Veröffentlicht: 09.12.11
Globetrotter

Streik auf dem Campus

Christian Monstein reiste mit gemischten Gefühlen in den Unruheherd Kenia, um ein weiteres Radiomessgerät «Callisto» in Betrieb zu nehmen, um das die Sonnenstrahlung zu messen soll. Seine Befürchtungen sollten sich bewahrheiten.

Christian Monstein
Antennenbau in der mechanischen Werkstatt. Mechaniker im Blaumann und Ingenieure im Weisskittel. Nicht sichtbar die Professoren und der Autor im Sakko. Die Hälfte der Dipole ist übrigens auf der falschen Seite montiert. (Alle Bilder: C. Monstein / ETH Zürich)
Antennenbau in der mechanischen Werkstatt. Mechaniker im Blaumann und Ingenieure im Weisskittel. Nicht sichtbar die Professoren und der Autor im Sakko. Die Hälfte der Dipole ist übrigens auf der falschen Seite montiert. (Alle Bilder: C. Monstein / ETH Zürich) (Grossbild)

Die Vorzeichen für meinen Einsatz in Kenia waren nicht gut: Am Freitag vor meiner Abreise schossen 300 Kilometer nördlich von Nairobi Unbekannte eine Schweizerin an und verletzten sie schwer. Ihr Fahrer ist tot. In Mombasa wurde ein österreichischer Student tot aufgefunden, in Nairobi zündeten Terroristen in einer Bar mit Touristen eine Bombe …

Da erscheint mir die Malaria-Prophylaxe, die ich zwei Wochen vor der Reise beginne, geradezu lächerlich, selbst wenn die Liste der Nebenwirkungen deren 30 umfasst.

Montag, 07.11.2011

Der Flug ist ruhig und langweilig. Zehn Kilometer über Abu Simbel verteilt das Flugpersonal Formulare für den Visa-Antrag und die Einreisekontrolle. Ankunft in Nairobi um 19:15.

Vor dem Flughafen wartet mein Gewährsmann, Kenneth Kaduki‚ Vorsitzender des Department of Physics, mit grossem Schild «Christian Monstein». Wir rasen auf der linken Strassenseite durch die Nacht in Richtung Nairobi Zentrum. Es ist stockdunkel, die Strassenlampen sind abgeschaltet. Die Luft ist staubig, aber die Temperatur auf 1600 m hat angenehme 20 Grad. Nach 20 Minuten sind wir beim United Kenya Club. Dort gibt es zwei Sicherheits-Checks, ehe ich das Hotel betreten darf. Das Zimmer ist einfach, vor allem die Dusche (s. Bild). Zum Abendessen gibt's ein Bier und ein Engadiner Nusstörtchen. Habe keine Lust, mich nach einem Restaurant umzusehen. Man sieht nichts, weil die Strassen unbeleuchtet sind und zu viel Staub in der Luft hängt.

Dienstag, 8. November 2011

Die Dusche funktioniert, allerdings kann man die Temperatur nicht regeln. Die Heizung funktioniert nur über Ein oder Aus. Einen elektrischen Schlag habe ich nicht gekriegt. Zum Frühstück genehmige ich mir ein Mephaquin – die Malaria-Prophylaxe. Francis Juma holt mich mit seinem klapprigen PW um 09:15 ab und bringt mich zur Uni. Sie hat sechs Fakultäten mit total 50'000 Studenten.

Wir sind in der Fakultät für Mathematik, Geologie und Physik. Ein Raum für das ETH-Spektrometer Callisto ist vorhanden. Das Flachdach für die geplante Antenne liegt einen Stock höher.

Die Besichtigung der Antenne in der Werkstatt ist ein herber Rückschlag. Die Dipole sind falsch montiert. Der Mechaniker wird ungehalten, weil er die Konstruktion abbrechen und neu verbohren, vernieten und verschrauben muss. Die Kunststoffstützen fehlen auch und für die Befestigung des Masts gibt es nur vage Ideen, jedoch keine konkreten Pläne und schon gar kein Material.

Als Kabel haben sie den Typ RG-58 vorgesehen, was nicht funktionieren kann, weil es zu viel Dämpfung aufweist. Es gibt noch ein anderes, besseres Kabel unbekannter Herkunft und seltsamen Durchmessers. Meine aus Zürich mitgebrachten Stecker werden nicht passen. Mit Ach und Krach bringen wir meinen Laptop ans Internet, allerdings nur den Browser, kein SSH, kein Mailer und kein VPN. Alle Toiletten an der Uni sind verschlossen, den Schlüssel muss ich im Sekretariat holen. In den Toiletten selbst gibt es kein Papier, keine Klobürste, auch keine Seife und kein Handtuch.

