Starthilfe von Grand Challenges Explorations
ETH-Postdoc Bogdan Mateescu erhält einen sechsstelligen Grant aus der Bill & Melinda Gates Foundation. Damit will er untersuchen, weshalb es in der Muttermilch microRNA gibt.
Bogdan Mateescu hat es geschafft: Sein Antrag ist eben durchgekommen. 100‘000 US-Dollar erhält er für ein 18monatiges Forschungsprojekt, das er sogleich in Angriff nehmen kann. Das Geld stammt von niemand geringerem als Microsoft-Gründer Bill Gates, der zusammen mit seiner Frau die Bill & Melinda Gates Foundation geschaffen hat und über das Programm Grand Challenges Explorations neuen, unorthodoxen Ideen zum Durchbruch verhelfen will.
In der Tat ist die Idee, die der Franzose, der seit einem Jahr
an der ETH arbeitet, ungewöhnlich. Muttermilch besteht aus unterschiedlichen
Bestandteilen. Die meisten sind seit langem bekannt, wie diverse Milchproteine,
kleinste Bläschen, welche das Milchfett enthalten, Laktose und Vitamine sowie
Antikörper, die Neugeborene vor Keimen schützen.
RNS-Stücke als Informationsträger
In der Milch haben Forscher aber auch besondere Moleküle gefunden: microRNA. RNA entsteht, wenn Gene abgelesen werden. Anhand dieser so genannten Boten-RNA baut die Zelle die Proteine zusammen. Die Mikro-RNS (miRNA) hingegen codieren nicht für Proteine. Sie werden über mehrere Schritte aus längeren Vorläufer-RNS-Molekülen gekürzt. Diese Stücke können an Boten-RNS binden und «Stilllegungsmaschinen» anfordern, die die Übersetzung von Boten-RNS in ein Protein verhindern oder gar deren Abbau bewirken. miRNA gelten deshalb als wichtige Regulatoren des Zellstoffwechsels und der Zelldifferenzierung. Aus Säugerzellen sind über 800 verschiedene miRNAs nachgewiesen.
Bisher ging die Forschung davon aus, dass kleine RNS-Stücke, wie die miRNAs, in Zellen bleiben. Forscher aus der Gruppe von Mateescus Professor, dem RNS-Spezialisten Olivier Voinnet, haben jedoch aufgezeigt, dass sich kleine RNS-Moleküle von Zelle zu Zelle fortbewegen und dadurch Informationen übertragen, also eine bestimmte Funktion über Zellgrenzen hinaus haben. «Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass dieser Mechanismus auch in Säugetieren existiert», sagt Mateescu.
Milch-Mikro-RNS unentbehrlich?
Der Verdacht, dass miRNAs auch in Säugern eine solche Funktion haben, nährt sich aus dem Umstand, dass die Zellen der Brustdrüsen microRNA in die Milch absondern, welche das Neugeborene samt der miRNA aufnimmt. Was, wie und wo diese Moleküle aber im kindlichen Magendarmtrakt wirken, ist unbekannt. «Klar ist nur, dass die Häufigkeit und die Eigenarten der „Milch-Mikro-RNA“ für mögliche Einwirkungen auf die Physiologie des Magendarmtrakts von Neugeborenen sprechen», sagt der Grantee. Diese «Milch-Mikro-RNAs» könnte vor allem direkt nach der Geburt wirken. Später im Leben und im Erwachsenenleben ist der Effekt wohl kaum mehr spürbar, sobald sich die normale Verdauung entwickelt hat.
Mateescu will deshalb seinen Grant dazu verwenden, um herausfinden, ob und welchen Einfluss miRNA auf das Neugeborene haben. Anhand von Versuchen an Zellkulturen und Tiermodellen will er aufzeigen, ob es möglich ist, dass beispielsweise Darmzellen miRNA aus der Milch aufnehmen können. Diese Experimente könnten die Grundlage für spätere klinische Studien am Menschen sein.
Der ETH-Forscher fragt sich deshalb auch, ob bestimmte microRNA für das Neugeborene nützlich oder gar unentbehrlich sind. Und demzufolge, ob es hilfreich sein könnte, Milchpulver mit bioaktiven microRNA zu ergänzen. Könnten diese gar eine Immunität gegen Krankheitserreger vermitteln? «Dies könnte relevant sein, um Kleinkindern, insbesondere in Entwicklungsländern, eine gesunde Entwicklung zu garantieren», sagt er.
Erst der Grundsatzbeweis
Der Postdoc ist guter Dinge, dass er in den nächsten 12 Monaten Antworten auf seine Fragen erhalten wird – und vor allem: den Weg in die Zukunft weisen, denn in Phase 2 des Grant-Verfahrens kann eine Million Dollar aus der Stiftung auf diejenigen warten, die in Phase 1 zeigen können, dass ihr Forschung erfolgreich ist und Potenzial hat. «Ich bin vorerst am Proof of Concept interessiert». Liegt er mit seinen Hypothesen richtig, kann er sich noch vor Abschluss von Phase 1 für einen grossen Grant für die Phase 2 bewerben.
Nach Zürich gekommen ist Mateescu als Postdoc in der neuen
Gruppe von Olivier Voinnet, Professor für RNA-Biologie, der in Sachen kleinen
RNS-Molekülen ein weltweit anerkannter Spezialist ist. «Hier habe ich ein
phänomenales Forschungsumfeld gefunden», betont Mateescu. Er verfüge an der ETH
über ausgestattete Labore, internationale Belegschaft und vor allem
Forschungsfreiheit, die er nicht gehabt hätte, wäre er in Frankreich geblieben.
Dort, wo er bereits sein Studium und seine Doktorarbeit am Institut Pasteur in
Paris und sein erstes Postdoc absolvierte. Mateescus Interesse an miRNA in
Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen ist indessen nicht neu. In seinem
ersten Postdoc am Institut Curie in Paris hat er bereits in das Thema
eingearbeitet.
Zürich als Risiko und grosse Chance
Heute lebt er mit seiner Familie in Zürich und bereut diesen Ortswechsel nicht im Geringsten. «Der Grant bedeutet für mich einerseits die Freiheit, mein eigenes Projekt zu entwickeln, andererseits auch einen Schritt hin zu eigenständiger Projektleitung und –durchführung.» Dazu habe ihn sein Professor Olivier Voinnet von Anfang an ermutigt. Er habe ihn dabei mit neuen Ideen und Anregungen unterstützt.
Nach Zürich an die ETH zu kommen sei auch ein gewisses Risiko gewesen. «Ich hätte auch in Frankreich bleiben und mich auf eine feste Stelle als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bewerben können, doch mir fehlte internationale Erfahrung und die ETH, insbesondere die Gruppe von Professor Voinnet sind sicher die besten Orte, um dieses Projekt zu entwickeln», sagt er. Zürich sei aber auch aus familiären Gründen eine gute Wahl gewesen.
Zweiter ETH-Grantee
Einen Grant der Bill & Melinda Gates Stiftung zu erhalten ist schwierig, bisher haben erst ein halbes Dutzend in der Schweiz ansässige Forscher einen solchen bekommen, darunter auch der ETH-Professor Wolf-Dietrich Hardt. Die Stiftung mit Sitz in Seattle hat nun Runde 9 gestartet. Das Programm Grand Challenges Explorations fördert alle neuen Forschungsideen, unabhängig von der Herkunft des Bewerbers. Ziel ist der Einsatz für das Wohl der Menschen, insbesondere in den Entwicklungsländern.
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