Veröffentlicht: 02.05.12
Science

Fluchtverhalten kleiner Fische mit Supercomputer getestet

Kleine Fische krümmen sich zu einem «C», bevor sie vor Feinden flüchten. Beobachtungen liessen vermuten, dass diese Form ihnen hilft, schlagartig die grösstmögliche Distanz zu ihrem Verfolger herzustellen. ETH-Forscher haben diese Hypothese nun erstmals mit dem Supercomputer getestet.

Simone Ulmer
Der sogenannte C-Start, der im Laufe der Evolution entwickelte Fluchtmechanismus von kleinen Fischen, ist maximal optimiert. Das zeigten erstmals quantitative Analysen anhand von Computersimulationen der Forschungsgruppe von ETH-Professor Petros Koumoutsakos.
Der sogenannte C-Start, der im Laufe der Evolution entwickelte Fluchtmechanismus von kleinen Fischen, ist maximal optimiert. Das zeigten erstmals quantitative Analysen anhand von Computersimulationen der Forschungsgruppe von ETH-Professor Petros Koumoutsakos. (Grossbild)

Kinder im Meer versuchen unermüdlich, die strandnahen kleinen Fische mit blossen Händen zu fangen. Doch wittert der Fisch die Gefahr, kann er in einem Bruchteil einer Sekunde auf das bis zu zehnfache der Erdbeschleunigung beschleunigen, um zu entkommen. Dieser unvorstellbare Wert erklärt, warum es nahezu unmöglich ist, einen Fisch mit blossen Händen zu fangen, obwohl er nah und greifbar scheint. Millionen von Jahren Evolution haben die Fischlarven einen effizienten Flucht-Mechanismus entwickeln lassen: Die Fische krümmen ihren Körper zu einem «C», bevor sie pfeilschnell ihren Feinden entkommen. Beobachtungen und Experiment lassen vermuten, dass dieser sogenannte C-Start die Fische am effizientesten flüchten lässt.

Mit Supercomputer C-Start-Hypothese getestet

Petros Koumoutsakos, Professor am Computational Science & Engineering Laboratory der ETH Zürich, und zwei seiner Doktoranden, Mattia Gazzola und Wim Van Rees, liefern nun die bis anhin fehlende quantitative Bestätigung dieser C-Start-Hypothese und machten dabei weitere Entdeckungen bezüglich der darin involvierten Hydrodynamik.

Mit Hilfe von Algorithmen, basierend auf den Grundlagen der Evolutionsbiologie, reproduzierten die Forscher am CSCS-Supercomputer «Monte Rosa» das Fluchtverhalten von Zebrafisch-Larven. Durch massiv parallele Berechnungen auf zehntausenden von Prozessoren über hunderte von Stunden bildeten sie innerhalb von Tagen das Verhalten nach, das die Fische während ihrer biologischen Evolution über Millionen von Jahren entwickelten. Die Ergebnisse der Studie wurden nun im Journal of Fluid Mechanics publiziert und dort als Fokusartikel ausgewählt, der von einem Kommentar begleitet wird (siehe Literaturhinweis).

Annäherung an die Optimal-Bedingungen

Die Wissenschaftler kombinierten für ihre Studie eine dreidimensionale Flusssimulation mit einem evolutionären Optimierungsalgorithmus. Die geometrische Beschreibung des Fisches in der Simulation entsprach der Form der Zebrafisch-Larve, die Bewegung des Fisches wurde durch acht freie Parameter wie etwa der Phase der Bewegung und Stärke der Krümmung des Fische beschrieben. Die Wissenschaftler bestimmten die Fluchtdistanz als eine sogenannte Kostenfunktion und nutzten darüber hinaus die Optimierungsalgorithmen, um die Parameter für eine maximale Fluchtdistanz zu ermittelten.

Hierfür veränderte ein Evolutionsalgorithmus die Parameter in der Simulation schrittweise und automatisch. Es zeigte sich, dass der C-Start tatsächlich die grösste Distanz zwischen Beute und Jäger bewirkt, wenn der Fisch zu entkommen versucht. Jedoch zeigten die Analysen auch, dass der C-Start energetisch ineffizient ist. Für Koumoutsakos ist dies jedoch nicht verwunderlich: «Wenn man versucht zu überleben, kümmert man sich nicht darum, wie viel Energie man dabei für die Flucht benötigt.»

Je mehr Wasser verdrängt wird, desto schneller wird der Fisch

Die Wissenschaftler quantifizierten darüber hinaus die Hydrodynamik des C-Starts. Hierfür analysierten sie die durch die Bewegung verdrängten Wassermassen mit ihren dabei erzeugten Wirbeln und Fliessstrukturen, welche sie durch Markierung der Wasserpartikel sichtbar machten. «Anhand dieser Fliessmuster können wir die wirkenden Kräfte im System messen», sagt Koumoutsakos.

Die Analyse ergab, dass die Fische eine umso stärkere Beschleunigung erhalten, je mehr Wasser sie verdrängen. Überraschend war für die Wissenschaftler dabei, dass die erzeugten Wirbel eine geringere Rolle beim Fluchtvorgang spielen, als bisher angenommen. Die Fische nutzen für ihre Beschleunigung die Hydrodynamik: Indem sie nicht nur ihre Flossen, sondern durch den C-Start ihre gesamte Muskulatur nutzen, um zu entkommen, können sie viel grössere Massen an Wasser verdrängen – und dadurch sich selbst beschleunigen. Die Wirbel, die sie in ihrem «Kielwasser» erzeugen, spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Simulationen weisen darauf hin, dass – würde es die Physiologie der kleinen Zebrafisch-Larven erlauben – bei einer noch stärkeren Krümmung, noch bessere Resultate erreicht werden könnten. Demnach könnten entsprechende vom Menschen gefertigte Maschinen, die sich weiter biegen lassen als die Fische, ein noch schnelleres Fluchtverhalten, also eine noch grössere Beschleunigung erreichen.

Obwohl die Konzepte der in der Studie durchgeführten Form- und Bewegungsoptimierung ihre Inspiration von biologischen Formen und biologischen Algorithmen wie der Evolution haben, könnten sie laut Koumoutsakos beispielsweise auch auf Windturbinen und fischähnliche Energiegewinnungsvorrichtungen übertragen werden. «Ich bin überzeugt, dass aktuelle Fragen, etwa bezüglich der Form- und Bewegungsoptimierung von Wind- und Wasserkraftwerken, durch Inspirationen aus der Natur gelöst werden können», sagt Koumoutsakos.

Literaturhinweis:

Gazzola M, Van Rees WM & Koumoutsakos P: C-start: optimal start for larval fish, Journal of Fluid Mechanics (2012) 698, 5-18, DOI:10.1017/jfm.2011.558

Kommentar zur Publikation:

Triantafyllou MS: Survival hydrodynamics, Journal of Fluid Mechanics (2012) 698, 1-4, DOI:10.1017/jfm.2012.82