Veröffentlicht: 16.04.13
Science

Mitmachprojekt für die Klimaforschung

Der Frühling beginnt, aber nicht jedes Jahr zur gleichen Zeit. Im Citizen-Science-Projekt «Phaenonet» kann die Bevölkerung jahreszeitliche Beobachtungen zur Pflanzenwelt der Wissenschaft zur Verfügung stellen. ETH-Forscher vergleichen diese Daten über die Jahre und gewinnen daraus Hinweise auf klimatische Umweltveränderungen.

Fabio Bergamin
Frühlingsbote: Freiwillige Beobachter landauf landab notieren sich für das Projekt «Phaenonet», wann das Buschwindröschen blüht – vielerorts im Schweizer Mittelland ist dies jetzt der Fall. (Bild: Wikipedia)
Frühlingsbote: Freiwillige Beobachter landauf landab notieren sich für das Projekt «Phaenonet», wann das Buschwindröschen blüht – vielerorts im Schweizer Mittelland ist dies jetzt der Fall. (Bild: Wikipedia) (Grossbild)

Bürger machen Wissenschaft. So helfen Laien nicht nur Astronomen bei der Suche nach fernen Galaxien, wie ETH Life jüngst berichtete, sondern auch, Daten zu sammeln, um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Vegetation zu dokumentieren. Mit dem langjährigen Vergleich von jahreszeitlichen Daten wie dem Blütebeginn und der Blattknospung im Frühling oder der Laubverfärbung im Herbst lassen sich nämlich klimatische Veränderungen aufzeigen. Durch die Mitwirkung von Beobachtern aus der Bevölkerung werden der Haselstrauch im eigenen Garten oder die Lärche im nahe gelegenen Wald zu wissenschaftlich wertvollen Beobachtungsobjekten.

Möglich ist diese Mitwirkung dank des Projekts «Phaenonet», das der Verein Globe Schweiz vor drei Jahren mit der Beteiligung der ETH Zürich startete. Auf einer Internetplattform können seither alle Interessierten eigene Beobachtungen eintragen und der Wissenschaft zur Verfügung stellen. In einem gemeinsamen Effort entsteht so ein gesamtschweizerisches Logbuch der beobachtbaren jahreszeitlichen Naturentwicklungen, ein Datensatz für die Phänologie, des Wissenschaftszweigs, der sich mit diesen Entwicklungen befasst. Neu ist eine Version für Smartphones verfügbar, mit der jedermann unterwegs einfach Daten auf den ETH-Server laden kann.

Aussagen zum Mikroklima

Über 80 Privatpersonen oder Schulen machen heute bei Phaenonet freiwillig mit. Dank ihrer Beobachtungen haben die Wissenschaftler Zugang zu einem engmaschigen Netz an Vegetationsdaten. «Die Auswertung dieser Daten ermöglicht Aussagen auf jener kleinräumigen, lokalen Skala, die nicht nur für die Ökosysteme relevant ist, sondern auch für die Menschen», sagt Werner Eugster, Privatdozent am Departement Umweltsystemwissenschaften. Um solche Daten überhaupt gewinnen zu können, ist für ihn die Mithilfe von Laien aus der Bevölkerung zentral. Denn das Sammeln von Daten ist aufwendig, über Bürgermitwirkungsplattformen wie Phaenonet kann die Aufgabe auf viele Schultern verteilt werden.

Phaenonet dient auch Meteo Schweiz. Das Bundesamt unterhält ein Netz von offiziellen freiwilligen Phänologie-Beobachtern, die über lokale phänologische Beobachtungen Buch führen und ihre Daten nun ebenfalls über die Phaenonet-Plattform melden. Mit diesen Daten untersuchten die ETH-Wissenschaftler beispielsweise die Trockenheit im Frühling 2011. Sie konnten so zeigen, dass die Pflanzenwelt im Frühling 2011 im Mittelland und bis nach Davos durchschnittlich 18 Tage weiter entwickelt war als im Vorjahr 2010. «Mit solchen Daten werden wir beispielsweise auch regionale Unterschiede beim Frühlingsanfang 2013 im Vergleich zum langjährigen Mittel nachweisen können», sagt Eugster.

