Veröffentlicht: 10.05.12
Science

Wie Quantenphysiker den Zufall verstärken

Einmal mehr mutet die Quantenphysik philosophisch an: Wenn nur ein bestimmtes Quäntchen Zufall im Spiel ist, kann dieser beliebig verstärkt werden. Wie das geht, haben Physiker berechnet.

Simone Ulmer
Wie die Würfel fallen, wird vom Zufall bestimmt. Zwei ETH-Physiker kommen zum Schluss, dass Zufall verstärkt werden kann. (Bild: Skley/flickr)
Wie die Würfel fallen, wird vom Zufall bestimmt. Zwei ETH-Physiker kommen zum Schluss, dass Zufall verstärkt werden kann. (Bild: Skley/flickr) (Grossbild)

Während die klassische Physik deterministisch in dem Sinn ist, dass für jeden beliebigen Zeitpunkt etwa die Position und Geschwindigkeit eines Teilchens bestimmbar ist, besagt die Quantentheorie, dass es Prozesse gibt, die fundamental zufällig sind. So scheinen die Ergebnisse bestimmter Messungen von Quantenteilchen rein zufällig. Einstein argumentierte deshalb in einer Publikation von 1935, dass die Quantentheorie nicht vollständig ist und es noch eine Art höhere Theorie geben muss.

Doch bis heute ist weder bewiesen, dass die Welt rein deterministisch ist und jeder Zufall nur auf der fehlenden Kenntnis des Ereignisses beruht, noch dass alles rein zufällig passiert. Physikern der ETH Zürich gelang es nun jedoch, in einem Gedankenexperiment zu zeigen, dass Zufall verstärkt werden kann. Die in der Fachzeitschrift Nature Physics publizierten Ergebnisse können auch von praktischem Nutzen sein.

Freie Wahl entscheidend für repräsentatives Ergebnis

Physikalische Experimente hängen immer von einer Vielzahl von Variablen ab. Um ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten, muss die Wahl der Variablen – wie bei einer Meinungsumfrage die Auswahl der Befragten –, völlig frei und zufällig sein. Die vollkommen freie – zufällige – Wahl von Variablen ist auch entscheidend in der Informatik, insbesondere um Algorithmen, beispielsweise für Simulationen, effizienter zu machen. Darüber hinaus ist sie eminent wichtig für die Verschlüsselung von Botschaften, also die Kryptographie, und für die Zufallszahlen-Generatoren in Spielkasinos. Arbeiten letztere schlecht und sind sie für einen Betrüger durchschaubar, kann er dies zu seinem Vorteil nutzen.

Wie zufällig ist eine Auswahl an Variablen?

Die Physiker Roger Colbeck sowie Renato Renner, Professor am Institut für Theoretische Physik der ETH Zürich, untersuchten in ihrer Studie, welche minimalen Bedingungen erfüllt sein müssen, damit eine Wahl von Variablen als absolut frei gilt und diese Wahl nicht durch frühere Ereignisse praktisch schon «vorprogrammiert» war. Die Physiker definierten dabei, dass eine Variable als frei und zufällig gewählt gilt, wenn sie zu diesem oder einem früheren Zeitpunkt nicht mit anderen Variablen korrelierte.

Der Physiker John Stuart Bell entwickelte 1964 die sogenannte Bellsche Ungleichung, die vereinfacht ausgedrückt besagt, dass es Messungen gibt, deren Ergebnisse nicht vorausbestimmt und damit zufällig sind. Die von Bell vorgeschlagenen Experimente zum Beweis seiner Theorie, die auf der Messung der Verschränkung quantenmechanischer Teilchen beruhen, konnten das zwar zeigen. Dies aber nur unter der Grundvoraussetzung, dass die während des Experiments vorgenommenen Messungen vollständig frei und zufällig gewählt wurden. Die Katze beisst sich hier sozusagen in den Schwanz: Wieder wird die Existenz von Zufälligkeit vorausgesetzt.

Quantenmechanische Gesetze nutzen

Die Verschränkung und die Lokalität – dass ein lokales Ereignis auf der Erde etwa keinen direkten Einfluss auf einen anderen Planeten nimmt – nutzten nun die Wissenschaftler, um zu zeigen, dass ab einem bestimmten Punkt «schwache» Zufälle so verstärkt werden können, dass sie vollständig zufällig sind.

Dies gelingt zum Beispiel mit zwei korrelierenden Quanten-Bits, die stark gekoppelt sind, aber dann unabhängig voneinander gemessen werden. Die Berechnungen der Wissenschaftler ergaben, dass die Quantenkorrelation zwischen den Bits so stark sein kann, dass sie mit nichts vorher Bestehendem korreliert sein können. Das bedeutet, dass die Ergebnisse völlig zufällig sind und folglich für die Wahl der Messung nur schwache Zufälligkeit benötigt wird.

Die beiden Wissenschaftler betonen, dass sie damit nicht etwa bewiesen haben, dass die Welt nicht deterministisch ist. Aber es gebe nichts zwischendrin. Die Existenz von schwacher Zufälligkeit führt automatisch dazu, dass es beliebig viel starke Zufälligkeit geben muss. Allerdings muss erst eine bestimmte «Zufallsschwelle» erreicht werden: «Unsere Methode erlaubt es, Zufälligkeit ab einer gewissen Schwelle zu verstärken. Nun wäre interessant zu wissen, ob mit verbesserten Methoden diese Schwelle beliebig klein gemacht werden kann», sagt Colbeck. Dies würde dann bedeuten, dass ein beliebig kleines Quäntchen Zufall ausreicht, um beliebig viel Zufälligkeit zu generieren.

NCCR Quantum Science and Technology

Die Studie ist ein weiteres erfolgreiches Projekt, das im Rahmen des NCCR-QSIT, dem ETH-Professor Klaus Ensslin vorsteht, durchgeführt wurde.

Wolfgang-Pauli-Vorlesung zum Thema

Zum Thema gibt es heute Abend (10.05.2012) im Rahmen der Wolfgang-Pauli-Vorlesung im Auditorium Maximum der ETH Zürich einen Vortrag von Avi Wigderson. Wigderson befasst sich jedoch im Unterschied zur Arbeit von Colbeck und Renner mit der «Zufälligkeit» einer rein klassischen Welt. In ihr kann die Zufälligkeit laut Renner nicht verstärkt werden, und man müsse versuchen, mit «schwacher Zufälligkeit» auszukommen.

Literaturhinweis: Colbeck R & Renner R: Free randomness can be amplified, Nature Physics (2012), Advance Online Publication, DOI: 10.1038/NPHYS2300

 
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