Veröffentlicht: 22.02.12
Kolumne

Von der Schwierigkeit, gut zu sein

Jenny Weilenmann
Jenny Weilenmann, Masterstudentin D-MTEC. (Bild: zVg J. Weilenmann)
Jenny Weilenmann, Masterstudentin D-MTEC. (Bild: zVg J. Weilenmann) (Grossbild)

Es ist eine Hassliebe, denn eigentlich mag ich neue Dinge. Egal ob Kleider, Shampoo oder Farbstifte. Aber diese Dinge zu kaufen, ist je länger je mehr eine Qual. Nicht die Wahl des Besten ist das Problem, sondern die des Richtigen.

Paradebeispiel Lebensmittel: Da stehe ich in der Migros, hin und her gerissen zwischen griechischem Rahmjoghurt und dem Bio-Konkurrenten, welcher sicher auch gut schmeckt, mir aber nicht diese Vollfett-Befriedigung verschafft und erst noch teurer ist. Als Student lebt man zwar mit einem schmalen Budget aber trotzdem auch bewusst. Wir sind die Kinder des Wissens. Oder so. Wir wissen, woher die Milch kommt, wir wissen, dass Poulet aus Ungarn nicht glücklich gelebt hat, und dass Fertigsalat, verpackt in dickem Plastik, nicht der umweltschonendste Weg zur Sättigung ist. Und trotzdem zögern wir vor dem Regal, zerrissen vom Konflikt zwischen dem, was gut für unser Portemonnaie ist, was wir tatsächlich verspeisen möchten und dem, was uns nach dem Essen ruhig schlafen lässt. Na ja, ich schlafe auch nach einem Rotwein sehr gut, wenn er nicht gerade aus Chile kommt und für mich um die halbe Welt gereist ist.

Als «Wissende» fühle ich mich verpflichtet, eine Vorreiterrolle zu übernehmen. Doch wie soll das gehen, wenn sogar an der ETH jeden Tag Tausende Kaffee-Kartonbecher im Abfall landen? Soll ich meine Tasse von zu Hause mitnehmen und mir den Cappuccino abfüllen lassen?

Es ist – gerade bei Lebensmitteln – unsagbar schwierig zu erkennen, was richtig und was falsch ist. Letzte Woche habe ich stolz ein Bio-Brot nach Hause gebracht und freute mich auf die anerkennenden Blicke meiner zwei Mitbewohnerinnen, notabene beide Agronomie-Studentinnen. Doch statt eines herzhaften Schulterklopfens kriegte ich zu hören, dass Bio-Weizen genmodifiziert ist und aus Nordamerika stammt. Na toll, schon wieder falsch gekauft. Anscheinend darf man selbst Bio nicht mehr mit Nachhaltigkeit verwechseln. Es ist zum Verzweifeln. Bei jedem Produkt muss ich mich entscheiden, ob ich nun Fairtrade, Bio, CO2-neutral oder doch Budget kaufen soll. Bei einigen Produkten ist dies unbedenklich. Schokolade wird zum Beispiel - unabhängig ob Budget oder Marke - aus denselben Rohstoffen hergestellt. Andererseits kaufe ich «echtes» Bündnerfleisch und muss danach auf der Packung entdecken, dass das Fleisch aus Argentinien stammt. Da kommt kein Mensch mehr mit!

Im Laden erschlägt mich eine schier unendliche Auswahl an frischem Gemüse und Früchten. Ich greife nach den knackigsten Äpfeln und der grössten Gurke und bin auf halbem Weg zur Kasse, als mein Nachhaltigkeitsgewissen einhängt. Zähneknirschend drehe ich um, wusle durch den Feierabend-Einkaufsverkehr zurück zu den Äpfeln und muss entdecken, dass sie tatsächlich aus Neuseeland stammen. Die Schweiz, das Land mit der höchsten Apfelsortendichte, bietet an vorderster Front Äpfel aus Übersee an! Paradox! Die Gurke aus dem spanischen Gewächshaus lege ich vorsichtshalber auch zurück, da ich annehme, dass Mitte Februar wohl keine Saison dafür ist. Frustriert verlasse ich den Laden.

Aber wenn es nur die Lebensmittel wären! Ich habe ein kleines Flair für Schuhe (für den Ausdruck «klein» werden mich wohl all meine Freunde auslachen). Doch was muss ich erfahren? Schuhe werden in China, Indien und Taiwan hergestellt und verschmutzen die Umwelt mehr, als wenn ich sie dazu trage, um jeden Tag an die ETH zu laufen statt den Bus zu nehmen. Und ob kleine Kinderhände beim Herstellen der Schnürsenkel mitgeholfen haben, kann mir die nette Frau im Schuhladen auch nicht beantworten. Nicht mal mehr neue Schuhe zu kaufen, macht Spass. Wo darf man sich überhaupt noch ausleben, ohne unsere Welt zu zerstören?

Ich bin für ein einziges universelles Label mit einer Wertung, wie sehr dieses Produkt unsere Welt zerstört. Je schlechter dieser Wert, desto weniger lächelt ein Smily auf der Packung. Oder dann eine grosse Liste mit Dingen, die ich nicht mehr kaufen darf. Es ist wirklich schwierig, heutzutage gut zu sein.

Zur Autorin

Die 23-jährige Jenny Weilenmann stammt aus Baden und ist, getreu dem Aargauer-Klischee, ein Fan von weissen Socken. Die Logik der Naturwissenschaften hat ihr seit jeher Spass gemacht. Da sie sich aber nicht auf eine Disziplin festlegen konnte, hat sie sich für die interdisziplinären Lebensmittelwissenschaften entschlossen, nicht zuletzt, weil sie gerne isst. Nur hat sie das Studium vieles gelehrt, nur nicht was sie sich heimlich erhoffte, das Kochen, denn mit Rezepten kann sie nicht umgehen. Nach dem Bachelor hat Jenny Weilenmann ein Praktikum in einer Schokoladenfabrik absolviert. Das hat sie daran erinnert, wie schön das Studentenleben eigentlich ist und ihr die Motivation zum Masterstudium am Departement Management, Technologie und Ökonomie (D-MTEC) zurückgegeben. Neben dem Studium spielt sie Volleyball, singt im Chor und spielt in einer Band. Zudem löst sie gerne Gleichungen nach X auf. «Das ist kein Witz», sagt sie, «ich finde, es hat etwas sehr Beruhigendes.»