Veröffentlicht: 18.04.12
Campus

Gaskraftwerke als Brückentechnologie

Gaskraftwerke sind – mindestens vorübergehend – für eine Energiezukunft ohne Kernkraft wohl unverzichtbar, sagt ETH-Energieexperte Konstantinos Boulouchos im Interview.

Interview Roman Klingler
Grosse Gaskraftwerke weisen eine Leistungskapazität von etwa 500 MW aus, was rund einem halben KKW der Grösse Gösgen entspricht. (Bild: flickr.com)
Grosse Gaskraftwerke weisen eine Leistungskapazität von etwa 500 MW aus, was rund einem halben KKW der Grösse Gösgen entspricht. (Bild: flickr.com) (Grossbild)

Herr Boulouchos, gemäss Medienberichten sollen nach Plänen von Energieministerin Doris Leuthard bis 2050 mehrere Gaskraftwerke gebaut werden. Braucht es Gaskraftwerke und wenn ja, wie viele?
Wie viele es dann sein werden, weiss ich auch nicht. Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wir rechnen mit drei bis vier grösseren Gaskraftwerken, um die wegfallende Stromproduktion durch Kernkraftwerke über die nächsten Jahrzehnte zu kompensieren. Wir haben in unserer Energiestudie von letztem Herbst bereits darauf hingewiesen, dass der etappierte Atomausstieg nicht alleine durch erneuerbare Energien und Effizienzgewinne ausgeglichen werden kann, sondern dass es in einer Schweiz ohne Kernenergie mehr Stromimporte braucht und oder eben den Betrieb von Gaskraftwerken.

Nun hagelt es Kritik von allen Seiten. Der wohl gewichtigste Einwand: Gaskraftwerke gefährden das übergeordnete Ziel, den C02-Ausstoss einzudämmen.
Es stimmt, Gaskraftwerke stossen wie jede fossile Energiequelle CO2 aus, was es nicht leichter macht, unsere klimapolitischen Ziele zu erreichen. Aber wir müssen die Proportionen wahren: Die Schweiz lässt jährlich rund 45 Mio. Tonnen CO2 in die Umwelt. Bis 2050 müssen wir den Ausstoss auf 15 Mio. Tonnen runter bringen. Drei bis vier grosse Gaskraftwerke würden uns höchstens zusätzliche 3 Mio. Tonnen bescheren. Das ist sicher keine vernachlässigbare Grösse, aber es ist auch nicht so, dass damit unser Fernziel, bis 2050 eine Tonne CO2 pro Kopf und Jahr auszustossen, nicht erreichbar wäre.

Kommt hinzu, dass wir in 10 bis 20 Jahren so weit sein sollten, einen Teil des im Gaskraftwerk produzierten CO2 abzuscheiden und zu lagern, statt es in die Luft abzugeben. Gaskraftwerke sind keine Wundermittel, aber als vorübergehende Brückentechnologie sind sie wohl unverzichtbar und im Vergleich zu andern Technologien haben sie durchaus auch ihre Vorteile.

…die da wären?
Gaskraftwerke kosten im Vergleich zu Kernkraftwerken pro MW produzierten Strom mindestens fünfmal weniger. Das heisst auch, dass Investitionen schneller amortisiert sind als bei der kapitalintensiven Kernenergienutzung. Gaskraftwerke sind in etwa 24 Monaten gebaut und können bei Bedarf schnell ein- und auch wieder ausgeschaltet werden. Damit eignen sie sich für die Spitzenlast, wenn nicht genügend Strom aus erneuerbaren Energien vorhanden ist. Das wird sich ändern, wenn eine kostengünstige Stromspeicherung verfügbar ist, aber das braucht Zeit.

Für Photovoltaik-Strom braucht es die Sonne, ebenso dreht die Windturbine nur dann, wenn es windet. Es geht darum, in den nächsten Jahrzehnten die richtige Balance zu finden zwischen zusätzlichen Stromimporten und dem Bau eigener Gaskraftwerke. Die Schweizer Politik, aber auch der europäische Strommarkt, werden bestimmend sein, wie diese Balance aussieht.

Wie müssen wir uns den Gaskraftwerk-Park der Zukunft vorstellen: einige wenige grosse Werke oder viele kleine oder von allem ein bisschen?
Am meisten Sinn macht wohl ein Mix davon. Die Grosswerke und die kleinen dezentralen, so genannte Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen (WKK), haben je ihre Vor- und Nachteile. Die grossen Werke (500 Megawatt, was in etwa der Leistung eines halben AKW-Gösgen entspricht, Anm. der Redaktion) sind gut ins Netz integrierbar und können bei jedem Wetter betrieben werden. Dezentrale Anlagen liefern idealerweise Strom und Wärme fürs Quartier, entlasten das Hochspannungsnetz und können zum Beispiel mit lokal anfallender Biomasse (Biomethan aus Gülle, Holz, Abfall etc.) betrieben werden. Sie eignen sich vor allem für das Winterhalbjahr, wenn es auch Bedarf nach Heizwärme gibt.

Manövriert sich die Schweiz nicht in eine Auslandabhängigkeit, wenn sie in Zukunft Gas importieren muss aus Ländern wie Russland oder der Ukraine?
Diese Befürchtung teile ich nicht, denn unserer Einschätzung nach wird sich der internationale Gasmarkt in Zukunft weiter diversifizieren und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern verringern. Vergessen wir nicht: Wir importieren heute schon Gas im Umfang von über 30 Terawatt-Stunden (TWh) fürs Heizen. Wenn, wie angenommen, drei bis vier grosse nur zeitweise laufende Gaskraftwerke gebaut werden sollten, dann entspräche dies einem zusätzlichen Import von rund 10 TWh. Mit dem Umbau des Energiesystems wird in Zukunft auch der Anteil des Gasverbrauchs fürs Heizen sinken müssen. Bis zur Mitte des Jahrhunderts werden wir insgesamt sogar weniger Gas verbrauchen als heute.

Zur Person

Konstantinos Boulouchos ist seit 2002 ordentlicher Professor und Leiter des Laboratoriums für Aerothermochemie und Verbrennungssysteme an der ETH Zürich. Er gründete 2005 das Energy Science Center (ESC) der ETH Zürich. Er war massgeblich an der Ausarbeitung der Energiestrategie der ETH Zürich von 2008 beteiligt und ist koordinierender Autor der Studie «Energiezukunft Schweiz». Boulouchos gehört zudem dem von Bundesrätin Doris Leuthard eingesetzten «Beirat für die Energiestrategie 2050» an, einem Beratungsgremium mit 18 Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Verbänden, Kantonen und der Wissenschaft.