Veröffentlicht: 10.10.12
Kolumne

Open Access, ein Modell für die Zukunft?

Wolfram Neubauer
Wolfram Neubauer ist seit dem 1. Januar 1997 der Direktor der ETH-Bibliothek. (Bild: ETH  Zürich)
Wolfram Neubauer ist seit dem 1. Januar 1997 der Direktor der ETH-Bibliothek. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Seit vielen Jahren werden Universitäten und ihre Informationseinrichtungen von einem Thema verfolgt: Die Zeitschriftenpreise steigen stetig und offensichtlich unaufhaltsam. Häufig erhöhen sich die Preise in nur wenigen Jahren mit Raten von 50 bis 60%. 8% pro Jahr sind die unangenehme Realität. Für die ETH Zürich ist dies deshalb besonders unerfreulich, als in den Technik- und Naturwissenschaften Zeitschriften das bevorzugte Medium für die wissenschaftliche Kommunikation sind.

Seit einigen Jahren zeichnet sich die Rettung für dieses Dilemma ab: Open Access, also der freie Zugang zu allen wissenschaftlichen Publikationen, und zwar möglichst weltweit, von jedem Punkt auf der Erde, von dem aus der Zugriff auf einen Computer vorhanden ist. «Wir stellen alle Publikationen Open Access und das Problem des Zugriffs auf die Inhalte ist gelöst. Jedermann kann frei zugreifen, Fragen der Lizenzierung, Urheberrechtsprobleme etc. sind nicht mehr relevant» - soweit die schöne Theorie, die mittlerweile durch eine Vielzahl von Statements, Initiativen und Aktionen transportiert worden ist. Beispiele dafür sind die «Berliner Erklärung» oder aktuell eine Initiative in Grossbritannien.

Naturgemäss war das Echo in den Medien und in den Science Communities überwältigend - überwältigend positiv. Wer kann etwas dagegen haben, Ergebnisse aus Wissenschaft und Forschung frei ins Netz zu stellen und auf diese Weise die wissenschaftliche Kommunikation zu vereinfachen, zu popularisieren, zu demokratisieren…?

Eine kurze Definition von Open Access zur Verdeutlichung: Im Wesentlichen gibt es zwei Ansätze, die dieses Phänomen beschreiben, nämlich den sogenannten Goldenen und den Grünen Weg. Goldener Weg besagt hierbei, dass der Autor oder seine Institution für die Veröffentlichung eines Aufsatzes und dessen freie Verfügbarkeit im Netz bezahlt - zwischen 1000 und 2500 Euro - und der Grüne Weg bedeutet die Bereitstellung der Pre- und/oder Postprints wissenschaftlicher Arbeiten auf dem Volltextserver der eigenen Einrichtung, vor oder nach einer Publikation auf dem klassischen Weg.

Wie ist nun die Realität an den Universitäten und Hochschulen? In der überwiegenden Zahl der Fälle erfolgt die Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse nach wie vor über die traditionellen Publikationsprozesse und -kanäle. Gründe hierfür gibt es mehrere: Beschränkte finanzielle Ressourcen, Unkenntnis der Publikationsmöglichkeiten, unzureichendes Angebot an Open Access-Medien etc.

Dies möchten nun die Politik, eine Reihe von Fördereinrichtungen, aber auch viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler offensichtlich aktiv ändern.

So hat sich beispielsweise vor wenigen Wochen der zuständige Minister in Grossbritannien dafür entschieden, die Empfehlung einer entsprechenden Arbeitsgruppe aufzunehmen und den Goldenen Weg als den Standardprozess für staatlich geförderte akademische Einrichtungen zu definieren. Diese Entscheidung ist dann besonders apart, wenn man berücksichtigt, dass die hierfür notwendigen Finanzmittel nicht durch zusätzliches Geld gedeckt werden. Die bereitgestellten 10 Millionen Pfund sind einmal viel zu gering für 30 Einrichtungen und sie sollen darüber hinaus dem bereits verplanten Forschungsbudget entnommen werden.

Die Durchsetzung des politischen Willens geht also zu Lasten von Wissenschaft und Forschung, was auch bereits zu heftigen Protesten geführt hat.

Was haben diese Aktivitäten nun mit uns, mit der ETH Zürich zu tun? Viel und wenig gleichermassen.

Einmal werden auch wir uns einer weltweiten Entwicklung nicht entziehen können - und wollen. Dies bedeutet, dass sich zumindest mittelfristig die Zahl an Open-Access-Publikationen von Forschenden der ETH Zürich deutlich erhöhen wird. Wenn man berücksichtigt, dass das aktuelle Publikationsaufkommen bei etwa 10000 Arbeiten pro Jahr liegt und man mittelfristig von einem definierten 30%-Anteil für Open Access ausgeht, dann wird die finanzielle Dimension eines solchen Unterfangens deutlich.

Das eigentliche Problem liegt hier in einer zeitlich noch nicht abschätzbaren Doppelgleisigkeit: Lizenzierung von Zeitschriftentiteln auf dem klassischen Weg und Unterstützung von Open-Access-Publikationen. Eine Entscheidung für Open Access ist aus wissenschaftlicher Sicht ja erst dann möglich und sinnvoll, wenn eine kritische Masse von Forschungsinstitutionen weltweit in gleicher Weise agieren würde.

Somit hat sich die ETH Zürich bis auf Weiteres für den Grünen Weg entschieden, also für die klassische Lizenzierung von Zeitschriften und die Archivierung von Pre- und Postprints auf dem eigenen Volltextserver. Allerdings bleibt auch an dieser Stelle für alle Beteiligten noch viel zu tun.

Fazit: Open Access ist sicherlich ein wünschenswertes wissenschaftliches und politisches Ziel. Ob allerdings finanzielle Einsparungen erzielt werden können, ob die Macht der Grossverlage gebrochen oder eingeschränkt werden kann, darf man bezweifeln. In jedem Falle wird eine flächendeckende Realisierung noch erhebliche Zeit in Anspruch nehmen.

Zum Autor

Wolfram Neubauer ist der Direktor der ETH-Bibliothek. Neubauer wurde am 15. September 1950 in Rain/Lech (D) geboren. Er studierte Mineralogie und Chemie an der TU München und Universität München. Seine Doktorarbeit verfasste er in den Jahren 1979 und 1982 über ein geochemisches Thema am Mineralogisch-Petrografischen Institut der Universität München. Von 1981 bis 1983 absolvierte Neubauer eine postgraduale Ausbildung zum wissenschaftlichen Bibliothekar und war anschliessend für mehrere Jahre als Leiter der Bibliothek eines internationalen Pharmaunternehmens tätig.
Bis Ende 1996 war er Leiter der Zentralbibliothek des Forschungszentrums Jülich, einer der grossen nationalen Forschungseinrichtungen Deutschlands. Seit dem 1. Januar 1997 ist er Direktor der ETH-Bibliothek. Nebenberuflich ist er in verschiedenen Fachgremien tätig (u.a. Mitglied im Ausschuss für Wissenschaftliche Bibliotheken und Informationssysteme der DFG, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Deutschen Museums).