Veröffentlicht: 29.01.13
Science

Mit Gallensäure ins Geschäft kommen

Der ETH-Spin-off Glycemicon schafft die dritte Runde des Start-up-Wettbewerbs Venture Kick und sichert sich so ein Startkapital von 130'000 Franken. Die Idee der Wissenschaftler: ein medizinisches Nahrungsmittel, welches bei Diabetes hilft.

Peter Rüegg
Dank einer Gallensäure werden Fettzellen (im Bild) kleiner, was die Folgen von Typ 2-Diabetes mildert und die Insulinresistenz herabsetzt. (Bild: iStockphoto)
Dank einer Gallensäure werden Fettzellen (im Bild) kleiner, was die Folgen von Typ 2-Diabetes mildert und die Insulinresistenz herabsetzt. (Bild: iStockphoto) (Grossbild)

Vor rund einem Jahr erhielten Forscherinnen und Forscher der jungen Firma Glycemicon den ersten «Spark Award», den die ETH-Technologietransferstelle «ETH transfer» jährlich vergibt. Nun erntet die Crew um die Professoren Christian Wolfrum und Erick Carreira weitere Früchte ihrer hervorragenden Geschäftsidee: Beim nationalen Jungunternehmer-Wettbewerb «Venture Kick» übersprangen die ETH-Forschenden auch die dritte und höchste Hürde und erhielten 100'000 Franken Preisgeld. Zusammen mit den 30'000 Franken aus der ersten beiden Wettbewerbsrunden haben sie damit einen schönen Batzen an Startkapital gewonnen, um ihre Firma weiterzuentwickeln.

«Wir freuen uns, dass wir diesen Preis erhalten haben – das ist für unser Unternehmen sehr gut», sagt Wolfrum. Der Venture Kick-Award sei ein wichtiger finanzieller Beitrag für Glycemicon. Die bisherige Finanzierung stammt unter anderem von einem Pioneer Fellowship der ETH und einem ähnlich gelagerten Grant der EU. Das hatte für die Jungfirma auch Vorteile: «Es hat uns ermöglicht, unser Produkt ohne Druck von Investoren weiterzuentwickeln», so der ETH-Professor für Translationale Ernährungswissenschaften.

Medizinisches Essen

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Glycemicon sind derzeit daran, auf der Basis einer speziellen Gallensäure ein solches medizinisches Nahrungsmittel zu entwickeln, welches bei fettleibigen Menschen gegen Diabetes helfen soll. Medizinische Nahrungsmittel (engl. medical foods) sind verschreibungspflichtig. Sie tragen entscheidend dazu bei, die Folgen einer Erkrankung zu mildern und den Gesundheitszustand eines Patienten zu verbessern. Sie sind für Patienten gedacht, die aufgrund ihrer Erkrankung spezifische Anforderungen an ihre Ernährung haben, welche die normale Ernährung nicht abdecken kann. Dem Medical Food-Markt wird ein stetiges und bedeutendes Wachstum vorausgesagt.

Die Entwicklung von Glycemicon beruht auf der Erkenntnis, dass Fettleibige mit grossen Fettzellen ein besonders hohes Risiko haben, Typ 2-Diabetes Typ zu bekommen. Fettleibige mit vielen kleinen Fettzellen laufen hingegen weniger Gefahr, daran zu erkranken. Denn: Kleinere Fettzellen geben weniger Fette in den Blutkreislauf ab als grosse und sie nehmen Glukose effizienter aus dem Blut auf. Als Vorstufe von Typ 2- Diabetes tritt nämlich zunächst eine Insulinresistenz auf, bei der Muskel- oder Fettzellen nicht mehr auf Insulin ansprechen und somit keinen Zucker mehr einlagern. Geben nun die Fettzellen Fette unkontrolliert ins Blut ab, ist dies - in Kombination mit der verlangsamten oder ausbleibenden Aufnahme des Zuckers aus dem Blut - eine grosse Belastung für Leber, Bauchspeicheldrüse und Muskeln.

Die Gallensäure sorgt nun dafür, dass aus grossen Fettzellen kleinere werden und die Zellen wieder gut auf Insulin reagieren. Als Konsequenz der Einnahme des gallensäurehaltigen Nahrungsmittels nehmen die Zellen Nährstoffe wie Glukose wieder schnell und effizient auf.

Ziel: Ende 2017 auf dem Markt

Die spezielle Gallensäure wurde im Labor von Christian Wolfrum zum ersten Mal identifiziert und im Labor von Chemieprofessor Erick Carreira künstlich synthetisiert. Die Jungunternehmer sind nun daran, die Substanz genau zu analysieren und hoch rein herzustellen. Weitere Untersuchungen sollen zudem zeigen, ob das Produkt toxisch wirkt. Bisherige Untersuchungen an lebenden Zellen und an Tieren zeigten keine unerwünschte Nebenwirkungen. Wolfrum erwartet daher, dass die erste klinische Studie zur Überprüfung der Wirksamkeit im Menschen 2015 stattfinden wird. Weil medizinische Nahrungsmittel nur einen relativ kurzen Zulassungsprozesses durchlaufen müssen, rechnen die Forschenden von Glycemicon Ende 2017 mit dem voraussichtlichen Markteintritt ihres Produkts.

Anstoss für Start-ups

«Venture Kick» wurde im Herbst 2007 mit dem Ziel lanciert, die Zahl der Firmengründungen an Schweizer Hochschulen zu verdoppeln. Seither haben 255 Gründerprojekte von 9,67 Millionen Franken Startkapital profitiert. Die Jungunternehmen haben bis Dezember 2012 über 2‘000 Arbeitsplätze geschaffen und ein Finanzierungsvolumen im Umfang von 365 Millionen Franken erhalten. Jeden Monat können sich acht Startup-Projekte vor einer Jury präsentieren. Die besten vier erhalten je 10'000 Franken und qualifizieren sich für die zweite Runde. Dort gewinnen zwei Teams je 20'000 Franken. Diese machen in der dritten Runde den Hauptpreis von 100'000 Franken unter sich aus. «Venture Kick» wird durch verschiedene Stiftungen finanziert.

 
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