Veröffentlicht: 20.11.12
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Urzeitliches Leben für Auge und Hand

Dinosaurier, Würmer, Krebse – sie alle hinterliessen vor Urzeiten ihre Spuren im Boden. Im Stein verewigten sich die Spuren zu Zeugnissen früheren Lebens. Die Ausstellung «Fossil Art – Urzeitliche Lebensspuren zum Anfassen» präsentiert nun an der ETH Zürich eine Auswahl solcher Versteinerungen. Sie ist für Blinde und für Sehende gleichermassen ein Erlebnis.

Florian Meyer
Die Ausstellung «Fossil Art» präsentiert Gesteinsplatten, die fossile Tierspuren aufweisen. Die Spuren sind für Blinde und für Sehende ein Erlebnis. (Bilder: Florian Meyer/ETH Zürich)
Die Ausstellung «Fossil Art» präsentiert Gesteinsplatten, die fossile Tierspuren aufweisen. Die Spuren sind für Blinde und für Sehende ein Erlebnis. (Bilder: Florian Meyer/ETH Zürich) (Grossbild)

Versteinerungen sind die Geschichtsbücher des urzeitlichen Lebens. Wo immer einst Tiere, die heute längst ausgestorben sind, vor Jahrmillionen über den Erdboden stapften oder krochen, den Boden auf der Suche nach Nahrung umgruben oder auch Höhlen zum Bewohnen anlegten, hinterliessen sie bleibende Spuren. Im Lauf der Zeit verfestigten sich diese Spuren zu reliefartigen Mustern im Gestein.

Rund vierzig solcher Steine, die Tier- und Witterungsspuren aufweisen , präsentiert nun die Ausstellung «Fossil Art» im Gebäude der ETH-Erdwissenschaften an der Zürcher Sonneggstrasse. Fünf mannsgrosse Gesteinsplatten mit reliefartigen Mustern bilden die Ankerpunkte der kreisartig aufgebauten Ausstellung.

Tierspuren für Blinde und für Sehende

Die wissenschaftlichen Erklärungen sind kurz und knapp, denn «Fossil Art» will die Besucherinnen und Besucher zum Anschauen und zum Anfassen der Exponate anregen. «Die Ausstellung ist ein Erlebnis für Blinde und für Sehende», sagt Ulrike Kastrup, die Leiterin des «Focus Terra»-Museums.

Der Klassiker unter den fossilen Tierspuren sind natürlich die Fussstapfen von Dinosauriern. Auch solche zeigt die Ausstellung, aber nicht ausschliesslich: Trilobiten zum Beispiel waren urzeitliche Gliedertiere, die vor rund 521 Mio. Jahren begannen, die Flachmeere zu bewohnen.

Vor ungefähr 251 Mio. Jahren starben sie in einem der grössten Massensterben der Erdgeschichte aus. Die im Gestein überlieferten Schleif- und Kratzspuren geben ein Zeugnis davon, wie diese Tiere den Boden nach Futter abweideten und richtiggehend umgruben.

In der Ausstellung sind die Trilobiten als faustgrosse, robuste Figuren zu sehen, die sich problemlos anfassen lassen, ohne dass sie dabei Schaden nehmen. Eben greift die Besucherin Yvonn Scherrer nach einem Trilobiten. Mit der ganzen Hand tastet sie den Körperbau und seine Ausmasse ab. Mit den Fingern erkundet sie die dünnen Beinchen, die Fühler und die Furchen, die das Tier in den Grund zieht.

Bedürfnisse von Blinden berücksichtigt

«Super, sehr schön, die Ausstellung gefällt mir», sagt Yvonn Scherrer. Die Radiojournalistin, Buchautorin und Theologin ist blind. Sie hat die von Blindenorganisationen unterstützte Ausstellung getestet und wird bei der Ausstellungseröffnung am 19. November die Festansprache halten - zusammen mit dem Vater von «Fossil Art» und Paläontologen der Universität Tübingen, Dolf Seilacher, und dem Kurator der Paläontologischen Museums, Heinz Furrer.

Zwei Dinge sind ihr gleich zu Beginn positiv aufgefallen: Zum einen enthält die Ausstellung neben den Exponaten auch ein fassbares Modell des Ausstellungsraums. Dadurch können sich Blinde vorstellen, wie die Ausstellung organisiert ist.

Ebenso freut sich Scherrer, dass sich die Tafeln, welche die Exponate in der Blindenschrift Braille erklären, auf einem kleinen Sims direkt auf der Höhe der Hände befinden. «Das ist die erste vernünftige und praktische Lösung, die ich in einer Ausstellung erlebe», sagt Scherrer. Wenn man die Erklärungen für Blinde einfach an die Wand neben die Beschreibungen in der Buchstabenschrift setze, sagt sie, sei dies für Blinde ziemlich unbequem.

