Veröffentlicht: 05.11.12
Science

«Innenentwicklung vor Aussenentwicklung»

Wie sieht eine nachhaltige Schweizer Raumplanung aus? Sie konzentriert sich auf die Innenentwicklung, ist Bernd Scholl überzeugt. Das ist zwar herausfordernd, bewahrt die Schweiz jedoch davor, ihre räumliche Identität zu verlieren.

Interview: Samuel Schläfli
Bernd Scholl, seit 2006 Professor für Raumentwicklung. (Bild: ETH Zürich)
Bernd Scholl, seit 2006 Professor für Raumentwicklung. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Scholl, vor wenigen Tagen wurde das Raumkonzept vom Bund verabschiedet. Während sieben Jahren erarbeiteten Gemeinden, Kantone und Bund gemeinsame Ziele für die Schweizer Raumplanung. Nun wurden sämtliche Bundesstellen beauftragt, sich an den darin verankerten Strategien zu orientieren. Ein Meilenstein für die Schweizer Raumplanung?
Für die wichtigsten Forderungen des Raumkonzepts – die tripartite Koordination zwischen Gemeinden, Kantonen und Bund und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in funktionalen Räumen – haben Fachleute jahrelang gekämpft. Insofern war die Erarbeitung und Verabschiedung des Raumkonzepts eine wichtige politische Weichenstellung; da ist etwas in die Gänge gekommen.

Das Raumkonzept ist aber nach wie vor nicht verpflichtend, sondern lediglich eine Empfehlung.
Trotzdem ist es ein hilfreicher Rahmen. Als gesetzliche Grundlage dient ja das Raumplanungsgesetz, das revidiert werden soll.

Hat die Bevölkerung also erkannt, dass wir mit den verbleibenden Flächen nicht so umgehen können, wie wir es in den letzten 50 Jahren getan haben?
Ja, die Raumplanung steht heute in der Schweiz ganz oben auf der politischen Agenda. Der haushälterische Umgang mit dem Boden ist zwar seit 1979 im Raumplanungsgesetz festgeschrieben. Doch wurde diesem Grundsatz von Kantonen und Gemeinden bislang nicht genügend Rechnung getragen. Die Revision setzt nun an der Schwäche des Vollzugs des bisherigen Gesetzes an.

Was würde die Revision für die zukünftige Raumplanung konkret bedeuten?
Die Revision unterstützt ein aktives Flächenmanagement. Das bedeutet, dass man die inneren Flächenreserven kennt und diese bei zukünftigen Entscheidungen berücksichtigt.

Was meinen Sie genau mit «inneren Reserven»?
Zum Beispiel Industriebrachen, die aktiviert und umgenutzt werden können. Zürich West ist ein solches Beispiel. Früher ein Industriequartier, entsteht dort ein gemischt genutztes Quartier mit neuen Wohn- und Arbeitsräumen. Der Grundsatz der heutigen Schweizer Raumplanung muss lauten: Innenentwicklung vor Aussenentwicklung.

Noch fehlt jedoch ein Konsens über diesen Grundsatz: Das Referendum gegen die Revision des Raumplanungsgesetzes kam zustande.
Das Referendumskomitee befürchtet vor allem, dass die Begrenzung und restriktivere Handhabung von Neueinzonungen zu höheren Preisen bei Immobilien und Grundstücken führt. Das wiederum hemme die wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz, so das Komitee.

Teilen Sie diese Meinung?
Nein, in vielen Gebieten werden die bestehenden Bauzonen nur zu 60 bis 70 Prozent ausgenutzt. Wenn man dieses Potenzial ausschöpft, haben wir genügend Raum, um auch ohne Neueinzonungen zu wachsen. Darüber hinaus existieren weitere Reserven wie Baulücken, unternutzte oder nicht zweckmässig genutzte Areale. Und schliesslich ist bei Weitem nicht alles eingezonte Land bereits überbaut. Indem wir unsere Landschaften schonen und Städte qualitativ nach innen entwickeln, stärken wir die Identität der Schweiz und steigern damit ihre Attraktivität.

Wo steht die Schweiz punkto Raumplanung heute im internationalen Vergleich?
Nur in Holland und Skandinavien werden Fragen der Raumplanung dermassen intensiv diskutiert wie in der Schweiz. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass in der Schweiz aus topographischen Gründen lediglich 30 Prozent der Gesamtfläche tatsächlich für Besiedlung und Landwirtschaft verfügbar sind.

Wo liegen die grossen Herausforderungen der künftigen Schweizer Raumplanung?
Städte, Gemeinden und Kantone müssen eine noch aktivere Rolle in der Innenentwicklung übernehmen. Dafür müssen sie auf Grundstückeigentümer zugehen und gemeinsam zukunftsfähige Lösungen erarbeiten. Es reicht nicht mehr, einfach zu warten, bis jemand kommt und sagt: Ich will hier bauen. Beim Umbau der schweizerischen Energieversorgung zum Beispiel wird das sehr wichtig: Der Ausbau von Solarenergie und Wasserkraft wird aller Voraussicht nach auch neue Übertragungsleitungen mit sich bringen. Die Raumplanung muss deshalb zukünftige Anforderungen an den Raum bereits heute vorwegnehmen und koordinieren.

Und wie kann die Forschung dazu beitragen?
Je grösser die Anforderungen an den Raum werden und je kleiner die verfügbare Fläche ist, desto besser muss der Austausch untereinander organisiert werden. Kommunikation ist dabei ein zentraler Aspekt. Wir brauchen gut durchdachte Planungsprozesse, in denen wir voneinander lernen können – auch wenn ganz unterschiedliche Ansprüche an den Raum aufeinandertreffen.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Meine Professur hat bei der Umnutzung des Militärflugplatzes in Dübendorf die Planungsprozesse im Rahmen eines Testplanungsverfahrens gestaltet und geleitet. Dabei wurden Teams eingeladen, die in Konkurrenz zueinander Ideen erarbeiteten. Wir werteten diese aus und legten gemeinsam mit den Akteuren des Beurteilungsgremiums die Stossrichtung fest. Die Testplanung hat dazu beigetragen, dass die Regierung des Kantons die Brache als strategische Landreserve für den Kanton Zürich frei behält, anstelle den Boden gleich wieder mit mehr vom Gleichen zu verbauen.

Bernd Scholl ist Professor für Raumentwicklung am Institut für Raum- und Landschaftsentwicklung der ETH Zürich. Seit 2011 leitet er das «Netzwerk Stadt und Landschaft» (NSL).

10 Jahre «Netzwerk Stadt und Landschaft»

Seit zehn Jahren erforschen über 120 Mitarbeitende der fünf Institute des «Netzwerks Stadt und Landschaft» (NSL) sowohl nationale als auch internationale Lebensräume. Die Zusammenarbeit von Professuren aus den Bereichen Städtebau, Soziologie, Verkehrsplanung, Raum- und Landschaftsentwicklung sowie Landschaftsarchitektur führte zur erfolgreichen Teilnahme am Schweizer Nationalfondsprojekt «Neue urbane Qualität» und zur Gründung eines computergestützten Labors zur Landschaftsvisualisierung. Auch die Eröffnung des «Future Cities Laboratory» (FCL) geht auf eine Initiative des NSL zurück. Zum Jubiläum findet am 12. November 2012 eine Werkdiskussion mit NSL-Forschenden, siehe www.nsl.ethz.ch.
Am Sonntag, 18. November 2012, findet ausserdem ein «Treffpunkt Science City» zum Thema «Stadt Schweiz - Raumplanung» statt. Mehr unter www.treffpunkt.ethz.ch.

 
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