Umwelt-Bildungsprojekt

Der Nutzen von Phaenonet liegt allerdings nicht nur in der Wissenschaft. Es ist in erster Linie ein Umwelt-Bildungsprojekt. «Die Phänologie ist hervorragend geeignet, um Schüler für die Klimaforschung und Umweltveränderungen zu sensibilisieren», sagt Eugster. «Schüler können dank der Phänologie lernen, lokale Beobachtungen in einen Bezug zu einem grossräumigen Geschehen zu setzen.» So sind denn auch viele der beim Projekt Mitwirkenden Schulklassen mit ihren Lehrern.

Um langsam voranschreitende Umweltveränderungen zu erkennen, sind Langzeitinformationen unabdingbar. Da die Bürger-Daten von Phaenonet nur wenige Jahre zurückreichen, war die Integration von kürzlich digitalisierten Phänologie-Daten von Meteo Schweiz hilfreich, die ihr Beobachtungsnetz seit Mitte des 20. Jahrhunderts unterhält.

Mit den Meteo-Schweiz-Daten kann man beispielsweise zeigen, dass die Blätter von Buchen in den letzten Jahrzehnten immer früher sprossen. Heute entfalten sich die Blätter in der Regel kurz nach Mitte April, vor 50 Jahren war es erst Anfang Mai. Die Bürgerdaten und die Daten von Meteo Schweiz ergänzen sich. «Wenn uns zukünftig viele Leute ihre Beobachtungen via Phaenonet zur Verfügung stellen, erreichen wir eine höhere räumliche Abdeckung unserer Analysen», sagt Eugster. «Dank der Integration der beiden Datensätze hoffen wir, den Einfluss des Klimawandels auf die Vegetation besser dokumentieren zu können.»

Nicht auf einzelne Beobachtungen abgestützt

Doch wie steht es um die Datenqualität, wenn sich Wissenschaftler auf Beobachtungen von Laien abstützen? Schliesslich können sich Laien auch irren und beispielsweise eine Pflanze falsch bestimmen. Wo viele verschiedene Personen Daten erfassen, kann es ausserdem zu Fehlern bei der Erfassung kommen. Phaenonet setzt hierbei wie auch andere sogenannte Citizen-Science-Projekte auf eine Doppelspurigkeit. «Wenn viele Leute am selben Ort etwas beobachten, sind die Datensätze redundant. Dadurch kann man fragwürdige Daten einfacher erkennen und allenfalls von der Auswertung ausschliessen», sagt Eugster.

Phaenonet ist eine offene Plattform. So kann nicht nur jedermann Daten zur Verfügung stellen, sondern auch die gemeinsamen Daten herunterladen und für eigene Auswertungen brauchen. Aus rechtlichen Gründen beschränkt sich das Herunterladen jedoch auf die Daten von Privatpersonen und Schulen. Die Daten des Netzes von Meteo Schweiz stehen derzeit nur für wissenschaftliche Zwecke zur Verfügung.

Phänologie und der Verein Globe

Die Phänologie befasst sich mit den jahreszeitlichen Veränderungen der Natur, etwa von Pflanzen. Meilensteine wie Knospung, Blüte und Blatt-Entfaltung im Frühling sowie Fruchtreife, Blattverfärbung und Blattfall im Herbst gehören dazu. Die Beobachtung des Zugverhaltens von Vögeln ist ebenfalls Teil der Phänologie: Wann fliegen Vögel in ihre Winterquartiere? Wann kommen sie zurück? Oder verzichten sie wegen der Klimaerwärmung ganz auf den Zug in den Süden? Zudem gehören zur Phänologie Beobachtungen der nicht-belebten Natur wie die Nebelhäufigkeit oder das Vereisen eines Sees.

Das Projekt Phaenonet wurde von Globe Schweiz initiiert, einem Verein, der von verschiedenen staatlichen Stellen wie dem Bundesamt für Umwelt und von Schweizer Bildungsinstitutionen unterstützt wird. Der Verein setzt die Ziele des internationalen Umwelt-Bildungsprogramms Globe um, das vom ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore angestossen wurde. Die ETH Zürich ist beim Projekt Phaenonet wissenschaftlicher Partner. Die Internetplattform des Projekts wurde an der ETH entwickelt.

 
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