Veröffentlicht: 23.04.12
Science

«Gentech light» im Freiland

Die ersten mit dem Cis-Gentechnik-Ansatz gezüchteten Kulturpflanzen stehen in den Niederlanden auf einem Versuchsfeld. Es sind dies an der ETH Zürich entwickelte krankheitsresistente Apfelbäume. In drei Jahren werden sie erste Früchte tragen. Ob wir diese Äpfel je kaufen können, ist allerdings ungewiss.

Fabio Bergamin
Im Oktober 2011 gepflanzte cis-gene Apfelbäume auf einem Versuchsfeld der Universität Wageningen.  (Bild: Cesare Gessler / ETH Zürich)
Im Oktober 2011 gepflanzte cis-gene Apfelbäume auf einem Versuchsfeld der Universität Wageningen. (Bild: Cesare Gessler / ETH Zürich) (Grossbild)

Es sind besondere Apfelbäume, die seit letztem Herbst in Reih und Glied in einem Obstgarten auf dem Campus der Universität Wageningen (Niederlande) stehen: Sie widerstehen dem Apfelschorf, einer gefürchteten Pilzkrankheit, etwas besser als Bäume von Vergleichssorten, wie aus Vorversuchen im Gewächshaus bekannt ist. Forscher unter der Leitung von Cesare Gessler, Professor am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich, haben diese Apfelbäume gezüchtet.

Im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 59, das dieses Jahr zu Ende geht, haben sie den Bäumen der Sorte Gala gentechnologisch ein Resistenzgen gegen Apfelschorf eingebaut. Die Bäume sind die ersten nach dem Ansatz der Cis-Gentechnik gezüchteten Kulturpflanzen, die nun ausserhalb von Gewächshäusern wachsen.

Man könnte die Cis-Gentechnik auch als «Gentechnik light» bezeichnen. Als eine Besonderheit dieses Ansatzes verwendeten die Forscher ein resistenzvermittelndes Gen von einer anderen Apfelsorte – einem japanischen Wildapfel – und nicht eines von irgendeinem Organismus, wie beispielsweise einem Bakterium, einem Pilz oder einer anderen Pflanzenart, wie dies in der Gentechnik gang und gäbe ist.

Weniger Fungizid-Behandlungen?

Als weitere Besonderheit haben die Wissenschaftler die Selektionsgene, die in der Gentechnik notwendigerweise zusätzlich zu den Resistenzgenen ins Erbgut gebaut werden, in einem zweiten Schritt wieder aus dem Erbgut getilgt. Im «Gentech-light»-Apfel sind also nur Apfel-Gene drin.

In welchem Ausmass die neugezüchteten Apfelbäume auch unter Freilandbedingungen gegen die Krankheit resistent sind, wird der Versuch zeigen müssen. Falls sie es sind, hätten die cis-genen Bäume den Vorteil, dass sie deutlich weniger häufig mit Fungiziden behandelt werden müssten als Vergleichssorten. Dies schonte sowohl das Portemonnaie des Obstbauern als auch die Umwelt. Und im Vergleich zur herkömmlichen Gentechnologie dürfte die Akzeptanz bei Konsumenten grösser sein.

Wirtschaftlichkeit fragwürdig

In drei Jahren werden die Apfelbäume in den Niederlanden das erste Mal Früchte tragen. Werden wir Konsumenten dann schon bald solche Äpfel kaufen können? «Nein, noch lange nicht, jedenfalls nicht bei uns», winkt Gessler ab. Die Gentechnik-Gesetzgebung in Europa und der Schweiz setzen der Wirtschaftlichkeit des Anbaus solcher Bäume enge Grenzen. Denn cis-gene seien rechtlich den trans-genen Pflanzen – also solchen, die auch Fremdgene enthalten – gleichgesetzt. Die für die Zulassung notwendigen Sicherheitsstudien kosteten Millionen von Franken.

Im Gegensatz zu gentechnisch verändertem Mais-, Soja- oder Baumwollsaatgut, das jedes Jahr von neuem verkauft wird, wird ein Apfelbaum allerdings nur einmal verkauft. Die hohen Entwicklungskosten können damit nicht eingespielt werden. Denn Obstbauern dürften nicht bereit sein, für solche Bäume hohe Aufpreise zu zahlen. Die finanziellen Vorteile wegen einigen eingesparten Pestizid-Behandlungen sind äussert klein: nur wenige Franken pro Baum während seiner ganzen Lebensdauer. «In Europa und der Schweiz ist das kein Geschäft», sagt Gessler.

Chancen in Nordindien

Erschwerend kommt dazu, dass Anbaubewilligungen für gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa auf höchstens zehn Jahre befristet sind. Dies ist eine kurze Zeit, wenn man bedenkt, dass Apfelbäume erst nach einigen Jahren Früchte tragen. Ausserdem müssten auch cis-gene Äpfel im Laden als gentechnisch verändert deklariert werden. Gessler plädiert daher für eine vereinfachte Zulassung von cis-genen Kulturpflanzen. Darüber diskutieren Experten der EU bereits seit einiger Zeit.

Allerdings sind Änderungen im Zulassungsprozess nicht so schnell zu erwarten. Rascher könnte es in anderen Apfelanbauregionen mit Schorfproblemen wie Pakistan oder Nordindien gehen. Dort sieht Gessler Chancen für seine Apfelbäume.

Grosses Potenzial

Bei seiner Forschungsarbeit gehe es ohnehin vor allem darum, die relativ neue Cis-Gentechnik zu entwickeln, sagt Gessler. Denn gerade bei Obstbäumen, aber auch bei Weinreben, habe die Technik viele Vorteile. Sind Resistenzgene einmal gefunden, lassen sie sich mit der Technik innert wenigen Jahren in am Markt bereits eingeführte Sorten schleusen. So können in kurzer Zeit schmackhafte Früchte gezüchtet werden, die einer ganzen Reihe an Krankheiten widerstehen. Mit konventionellen Züchtungsmethoden würde so etwas – falls es überhaupt von Erfolg gekrönt wäre – mehrere Jahrzehnte dauern.

Gessler verwendet seine Technik derzeit, um Apfelbäume zu züchten, die gegen den berüchtigten Feuerbrand resistent sind. «Die ersten von uns getesteten Resistenzgene haben sich als zu wenig wirksam erwiesen, jetzt suchen wir nach besser geeigneten Genen», sagt Gessler.

Die Cis-Gentechnologie stösst laut Gessler auch in Landwirtschaftskreisen auf grosses Interesse. Und weitere Forscher verfolgen den Ansatz ebenfalls eifrig: In diesem Jahr planen europäische Wissenschaftler weitere Freisetzungen von cis-genen Kulturpflanzen, etwa von krankheitsresistenten Kartoffeln in Irland, von Weizen in England und von Gerste in Schweden.