Veröffentlicht: 25.10.12
Science

Wer offener kommuniziert, macht bessere Narkosen

Fehler im Operationssaal können mitunter tragische Folgen haben. Forschende der ETH und des Universitätsspitals Zürich haben nun gezeigt: Die Leistung von Anästhesieteams hängt wesentlich von ihrer Fähigkeit ab, offen zu kommunizieren und auch Zweifel an der Leistung der Kollegen wohlwollend anzusprechen.

Fabio Bergamin
Ein Ärzteteam simuliert bei einem Dummy am Universitätsspital Zürich eine Anästhesie (Standbild aus einem Video). (Bild: Institut für Anästhesiologie / Universitätsspital Zürich)
Ein Ärzteteam simuliert bei einem Dummy am Universitätsspital Zürich eine Anästhesie (Standbild aus einem Video). (Bild: Institut für Anästhesiologie / Universitätsspital Zürich) (Grossbild)

Statt dem linken Bein operieren Chirurgen das rechte Bein eines Patienten. Ärztinnen verabreichen einer Frau ein Antibiotikum, auf das sie schon früher mit einer starken Allergie reagierte – und was in ihrer Patientenakte vermerkt gewesen wäre. Oder wegen eines Missverständnisses spritzt ein Anästhesiepfleger eine viel zu hohe Dosis eines Schmerzmittels. Solche und andere Fehler kommen in der Medizin vor, wenn auch unterschiedlich häufig und mit unterschiedlicher Tragweite. Gemeinsam haben die genannten Versehen, dass sie häufig durch eine bessere Kommunikation innerhalb des Teams hätten vermieden werden können. «Das Bewusstsein für die Kommunikation in der Medizin hat in den letzten Jahren zwar stark zugenommen, dennoch ist das Potenzial für Verbesserungen noch immer gross», sagt Michaela Kolbe, Psychologin und Oberassistentin am Departement Management, Technologie und Ökonomie (D-MTEC) der ETH Zürich. Gemeinsam mit Kollegen ihres Departements und des Instituts für Anästhesiologie des Universitätsspitals Zürich hat sie die Kommunikation von Anästhesieteams untersucht. Dabei stellten die Forscher fest: Je häufiger Teammitglieder Unsicherheit und Zweifel aussprechen, desto besser ist ihre Leistung als Team.

Die Untersuchung machten die Wissenschaftler nicht bei echten Narkosen, sondern bei solchen, die mit einem High-Tech-Mannequin simuliert wurden. «Das Mannequin sah ziemlich echt aus und konnte wie bei einer echten Narkose mit dem Beatmungsgerät und mit Überwachungsmonitoren verbunden werden», sagt Kolbe. Rund 30 Teams aus je einem Arzt und einer Anästhesiepflegefachkraft machten bei der Studie am Universitätsspital Zürich mit. Ihre Aufgabe bestand darin, den «Patienten» für eine Operation in Narkose zu versetzen und ihm einen Beatmungsschlauch in die Luftröhre einzuführen. Grundsätzlich ist das für ein Anästhesieteam Routine. Die Trainingsleiter erschwerten die Übung allerdings, indem sie kritische Ereignisse simulierten. So konnten sie sowohl an dem Mannequin als auch an den Monitoren beispielsweise den Blutdruck, den Puls oder die Atemfrequenz manipulieren. In Videoaufzeichnungen der Übungen studierten Psychologen anschliessend, wie die Teilnehmer kommunizierten, Ärzte bewerteten die Teamleistung aus medizinischer Sicht.

Zweifel werden nicht immer geäussert

Im Fokus hatten die Psychologen typische Spitalsituationen wie diese: Eine Anästhesiepflegerin gewinnt während der Operation den Eindruck, dass etwas nicht richtig läuft, oder sie vermutet, dass der Assistenzarzt einen Fehler begeht. «Nicht immer äussern Anästhesiepflegefachkräfte in solchen Situationen ihre Zweifel», sagt Kolbe. Sei es, weil sie sich nicht ganz sicher seien, weil hierarchische Hürden sie daran hinderten, oder sie negative Konsequenzen ihrer Kritik fürchten, etwa dass die kollegiale Beziehung darunter leiden könnte. Dies gelte auch für Ärzte.

Auch wenn das Äussern von Zweifeln nicht immer leicht fällt, im Operationssaal lohnt es sich, wie die Wissenschaftler nun zeigen konnten. Denn in der Studie kam es bei jenen Teams zu weniger medizinischen Fehlleistungen, die sich relevante Beobachtungen häufiger mitteilten, und die häufiger wohlwollend Kritik übten – also insgesamt offener miteinander kommunizierten.

Management muss Gesprächskultur fördern

Besonders in Spitälern, wo eine Vielzahl hochspezialisierter Mitarbeiter in einem komplexen Umfeld zusammenarbeiten und wo Fehler fatale Folgen haben können, ist es nötig, dieses Verhalten zu fördern. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die Kommunikation von Kritik erlernbar sei, sagt Michaela Kolbe. «Denn oft äussern Menschen keine Kritik, weil sie nicht wissen, wie sie sich ausdrücken können, ohne das Gegenüber zu verletzten.» Heute wird darum in Simulationstrainings darauf Wert gelegt, dass Ärzte und Pflegepersonen lernen, ihre Beobachtungen mitzuteilen und Zweifel zu äussern – mit spürbarem Erfolg.

Training alleine reiche jedoch nicht, sagt Kolbe. Mitarbeiter müssten auch die Sicherheit haben, dass sie keine negativen Konsequenzen zu tragen hätten, wenn sie beispielsweise das Verhalten ihres Vorgesetzten in Frage stellten. Es ist bekannt, dass im Operationssaal Zweifel häufiger geäussert werden, wenn der verantwortliche Arzt vor Beginn des Eingriffes aktiv dazu auffordert, Auffälligkeiten offen anzusprechen. Und schliesslich könne es hilfreich sein, wenn die verschiedenen Managementstufen am Spital eine offene Gesprächskultur förderten, so Kolbe. Dies alles trage dazu bei, die Patientensicherheit wesentlich zu erhöhen.

Literaturhinweis

Kolbe M, Burtscher MJ, Wacker J, Grande B, Nohynkova R, Manser T, Spahn DR, Grote G: Speaking Up Is Related to Better Team Performance in Simulated Anesthesia Inductions: An Observational Study. Anesthesia & Analgesia, 2012, Online-Vorabveröffentlichung, DOI: 10.1213/ane.0b013e318269cd32

 
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