Veröffentlicht: 03.04.12
Globetrotter

Sand am falschen Ort

Michael Strasser und Dominik Dinten sind vor Japans Küste auf der Suche nach den Spuren des Megabebens, die das Erdbeben vor über einem Jahr hinterlassen hat. Mit dem Forschungsschiff Sonne erbohrten sie Sedimente aus dem Meeresgrund und wurden fündig.

Michael Strasser & Dominik Dinten
Michael Strasser (rechts im Bild) diskutiert mit japanischen Kollegen den Sedimentkern. (Bild: Volker Diekamp / Marum)
Michael Strasser (rechts im Bild) diskutiert mit japanischen Kollegen den Sedimentkern. (Bild: Volker Diekamp / Marum) (Grossbild)

Logbuch-Eintrag, Position: 38° 04` nördliche Breite, 143° 458` östliche Länge: Der erste Kern in 3700 Meter Wassertiefe war erfolgreich und hat unsere Arbeitshypothese untermauert, dass es während des Erdbebens zu grossen Deformationen und Umlagerungen der Sedimente am Meeresboden gekommen ist (siehe Logbuch Eintrag 1): Eine mehrere Zentimeter mächtige Sandlage an der Meeresoberfläche, in einem Gebiet, in dem sonst typischerweise nur Tone und Silte abgelagert werden, weisst auf grosse Sedimentumlagerungen hin. Diese können nur von dem Erdbeben verursacht worden sein, das am 11. März 2011 stattgefunden hat.

Nachdem wir den ersten Kern vermessen, beschrieben und beprobt hatten, verlagerten wir unser Arbeitsgebiet zum Tiefseegraben. Dieser Japan-Graben ist entstanden, weil hier die Pazifische Platte unter die kontinentalen Platten abtaucht. In den vergangenen Tagen haben wir die Ablagerungen in diesem Graben mit dem Schwerelot beprobt: Sechs Sedimentkerne haben wir auf diese Weise aus dem Tiefseegraben gewonnen. Zwischen einzelnen Schwerelot-Einsätzen vermessen wir detailliert den Meeresboden mit Hilfe von Fächerecholot und dem hydro-akustischen Parasound-System, welches uns erlaubt, die Strukturen auch unterhalb des Meeresboden abzubilden.

Mit den sechs Schwerelotkernen, die zwischen acht und neun Meter lang sind, wollen wir Abbruchstellen beziehungsweise Sedimentschichten dokumentieren, die infolge des grossen Erdbebens am Hang des Japan-Grabens verrutscht sind. Wegen der großen Wassertiefen von 7100 bis 7500 Metern dauert es etwa sieben Stunden, um einen Schwerelotkern zu gewinnen. Direkt im Anschluß an die Kernentnahme nehmen wir die Proben von dem Sediment: Wir bestimmen die im Sediment enthaltenen Gase und pumpen Porenwässer ab für geochemische Untersuchungen. Erst dann werden die Kerne geöffnet, indem ihre Plastikumhüllung aufgesägt und die Kerne halbiert werden. Wir messen die Scherfestigkeit des Materials, bestimmen die Magnetisierbarkeit der enthaltenen Minerale und beschreiben unter anderem ihre Farbcharakteristiken und die mineralogische Zusammensetzung der Sedimente.

Schon bei der Probennahme und der Kernbeschreibung im Geolabor der «Sonne» diskutieren und interpretieren wir die Ablagerungen vom Meeresgrund und ihre Besonderheiten. Wir nehmen die Schrägstellungen der abgelagerten Schichten und kleine Verwerfungen unter die Lupe und interessieren uns für Aschelagen oder Bimssteinbrocken vulkanischen Ursprungs.

Der letzte Kern aus dem Tiefseegraben ist soeben fertig verarbeitet und wartet nun im Kühlkontainer auf den Transport ins Kernlager in Bremen, wo dann weitere Analysen und insbesondere die genaue Datierung der Abfolgen durchgeführt werden. Jetzt machen wir uns auf den Weg nach Westen in Richtung Japanische Küste, in ein anderes Arbeitsgebiet, in dem wir in etwa 1500 m Wassertiefe arbeiten werden. Mit Proben von der Oberfläche des Meeresgrunds haben japanischen Kollegen dort bereits sandige Ablagerungen nachgewiesen, die im Zusammenhang mit dem Erdbeben von 2011 stehen.

Wir erhoffen uns, dass wir mit den langen Schwerelotkernen ein Archiv der Vergangenheit beproben können, das uns Aufschlüsse über frühere Grossbeben gibt. Die ersten Hinweise darauf, dass sich in der Region alle 800 bis 1000 Jahre ungewöhnlich hohe Tsunamis – und damit vermutlich auch starke Erdbeben mit einer Magnitude grösser als 8.2 – ereignen können, hat ein japanisches Forscherteams im Jahr 2001 in einer Studie veröffentlicht. Damals analysierten die Wissenschaftler Tsunamiablagerungen aus dem Jahr 869 und modellierten den zugrundeliegenden Tsunami. Nun sind wir gespannt darauf, ob wir im Ozeanboden weitere Spuren dieses sogenannten Jogan-Erdbebens und vielleicht auch von älteren, ähnlichen Ereignissen finden werden.

Die Autoren:

ETH-Professor Michael Strasser und sein Masterstudent Dominik Dinten nehmen für zwei Wochen an einer Expedition vor der Küste Japans teil. Von dem Deutschen Forschungsschiff «Sonne» berichten sie für ETH Life von ihrer Arbeit und ihren Erlebnissen an Bord. Strasser war bereits zuvor an Forschungsfahrten vor der Küste Japans beteiligt (siehe ETH Life vom 7.01.2012).

 
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