Veröffentlicht: 11.01.12
Kolumne

Wechselbad der Schneegefühle

Stefan Flury
Stefan Flury, Projektleiter Veranstaltungen Stab «Veranstaltungen und Standortentwicklung». (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich)
Stefan Flury, Projektleiter Veranstaltungen Stab «Veranstaltungen und Standortentwicklung». (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Wissenschaftler aus der ganzen Welt wissen es schon lange. Forscher der ETH bestätigen es regelmässig. Die Klimaerwärmung ist Realität. Die Prognosen verheissen nichts Gutes. Steigende Temperaturen, steigende Meeresspiegel, heissere Sommer, wärmere Winter, steigende Schneegrenzen, weniger Schnee, mehr Regen. Extrapoliert man die Berichterstattung und glaubt man den Forschern, ist es bald aus mit meinem Hobby. Bald hat es sich aus-ge-ski-fahrt.

Aber so richtig glauben tut man’s dann doch nicht. Da, wo ich herkomme, hat’s im Winter Schnee. Punkt. Das war schon immer so und das soll gefälligst auch immer so bleiben. Auf einer Höhe von rund 1500 Metern über Meer, in Davos, ist es nicht aussergewöhnlich, dass es im November einschneit. Ich erinnere mich an Winter, da konnte man bereits ab Mitte Oktober langlaufen im Tal, und dies ohne Unterbruch bis Ostern. Oder sogar noch länger. So wird es auch dieses Jahr sein ... dachte ich.

Mein Schneesportlerherz wurde aber auf eine harte Probe gestellt. Der goldene Herbst war für meine «Ski-Wadel» etwas zu golden. Klar, auch Biken und Klettern machen bis weit in den November hinein Spass. Aber nachdem sogar das Jakobshorn, welches sonst immer als erste Bergbahn in Davos eröffnet, den Saisonstart aus Schneemangel verschieben musste, wurde auch der optimistischste «Wetterschmöcker» langsam nervös. Nicht einmal die in Beschneiungsanlagen investierten Millionen machten so richtig Freude, denn wo keine Kälte ist, da ist auch kein (Kunst-)Schnee. Sollten die Forscher endlich recht bekommen?

Dank immensem Aufwand konnte dann zwar Ende November eine Piste eröffnet werden. Doch die hatte mit einer Carvingpiste so viel gemeinsam wie ein Radweg mit einer sechsspurigen Autobahn. Kurzschwingen war angesagt. An den Anblick eines einzelnen weissen Streifens mitten in der schneefreien und umso grünbrauneren Umgebung musste ich mich erst gewöhnen. Beängstigend war die Tatsache, dass die Skis auf dem Sessellift gefährlich nahe an Felsen und Geröllhalden vorbeizogen, anstatt über Pulverschnee zu schweben. Und als mir auf dem Weg nach unten in kaum 10 Meter Abstand von der Piste eine Gruppe leicht bekleideter Biker entgegenradelte, fühlte ich mich definitiv so fehl am Platz wie ein Eisbär in der Sahara.

Ein paar Tage und Wochen, einige Panikattacken von Tourismusexperten und mehrere Jammertiraden von Bergbahnbetreibern später: endlich die Erlösung. Frau Holle wurde vom Schneeprinzen wachgeküsst, stieg in den Sattel, spuckte in die Hände, warf den Motor an, gab den Kissen die Sporen und schüttelte sie mit einer Inbrunst, als wäre es ihr letztes Mal. Endlich. Schnee in rauen Mengen. Von 0 auf 2 Meter in 2 Wochen. Wahnsinn. Alle Pessimisten wurden Lügen gestraft. Die Muotataler Wetterfrösche schienen Recht zu bekommen.

Ich gebe zu, dass ich selten gerne geweckt werde, schon gar nicht durch Motorenlärm. Das Scheppern und Dröhnen einer alten Schneeschleuder aber tönt in diesen Tagen wie Musik in meinen Ohren. Die tief verschneite Landschaft hat was Mystisches. Die Langsamkeit, welche die Schneemassen uns aufzwingen, weil es auf den Strassen kaum mehr ein Durchkommen gibt, hat was Beruhigendes und Entspannendes. Wäre da nicht die Vorfreude auf stiebenden Pulverschnee unter meinen Skis!

Ich bin so schnell aus dem Bett wie selten, das Morgenessen ist verputzt, bevor der Kaffee fertig ist. Ich bin aus der Dusche und angezogen, bevor die Haare trocken sind. Packe meine Skier, renne in den Skischuhen die Strasse runter, als verfolgte mich der Yeti, warte ungeduldig auf den Bus, denn nur die erste Bahn ist schnell genug. Von Weitem hört man Lawinensprengungen. Wieder Musik in meinen Ohren, denn diese Explosionen versprechen, dass bald die Lifte öffnen. Die Vorfreude auf die erste Abfahrt steigt ins Unermessliche.

Kaum zu glauben, dass das Skigebiet zwei Wochen vorher noch einer Steinwüste glich. Weg sind die bösen Träume vom schneelosen Winter, vergessen ist das Jammern der Touristiker, die düsteren Prognosen der Klimawissenschaftler. Solche Schneemassen wie in diesem Winter gab es das letzte Mal im Lawinenwinter 1999.

Mit befreiendem Lachen stürze ich mich in die Pulverhänge. Das lange Warten hat sich gelohnt, es ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Vorfreude ist die grösste Freude? In diesem Fall bestimmt nicht. Die erste Spur in einen frischen Hang zu legen, schlägt alles. Und es sind weitere Schneefälle prognostiziert! Mir soll’s recht sein. ZUVIEL Schnee gibt es nämlich gar nicht. Weitere Hochgefühle und Adrenalinschübe sind vorprogrammiert. Ski heil!

Zum Autor

Der Heimwehbündner Stefan Flury ist in der Sportdestination schlechthin und der Heimat des WEF aufgewachsen: in Davos. Kein Wunder, zählt der Schneesport – an erster Stelle Ski- und Snowboardfahren - zu seinen Hobbys. Das Warten auf den nächsten Winter verkürzt er sich mit Biken, Klettern, Surfen, Kiten, Tennis, Beachvolley und vielem mehr. Bei schlechtem Wetter greift er auch in die Klaviertasten. Wie so viele seiner Bündner Art- und Leidensgenossen hat es auch ihn für das Studium nach Zürich gezogen, wo er, wenn wunderts, Sportlehrer und BWL studierte. Nach verschiedenen Praktika in der Privatwirtschaft, einiger Zeit als Projektleiter beim Kanton Graubünden und ausgedehnten Reisen arbeitet er seit März 2009 an der ETH Zürich im Stab «Veranstaltungen und Standortentwicklung».