«Verhandlungen setzten die Politik unter Druck»
Heute starten in Doha die UNO-Klimaverhandlungen. Doch wie laufen solche Verhandlungen ab? Stefanie Bailer, Professorin für Global Governance, und Florian Weiler befragten über 60 internationale Delegationen zu ihrer Verhandlungstaktik.
Sie haben die Teilnehmer von verschiedenen
internationalen Klima- und EU-Verhandlungen befragt. Lassen sich Staaten überhaupt in die Karten schauen?
Florian Weiler: Sie waren sehr
kooperativ. Wir haben unseren Interviewpartnern auch zugesichert, dass sie oder
der Name des Landes anonymisiert werden. Inwieweit sie uns die Wahrheit sagen
oder sich besser oder anders darstellen, können wir nicht messen.
Sie beschäftigen sich vor
allem mit Verhandlungen innerhalb der EU und mit Klimaverhandlungen. Wie
unterscheiden sich diese?
Stefanie Bailer: An
Klimaverhandlungen auf Ebene der UNO sind die Verhandlungspartner heterogener.
Es beteiligen sich auch nichtdemokratische oder grosse Flächenstaaten wie China
oder Indien, die sehr selbstbewusst auftreten. UNO-Verhandlungen sind deutlich
emotionaler und gereizter als Gespräche in der EU. Da EU-Staaten sehr viel
verhandeln, ist man gewohnt, auf verschiedene Sensibilitäten einzugehen –
Deutschland in Bezug zu seiner Autoindustrie oder Spanien und Frankreich mit ihren
Fischereianliegen. Jeder ist dann zu
Kompromissen bereit.
Gibt es bei den
Gesprächen unterschiedliche Verhandlungsstrategien?
Bailer: Es lassen sich harte und weiche Methoden unterscheiden.
Harte Strategien sind zum Beispiel drohen, ignorieren, die andere Delegation nicht
ernst nehmen oder nur auf der eigenen Position beharren. Weiche dagegen sind
Verständnis äussern oder Kompromisse vorschlagen. Wirtschaftlich mächtige
Staaten verhandeln eher hart.
Gibt es neben
der Verhandlungstaktik weitere Einflussfaktoren, welche Meinung eher gehört
wird?
Bailer: Bei den EU-Verhandlungen konnten wir beobachten, dass
Wirtschaftsmacht und Grösse des Landes entscheiden, wie stark sich dessen
Position durchsetzt. Aber auch ein
kleines Land kann eine wichtige Rolle spielen, wenn es mit seiner Stimme zur Mehrheit eines Lagers führen kann.
Weiler: Bei Klimaverhandlungen kann ein Land Einfluss haben, das von den Auswirkungen bedroht ist. Kleine Inselstaaten wie Tuvalu argumentieren, wenn nichts passiert, sind wir die Opfer eures CO2-Ausstosses. Dies nehmen die Medien und die NGOs auf. Dadurch bekommt das Land in der westlichen Welt so viel Publicity, dass seine Anliegen bei den Verhandlungen nicht mehr ignoriert werden können.
Wenn in einem
Land gewählt wird, stehen Politiker innenpolitisch unter Druck. Beeinflusst
dies auch internationale Verhandlungen?
Bailer: Demokratien an sich verhandeln weniger hart, da sie im
Interesse ihrer Wähler an einem kooperativen Verhandlungsergebnis interessiert
sind. Wenn sie jedoch durch mächtige
Interessengruppen unter Druck kommen, ist es möglich, dass sie zu härteren
Strategien wie Drohungen greifen.
Weiler: Es hängt auch von der Stimmung im Heimatland ab. In den USA stehen die Republikaner Klimaverhandlungen skeptisch gegenüber. Präsident Obama kann jetzt nach den Wahlen wieder klimafreundlichere Positionen einnehmen.
Es heisst, dass nichtdemokratische
Staaten einen Vorteil haben, da sie innenpolitisch
Massnahmen durchsetzen können, ohne auf die Bevölkerung zu achten.
Bailer:
In China hat eine negative Klimaentscheidung nicht den gleichen Einfluss, wie
in etablierten Demokratien. In Deutschland kommen die Politiker dann unter
Druck, da die Bevölkerung eher umweltfreundlich denkt. Demokratien haben gewisse
Effizienzkosten. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es effizienter ist, die
Bevölkerung an Entscheidungen zu beteiligen. Dabei kommt es auch darauf an, wie
informiert die Bevölkerung ist, so ist beispielweise das Bewusstsein über Klimaverhandlungen
in der westlichen Welt sehr stark ausgeprägt im Gegensatz zu anderen Ländern.