Einen Schritt weiter als die Trilobiten gingen die Krebse, die vor rund 200 Mio. Jahren in der Toskana lebten. Sie beliessen es nicht beim Scharren an der Oberfläche, sondern sie gruben weit verzweigte Höhlen in das Kalkgestein. Diese Höhlen nutzen sie sowohl zur Nahrungssuche als auch zum Wohnen. Mit der Zeit füllten sich diese netzartigen Gänge mit sandigen Sedimenten, die sich über die Jahrtausende verfestigten und heute als skelettartige Gerippe zu sehen sind. Vier Modelle aus weichem Silikon machen diesen Vorgang für Sehende sichtbar und für Blinde fassbar.

Rippeln, die vom Wasser kommen

Nicht alle Spuren stammen aber von Tieren: Auch Wasserwellen formten feine Rippeln in den sandigen Untergrund. «Faszinierend, mit welchem Schwung sich die Rippeln über den Stein ziehen», sagt Yvonn Scherrer, «und jeder Rippel fühlt sich anders an.» Mit dem Auge betrachtet erinnern die Wellenrippeln vage an die Flechten eines Korbes.

Die Rippeln haben zwei deutliche Wellenkämme, erzeugt wurden sie von einer Wasserbewegung, die quer zu ihnen verlief. Entstanden sind solche Rippelmarken in Flachmeeren schon vor mehr als 1,5 Mrd Jahren, und man findet sie auch heute noch am Strand.

«Auf der Gesteinsplatte liegt noch Staub», sagt nun Scherrer, «Der muss vor der Eröffnung noch beseitigt werden. Die Staubfuseln sind feine, aber falsche Informationen.» Wer die Augen schliesst und eine Binde um die Augen legt, merkt sofort, was Scherrer meint. Von blossem Auge betrachtet, unterscheiden sich die fünf grossen Platten nicht von richtigem Sand- oder Kalkstein. Doch sie sind Nachbildungen aus Polyesterkunstharz.

Wer bei geschlossenen Augen mit der Hand über die Oberflächen streicht, spürt den Unterschied. Nur bei den richtigen Sand- und Kalksteinen bleibt das eine oder andere Sandkorn an der Fingerkuppe haften. Bei den Nachbildungen ist das nicht der Fall – ausser eben die Staubfuseln kommen dazwischen.

Ein Nagelkissen für eigene Spuren

Teil der Ausstellung ist auch ein Wattspurenmodell der Illustratorin Marion Deichmann und des Ausstellungsarchitekten Tobias Klauser. Dieser hat auch die Ausstellung entworfen. Hier entdeckt man Spuren, die Tiere heute im Watt hinterlassen und muss raten, zu wem sie gehören.

Einen spielerischen Weg, wie – vor allem auch Kinder – die Entstehung von fossilen Spuren erleben können, hat der Künstler Ward Fleming erfunden: Auf neuartigen Nagelbrettern (engl. Pinscreens) können sie mit Händen, Füssen oder sogar mit dem Gesicht dreidimensionale Abdrücke hinterlassen. Auf der Rückseite des Nagelbretts sind dann Abdrücke zu erkennen – genauso wie dies bei den fossilen Abdrücken im Stein der Fall ist.

«Fossil Art - Urzeitliche Lebensspuren zum Anfassen».
19. November 2012 bis 12. Mai 2013. «Focus Terra», ETH Zürich. Gebäude NO, Sonneggstrasse 5, 8006 Zürich.

Während der Ausstellung bietet focusTerra ein vielfältiges Rahmenprogramm zu Fossil Art an. Dazu gehören:
· Führung von Blinden und Sehenden für alle
Jeweils am ersten und dritten Mittwoch des Monats (ausser 2. Januar und 1. Mai 2013), 18 Uhr.
Dauer ca. 1 Std. Teilnahme kostenlos. Keine Anmeldung erforderlich.
· Taktiler Workshop für alle
Jeweils am zweiten Mittwoch des Monats, 15 Uhr. Dauer ca. 1.5 Std. (Bitte planen Sie für den Workshop und den Besuch der Ausstellung 2 Std. ein.)
Teilnahme kostenlos. Anmeldung erwünscht.
· Fossil Art am Mittag – Einführung in die Sonderausstellung
Sonntags, 12 Uhr.Teilnahme kostenlos. Keine Anmeldung erforderlich.
- Taktile Führungen und Workshops
Buchbar unter http://www.focusterra.ethz.ch/focusterra/museum/special/fossilart
Weitere Informationen finden sich auf der Website von «Focus Terra».

 
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