Veröffentlicht: 17.02.12
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Den Verlagen ein Dorn im Auge

Mehrere Verlage für wissenschaftliche Fachzeitungen stören sich an einer wichtigen Dienstleistung der ETH-Bibliothek: dem elektronischen Dokumentenlieferdienst. Der Direktor der ETH-Bibliothek, Wolfram Neubauer, nimmt Stellung zum Rechtsstreit.

Ein Autorenbeitrag von Wolfram Neubauer, Direktor der ETH-Bibliothek
Ein Bibliotheksmitarbeiter scannt Seiten einer wissenschaftlichen Publikation ein. (Bild: ETH-Bibliothek)
Ein Bibliotheksmitarbeiter scannt Seiten einer wissenschaftlichen Publikation ein. (Bild: ETH-Bibliothek) (Grossbild)

Die Beschaffung und Bereitstellung von Informationen aller Art sowie deren Erschliessung und nutzerfreundliche Präsentation sind die zentralen Aufgaben aller wissenschaftlichen Bibliotheken. Diese Tätigkeiten stellen wichtige Randbedingungen für den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess dar. Zu den Aufgaben gehört traditionell auch der Versand von Kopien und/oder Scans wissenschaftlicher Aufsätze.

Ende des Jahres 2011 hat nun die International Association of Scientific, Technical and Medical Publishers (STM) beim Handelsgericht Zürich Klage gegen den Dokumentenlieferdienst der ETH-Bibliothek eingereicht. Die eigentlichen Kläger sind die Verlage Elsevier, Springer und Thieme, die allerdings von den anderen Mitgliedern der Association zumindest ideell und finanziell unterstützt werden.

Ziel von STM ist es, den Versand von Scans aus wissenschaftlichen Publikationen durch die ETH-Bibliothek an Kunden innerhalb der Schweiz verbieten zu lassen. Wesentliches Argument hierbei ist die Aussage der Verlagsvertreter, dass die wissenschaftlichen Verlage eigene Dokumentenlieferdienste unterhalten würden, die die Versorgung von Forschung und Entwicklung gleichermassen sicherstellen könnten.

Darüber hinaus behaupten die Verlagsvertreter, die Lieferung von Aufsatzkopien in elektronischer Form verstosse gegen die einschlägigen Bestimmungen des Schweizer Urheberrechts und wäre somit illegal.

Mit Schweizer Urheberrecht vereinbar

Die Haltung der ETH Zürich bzw. der ETH-Bibliothek als durchführende Einrichtung ist allerdings genau entgegengesetzt: Das genannte Angebot «Lieferung von elektronischen Kopien aus Dokumenten» ist durch die entsprechenden Artikel im Schweizer Urheberrechtsgesetz abgedeckt. Darüber hinaus liefert die ETH-Bibliothek die entsprechenden Gebühren an die einschlägige Inkassostelle ProLitteris ab.
Die ETH-Bibliothek vertritt den Standpunkt, dass sie somit innerhalb der geltenden Urheberrechtsbestimmungen für den Forschungsstandort Schweiz eine sinnvolle Dienstleistung zu akzeptablen finanziellen Bedingungen erbringt.

Selbstverständlich hat eine Reihe von Verlagen mittlerweile eigene Lieferdienste aufgebaut, die allerdings für interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weit weniger attraktiv sind. Einmal sind die Kosten drastisch höher, als dies im Fall des Dienstes der ETH Zürich der Fall ist und zweitens ist auch die konkrete Nutzung erheblich schwieriger.

Der Dokumentenlieferdienst der ETH-Bibliothek stellt einen zentralen Anlaufpunkt zur Verfügung, so dass es nicht notwendig ist, bei verschiedenen Verlagen unterschiedliche Preisstrukturen, Lieferbedingungen, Abrechnungsmodalitäten usw. zu kennen. Dies ist natürlich für die Nutzung heterogener Quellen eine wesentliche Vereinfachung.

Öffentliche Dienstleistungen versus kommerzielle Interessen

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der ETH Zürich sind hinsichtlich der Versorgung mit Informationen aus wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht konkret betroffen. Nach wie vor stehen alle für Wissenschaft, Forschung und Lehre vorhandenen Publikationen für die ETH-Community uneingeschränkt zur Verfügung. Hier sind in absehbarer Zeit auch keine Änderungen zu erwarten.

Die Reaktion der genannten Verlage ist ein Beispiel dafür, dass die Interessen von Wissenschaft und Forschung hinter jenen der Verlage zurückzustehen haben, da die Argumentation der Verlage bzw. ihrer Vertreter folgende Punkte offensichtlich unberücksichtigt lässt:

  • Mehr oder weniger alle wissenschaftlich relevanten Zeitschriften werden durch die Ergebnisse von öffentlich geförderter Forschung getragen.
  • Die Hauptlast der Bewertung wissenschaftlicher Ergebnisse (also das Peer Reviewing) wird von der Scientific Community erbracht, die Verlage spielen lediglich eine unterstützende Rolle.
  • Die Hauptkunden aller grossen Wissenschaftsverlage sind mit weitem Abstand die wissenschaftlichen Bibliotheken, die wiederum in ihrer überwiegenden Zahl durch öffentliche Förderung getragen werden.

In der gerichtlichen Auseinandersetzung wird es folglich darum gehen, zwischen den Dienstleistungen der ETH-Bibliothek für Wissenschaft und Forschung und den kommerziellen Interessen der Verlage abzuwägen.

ETH-Bibliothek

Die ETH-Bibliothek ist die Hauptbibliothek der ETH Zürich. Sie dient dem Wissenschaftsstandort Schweiz als zentrale Informationseinrichtung für Technik und Naturwissenschaften. Ihre Bestände umfassen rund 7,7 Millionen Dokumente und reichen von traditionellen Medien wie gedruckten Büchern bis hin zu umfangreichen elektronischen Informationsressourcen. Als öffentliche Bibliothek versorgt sie Hochschulmitarbeitende und Studierende, technisch-naturwissenschaftlich interessiertes Publikum und Firmen, die in Forschung und Entwicklung tätig sind, mit Informationen. Der Direktor der ETH-Bibliothek ist Wolfram Neubauer.