Veröffentlicht: 12.01.12
Science

Mit Magnetkraft gegen Kratzer im Lack

Forscher am Departement Materialwissenschaft der ETH Zürich arbeiten an Verbundmaterialien, die den Aufbau von Muschelschalen nachahmen. Mit magnetischen Partikeln gelang es ihnen, deren Struktur zu verbessern und sie stabiler und kratzbeständiger zu machen. Die Methode eröffnet neue Anwendungen für Lacke, Dentalkomposite und verschleissfeste Leichtmaterialien im Transportwesen oder der Energiegewinnung.

Claudia Hoffmann
Genialer Aufbau: Der Querschnitt durch die Schale einer Meerohr-Muschel (Haliotis sp.) zeigt die einmalige dreidimensionale Architektur dieses Kompositmaterials. (Bild Science Photo Library / keystone)
Genialer Aufbau: Der Querschnitt durch die Schale einer Meerohr-Muschel (Haliotis sp.) zeigt die einmalige dreidimensionale Architektur dieses Kompositmaterials. (Bild Science Photo Library / keystone) (Grossbild)

Muschelschalen verdanken ihre Widerstandsfähigkeit der speziellen Form und Anordnung ihrer Bauteile. Im Perlmutt, das die Innenseite der Muschel auskleidet, betten sich winzige Kalkplättchen in eine organische Substanz ein. Die Plättchen lagern sich dicht an dicht übereinander, ähnlich wie Schieferplatten im Gestein. Dieses Prinzip verwendeten Materialforscher der ETH bereits beim Design von Verbundmaterialien, die eine hohe Festigkeit aufweisen (siehe ETH Life vom 22.02.2008). Nun gingen Forscher um André Studart, ETH-Professor für komplexe Materialien, noch einen Schritt weiter. Mithilfe magnetischer Kräfte veränderten sie die Anordnung der Plättchen und konnten so ihre Eigenschaften wesentlich verbessern.

Muschelschalen lösen Problem

Verbundmaterialien bieten eine sehr hohe Stabilität bei geringem Gewicht. Sie werden zum Beispiel beim Bau von Flugzeugen oder Bootsrümpfen eingesetzt. Dafür werden meist Kunststoffe benutzt, die durch Fasern aus Kohlenstoff oder Glas verstärkt sind. Ein Nachteil ist, dass diese nur in einer Richtung verstärken, nämlich in Längsrichtung der Fasern, nicht aber quer dazu. Daher werden Schichten mit verschiedenen Faserausrichtungen zusammen laminiert, was jedoch auch nur zu einer zweidimensionalen Verstärkung führt.

Ähnliches gilt für die Muschel-inspirierten Materialien, welche die Forscher bisher verwendeten. Sie arbeiteten mit 7 Mikrometer grossen Plättchen aus Aluminiumoxid. Diese betteten sie in einen noch flüssigen Polymerträger ein, der später aushärtet. Werden die Plättchen mit dem Trägermaterial gemischt, sinken sie durch die Schwerkraft nach unten und schichten sich horizontal übereinander. Dadurch fangen sie zwar horizontale Kräfte gut ab, nicht aber senkrechte. In der Anwendung für Oberflächen müssen sie aber vor allem senkrechte Kräfte aushalten, wie zum Beispiel Stösse oder Schläge. Muschelschalen lösen dieses Problem durch eine äussere Schicht, in der die Kalkplättchen vertikal angeordnet sind, und sind somit ein wirklich dreidimensional verstärktes Verbundmaterial.

Die Schwerkraft ausgetrickst

Um mit der Natur gleichzuziehen, beschichteten die Forscher die Aluminiumoxid-Plättchen mit Partikeln aus Eisenoxid. Dieser Trick verleiht dem nicht-magnetischen Aluminiumoxid eine magnetische Hülle. Auf diese Weise lassen sich die Plättchen mit Hilfe eines Magneten einheitlich orientieren und aus der horizontalen in eine senkrechte Position drehen. Das Verbundmaterial wird dadurch dreimal resistenter gegen senkrechten Druck.

Bereits früher hatten andere Wissenschaftler versucht, Nanoteilchen mithilfe von Magneten zu orientieren. Dazu waren aber bisher enorme magnetische Kräfte und eine Eisenoxid-Beimischung von 30 Prozent erforderlich. Dagegen benötigen Studart und seine Mitarbeiter nur 0,1 Prozent Eisenoxid. Für die Ausrichtung genügte sogar ein einfacher Pinnwand-Magnet.

Die Ursache für die effiziente Wirkung ist die Grösse der verwendeten Aluminiumoxid-Partikel. «Wir hatten einfach Glück, gleich beim ersten Versuch die richtige Plättchengrösse zu finden», gibt Studart zu. Sind die Partikel deutlich grösser, nimmt der Einfluss der Schwerkraft zu und die Plättchen kippen wieder in die Horizontale. Sind sie zu klein, fangen sie durch die Bewegungsenergie an zu tanzen und verlieren ebenfalls ihre Anordnung. In beiden Fällen muss wesentlich mehr Magnetkraft aufgewendet werden, um die Plättchen dennoch auszurichten.

Naturidentischer Zahnersatz

Die neuen Materialien können vielfältig angewendet werden, zum Beispiel für kratzfeste Oberflächen oder für Lacke, die weniger schnell abblättern. Doch nicht nur Muscheln, sondern auch der Aufbau von Zahnschmelz regte die Forscher zum Nachahmen an. Dieser wird nicht durch plättchenförmige Strukturen, sondern durch senkrechte «Stäbchen» verstärkt. Das wollen die Forscher für Komposite in der Zahnmedizin nachempfinden, welche bisher sehr schnell abnutzen und häufig erneuert werden müssen. Stäbchenförmige Partikel, die mithilfe der Magnettechnik senkrecht ausgerichtet werden, könnten den Zahnersatz resistenter gegen Abnutzung machen. Eine Zusammenarbeit mit Zahnärzten an der Universität Zürich ist bereits im Gange. Dazu muss jedoch erst noch die optimale Stäbchengrösse ermittelt werden, wofür die Forscher bereits ein Modell entwickelt haben. Studart schätzt daher, dass das Material erst in fünf bis zehn Jahren als Zahnfüllung genutzt werden kann.

Literaturhinweis

Erb RM, Libanori R, Rothfuchs N and Studart RA. Composites reinforced in 3D using low magnetic fields. Science, 2011, doi:10.1126/science.1210822