari A, Rülicke T, Wolfrum C: Bi-directional interconversion of brite and white adipocytes. Nature Cell Biology 2013, Advance Online Publication, DOI: 10.1038/ncb2740

 
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