«Innenentwicklung vor Aussenentwicklung»
Wie sieht eine nachhaltige Schweizer Raumplanung aus? Sie konzentriert sich auf die Innenentwicklung, ist Bernd Scholl überzeugt. Das ist zwar herausfordernd, bewahrt die Schweiz jedoch davor, ihre räumliche Identität zu verlieren.
Herr Scholl, vor
wenigen Tagen wurde das Raumkonzept
vom Bund verabschiedet. Während sieben Jahren erarbeiteten Gemeinden, Kantone
und Bund gemeinsame Ziele für die Schweizer Raumplanung. Nun wurden sämtliche
Bundesstellen beauftragt, sich an den darin verankerten Strategien
zu orientieren. Ein Meilenstein für die Schweizer Raumplanung?
Für die wichtigsten
Forderungen des Raumkonzepts – die tripartite Koordination zwischen Gemeinden,
Kantonen und Bund und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in funktionalen
Räumen – haben Fachleute jahrelang gekämpft. Insofern war die Erarbeitung und
Verabschiedung des Raumkonzepts eine wichtige politische Weichenstellung; da
ist etwas in die Gänge gekommen.
Das Raumkonzept ist aber nach
wie vor nicht verpflichtend, sondern lediglich eine Empfehlung.
Trotzdem ist es ein
hilfreicher Rahmen. Als gesetzliche Grundlage dient ja das Raumplanungsgesetz,
das revidiert werden soll.
Hat die Bevölkerung also
erkannt, dass wir mit den verbleibenden Flächen nicht so umgehen können, wie wir
es in den letzten 50 Jahren getan haben?
Ja, die Raumplanung steht
heute in der Schweiz ganz oben auf der politischen Agenda. Der haushälterische
Umgang mit dem Boden ist zwar seit 1979 im Raumplanungsgesetz festgeschrieben. Doch
wurde diesem Grundsatz von Kantonen und Gemeinden bislang nicht genügend Rechnung
getragen. Die Revision setzt nun an der Schwäche des Vollzugs des bisherigen Gesetzes
an.
Was würde die Revision für
die zukünftige Raumplanung konkret bedeuten?
Die Revision unterstützt ein
aktives Flächenmanagement. Das bedeutet, dass man die inneren Flächenreserven kennt
und diese bei zukünftigen Entscheidungen berücksichtigt.
Was meinen Sie genau mit «inneren
Reserven»?
Zum Beispiel
Industriebrachen, die aktiviert und umgenutzt werden können. Zürich West ist
ein solches Beispiel. Früher ein Industriequartier, entsteht dort ein gemischt
genutztes Quartier mit neuen Wohn- und Arbeitsräumen. Der Grundsatz der heutigen
Schweizer Raumplanung muss lauten: Innenentwicklung vor Aussenentwicklung.
Noch
fehlt jedoch ein Konsens über diesen Grundsatz: Das Referendum gegen die Revision
des Raumplanungsgesetzes kam zustande.
Das Referendumskomitee befürchtet
vor allem, dass die Begrenzung und restriktivere Handhabung von Neueinzonungen
zu höheren Preisen bei Immobilien und Grundstücken führt. Das wiederum hemme die
wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz, so das Komitee.
Teilen Sie diese Meinung?
Nein, in vielen Gebieten werden
die bestehenden Bauzonen nur zu 60 bis 70 Prozent ausgenutzt. Wenn man dieses
Potenzial ausschöpft, haben wir genügend Raum, um auch ohne Neueinzonungen zu
wachsen. Darüber hinaus existieren weitere Reserven wie Baulücken, unternutzte
oder nicht zweckmässig genutzte Areale. Und schliesslich ist bei Weitem nicht
alles eingezonte Land bereits überbaut. Indem wir unsere Landschaften schonen
und Städte qualitativ nach innen entwickeln, stärken wir die Identität der
Schweiz und steigern damit ihre Attraktivität.
Wo steht die Schweiz punkto
Raumplanung heute im internationalen Vergleich?
Nur in Holland und
Skandinavien werden Fragen der Raumplanung dermassen intensiv diskutiert wie in
der Schweiz. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass in der Schweiz aus
topographischen Gründen lediglich 30 Prozent der Gesamtfläche tatsächlich für
Besiedlung und Landwirtschaft verfügbar sind.
Wo liegen die grossen
Herausforderungen der künftigen Schweizer Raumplanung?
Städte, Gemeinden und
Kantone müssen eine noch aktivere Rolle in der Innenentwicklung übernehmen.
Dafür müssen sie auf Grundstückeigentümer zugehen und gemeinsam zukunftsfähige
Lösungen erarbeiten. Es reicht nicht mehr, einfach zu warten, bis jemand kommt
und sagt: Ich will hier bauen. Beim Umbau der schweizerischen Energieversorgung
zum Beispiel wird das sehr wichtig: Der Ausbau von Solarenergie und Wasserkraft
wird aller Voraussicht nach auch neue Übertragungsleitungen mit sich bringen.
Die Raumplanung muss deshalb zukünftige Anforderungen an den Raum bereits heute
vorwegnehmen und koordinieren.
Und wie kann die Forschung
dazu beitragen?
Je grösser die Anforderungen
an den Raum werden und je kleiner die verfügbare Fläche ist, desto besser muss
der Austausch untereinander organisiert werden. Kommunikation ist dabei ein zentraler
Aspekt. Wir brauchen gut durchdachte Planungsprozesse, in denen wir voneinander
lernen können – auch wenn ganz unterschiedliche Ansprüche an den Raum aufeinandertreffen.
Können Sie ein Beispiel
dafür nennen?
Meine Professur hat bei der
Umnutzung des Militärflugplatzes in Dübendorf die Planungsprozesse im Rahmen
eines Testplanungsverfahrens gestaltet und geleitet. Dabei wurden Teams eingeladen,
die in Konkurrenz zueinander Ideen erarbeiteten. Wir werteten diese aus und legten
gemeinsam mit den Akteuren des Beurteilungsgremiums die Stossrichtung fest. Die
Testplanung hat dazu beigetragen, dass die Regierung des Kantons die Brache als
strategische Landreserve für den Kanton Zürich frei behält, anstelle den Boden gleich
wieder mit mehr vom Gleichen zu verbauen.
Bernd Scholl ist Professor für Raumentwicklung am Institut für
Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich. Seit 2011
leitet er das «Netzwerk Stadt und Landschaft» (NSL).
10 Jahre «Netzwerk Stadt und Landschaft»
Seit zehn
Jahren erforschen über 120 Mitarbeitende der fünf Institute des «Netzwerks
Stadt und Landschaft» (NSL) sowohl nationale als auch internationale
Lebensräume. Die Zusammenarbeit von Professuren aus den Bereichen Städtebau,
Soziologie, Verkehrsplanung, Raum- und Landschaftsentwicklung sowie
Landschaftsarchitektur führte zur erfolgreichen Teilnahme am
Schweizer Nationalfondsprojekt «Neue urbane Qualität» und zur Gründung eines
computergestützten Labors zur Landschaftsvisualisierung. Auch die Eröffnung des «Future Cities
Laboratory» (FCL) geht auf eine Initiative des NSL zurück. Zum Jubiläum findet am 12. November 2012 eine
Werkdiskussion mit NSL-Forschenden, siehe www.nsl.ethz.ch.
Am Sonntag, 18. November 2012, findet ausserdem ein «Treffpunkt Science City» zum Thema «Stadt Schweiz - Raumplanung» statt. Mehr unter www.treffpunkt.ethz.ch.
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