Charles Obure hilft dem Mechaniker, die Antenne zusammenzuschrauben. Um 11:50 fällt die Internetverbindung aus. Um 12 Uhr funktioniert sie wieder, aber mir wird es langsam zu bunt. Hier ist niemand, dem ich mein Wissen vermitteln könnte und zudem wird die Zeit knapp. Um 12:30 kommt Paul Baki, Associated Dean, School of Applied Science & Technology, Polytechnic University College, Nairobi.

Um 13 Uhr gehen wir in die Professoren-Kantine. Es gibt Poulet oder Gemüseeintopf, beides mit Reis oder Maisbrei. Ich entscheide mich für das Gemüse. Es schmeckt ausgezeichnet. Die Kollegen essen Poulet, Gemüse und Maisbrei mit blossen Händen. Das Menü kostet zwischen 200 und 250 KES, entsprechend 2 bis 2.50 CHF. Wir bestellen Fruchtsalat zum Dessert. Es gibt Banane (keine Gefahr für den Magen!), Papaya (Gefahr!) und Ananas (Gefahr!).

Um 14:30 Besuch der Werkstatt. Die Mechaniker krampfen wie die Berserker. Ein Träger ist umgerüstet auf Dipole beidseitig und einige Klemmen zum Zusammenschrauben der Träger sind schon fertig. Paul Baki meint, dass die Angestellten bis 21 Uhr durcharbeiten «dürften» und dass die Antenne bis Mittwoch montiert werden kann.

Bald stürzt der Mechaniker in mein Büro. Sie haben tatsächlich alle Dipole in kürzester Zeit umgekehrt montiert und beide Hälften fertiggestellt?. Nun bin ich optimistisch, dass die Antenne bis morgen fertig wird. Es fehlen noch Schrauben für die Querverbindungen, Spannseile und die Abdeckung für die Kontaktierung.

Francis Juma will Feierabend machen, also fahren wir zurück in den Club. Morgen werde ich die Strecke zu Fuss gehen. Habe ein schönes, dunkles Bier zu Feierabend auf der Gartenterrasse des Clubs wohl verdient. Ich entscheide mich für Ziegenfleisch vom Grill mit Salat (Gefahr!). Die Ziege ist ziemlich zäh. Im Fernsehen laufen Beiträge über Kriegshandlungen gegen die Shabaab-Rebellen an der nördlichen Grenze zu Somalia. Es sind vor allem Siegesmeldungen: Die Hälfte eines Gebietes soll von Rebellen «gereinigt» worden sein. Die somalischen Rebellen drohen mit Selbstmordattacken auf touristische Einrichtungen in Kenia.

Mittwoch, 09.11.2011

Die Sonne scheint um 07:30 ins Schlafzimmer, Zeit für ein Frühstück. Heute gibt es Papaya (Gefahr!), Ananas (Gefahr!), Wassermelone (Gefahr!). Ich warte immer noch auf eine Magenverstimmung, damit sich die Investition in Imodium endlich bezahlt macht.

Heute gehe ich zur allgemeinen körperlichen Ertüchtigung zu Fuss ins Institut. Der Marsch dauert 20 Minuten. In dieser Zeit muss ich vier Stahlgitter-Tore mit jeweils bis zu drei bewaffneten Sicherheits-Spezialisten passieren.

Es sieht schlecht aus mit der Antenne: Die Werkstatt ist geschlossen und die Mechaniker verschwunden. Auch mit der Installation von Software und Training zu beginnen, geht nicht. Das Management hat wegen eines Streiks kurzfristig ein Meeting angesagt. Offenbar protestieren die Akademiker vor dem Ministerium, weil dieses eine Lohnerhöhung nicht genehmigt hat. Ein Riesenlärm mit Pfeifen und Trompeten erschallt von der Strasse hoch, Hunderte, wenn nicht Tausende Protestierende strömen vorbei. Einige erstürmen das Gebäude. Mit Fahnen bewaffnet dringen sie auch in mein Büro ein und wollen wissen, ob ich ein Dozent bin. Mein Zustand des Wohlfühlens verschlechtert sich zusehends. Ich weiss nicht, was los ist und es ist keiner mehr da, den ich fragen könnte. Ich verneine und gebe mich beschäftigt. Die Meute zieht pfeifend und lärmend weiter.