Schaut man sich Klimaverhandlungen an,
entsteht der Eindruck, es komme zu keinen Ergebnissen. Wie sinnvoll ist es
überhaupt zu verhandeln?
Weiler:
Es ist eher eine Politik der kleinen Schritte. Jedes Jahr wird ein anderes Problem
behandelt und auch gelöst, so dass der Prozess insgesamt langsam aber stetig
Fortschritte macht. Es gibt jedoch auch
Forscher, die sagen, dass Klimaverhandlungen sinnlos sind. Es sei unmöglich, mit
allen Staaten einen Kompromiss zu schliessen. Allein die USA und China sind für
45 Prozent aller CO2 -Emissionen verantwortlich. Das Nein dieser
beiden Länder hat bis jetzt jedoch dazu geführt, dass es kein Abkommen gibt. Diese
Wissenschaftler sind der Ansicht, dass alle Länder mehr in Forschung
investieren sollten. Ihre Argumente: Die neuen klimafreundlichen Technologien schaffen
auch Arbeitsplätze. In Zukunft werden wir von Gas und Öl wegkommen müssen,
daher hilft eine Umstellung auch der Wirtschaft des eigenen Landes. Dann werden
auch China und die USA mitziehen müssen. Daher sagen die Vertreter dieser
Richtung, dass dieser Bottom-up-Ansatz wirksamer wäre, als der Versuch, die
ganze Welt gemeinsam nach einer Lösung suchen zu lassen.
Bailer: Verhandlungen sind zur Zeit die einzige Möglichkeit, etwas in diesem Bereich zu erreichen. Vielleicht wäre es sinnvoll, mit weniger Ländern nach einer Lösung zu suchen, damit bestimmte Länder mit ihrem Veto den Prozess nicht blockieren können. Natürlich wollen Politiker mit solchen Verhandlungen demonstrieren, dass sie überhaupt etwas in diesem Bereich tun, und solch ein Prozess kann auch wichtig sein. Ein Urteil über die Qualität einer Politik ist immer schwierig. Schauen wir nur auf das Ergebnis oder bewerten wir, ob die Bürger mit dem Prozess zufrieden sind? In der Schweiz wird die Bevölkerung durch die direkte Demokratie sehr intensiv an Prozessen beteiligt und ist deshalb mehrheitlich mit dem politischen System zufrieden. Daher muss auf jeden Fall versucht werden, durch Verhandlungen etwas zu erreichen, da ansonsten keine Chance auf einen Politikwandel besteht.
Reicht die Politik der kleinen
Schritte angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse überhaupt noch aus? Es
bleiben nicht mehr viele Jahre zum Verhandeln, wenn das Zwei-Grad-Ziel erreicht
werden soll.
Weiler:
Allein durch die Verhandlungen bleibt das Thema präsent. Durch die jährlich
stattfindenden Gipfel wird der Öffentlichkeit immer wieder klargemacht, dass es
nach wie vor ein Problem ist. Die Gipfel zeigen auch weltweit, welche Staaten
die Verhandlungen blockieren. Dadurch wird die Politik wieder unter Druck
gesetzt, etwas zu unternehmen.
Zur Person
Stefanie Bailer
ist Assistenzprofessorin am Departement Geistes-, Sozial- und
Staatswissenschaften. Sie untersucht Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse
auf internationaler, europäischer und nationaler Ebene. Zur Zeit untersucht ihr
Team im Rahmen des Forschungsprojekts «Klimawandel verhandeln», mit welchen
Verhandlungsstrategien und Machtressourcen Regierungen in den derzeitigen
UNFCCC-Klimaverhandlungen ihre Ziele erreichen.
Florian Weiler, hat im Oktober 2012 zum Thema «Negotiating
Climate Change: Positioning Behaviour, Cooperation and Bargaining» promoviert. Er befragte und untersuchte bei den
Klimaverhandlungen in Barcelona, Bangkok, Kopenhagen und Bonn über 60
Delegationen darüber, welche Strategien sie verwenden und welche
Positionen sie in Verhandlungen einnehmen.
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