Unter diesen Umständen droht unser Projekt zu scheitern. Um elf taucht wenigstens Kenneth Kaduki auf und ich erkläre ihm, dass wir so einen Haufen Zeit und Geld verschwenden und dass das Projekt gefährdet ist. Er telefoniert Francis Juma und Charles Obure, sie sollen ihren Protest beenden. Tatsächlich tauchen die zwei und Geoffrey Okengo kurz auf, verschwinden aber gleich wieder, weil sie den neuen PC konfigurieren müssten. Der Alte funktionierte nicht.

Wir planen neu, dass ich um zwei Uhr einen Einführungsvortrag gebe. Anschliessend wollen wir mit der Konfiguration beginnen oder vielleicht doch das Problem mit den Steckern und den Kabeln lösen?

Um zwei wird ein Videoprojektor aufgefahren, allerdings fehlt das Netzkabel. Es dauert eine Viertelstunde, dann kann ich mit meiner Präsentation beginnen. Anschliessend installieren und konfigurieren wir Callisto und Software. Callisto funktioniert erst beim zweiten Anlauf, nachdem die Konfiguration korrekt durchgeführt worden ist.

Um acht Uhr beenden wir die heutige Session und genehmigen uns Bier im Dozentenrestaurant. Leider verstehe ich kein Wort Suaheli. Meine Kollegen springen dauernd hin und her zwischen Englisch und Suaheli. Um neun bin ich im United Kenya Club, allerdings nicht ohne zuerst zwei Sicherheitsüberprüfungen über mich ergehen lassen zu müssen. Die Laptoptasche piepst logischerweise, aber sie wollen nicht reingucken, vertrauen mir blind, dass tatsächlich ein Laptop in der Tasche ist.

Fazit für heute: Software weitestgehend installiert, Personal instruiert und Callisto funktioniert. Offene Probleme sind noch genügend vorhanden. Die Antenne liegt noch immer nicht auf dem Dach, Kabel und Stecker für Hochfrequenz sowie Gleichstrom fehlen, Vorverstärker montieren und Sicherheitsprobleme mit Proxy-Server.

Donnerstag, 10.11.2011

Meine nächtlichen Berechnungen deuten auf eine maximale Beobachtungsfrequenz von 170 MHz hin. Verwenden wir das beste Kabel, das wir finden können, und montieren den Vorverstärker nicht draussen, sondern im Empfängerraum, können wir viel Arbeit sparen. Nach schweisstreibendem Fussmarsch Ankunft? um 08:10 im Astronomie-Office. Zwischen Unterkunft und Office sind 5 Sicherheitschecks zu überstehen, das macht pro Tag 10 Checks und pro Woche 50.

Um 09:45 ist immer noch kein Mechaniker am Werk. Ich glaube inzwischen nicht mehr daran, dass das Projekt gelingen wird. Nun ist es halb elf und es tut sich nichts. Nach den neuesten Informationen dauert der Streik an und die Werkstatt bleibt geschlossen. Techniker oder Mechaniker sind nicht verfügbar. Dies, obwohl sie mir gestern versprochen haben, heute früh mit der Arbeit zu beginnen.

Mittagszeit, wir nehmen einen Tee und einen Dasi (Donut ohne Loch) zur Stärkung, denn nun geht es zu Fuss die Stadt hoch auf über 1800 m ins nächste Elektronik-Geschäft. Der Chairman entscheidet, ein Billigtaxi zu nehmen. Das habe ich noch nie erlebt: total eingepfercht in einem VW-Bus mit offener Türe und ohne Sicherheitsgurte zu fahren. Der Schaffner steht auf dem Trittbrett und hält sich dabei am Dachträger fest. Kostenpunkt einige Schillinge, weniger als ein Franken für 2 Personen.

Wir benötigen einen passenden Stecker für das Koaxial-Kabel. Es ist unglaublich: Im Kenya-Electronic Shop Nairobi haben sie fast alles, was das Elektronikerherz begehrt.

Um 14:30 wieder zurück im Labor, die Harddisk lässt sich nicht formatieren. Somit kann auch das Windows nicht installiert werden. Ersatzteile gibt es keine und Geld für Neubeschaffung ist auch nicht vorhanden.

14:45, kaum zu glauben, ein Mechaniker und ein Elektroniker (beides Streikbrecher) sind aufgetaucht und schleppen Profile, Stangen, Schrauben usw. auf das Dach. Es kommt wieder etwas Hoffnung auf. Ich müsste mal, aber der Toiletten-Schlüssel ist im Sekretariat, und das ist geschlossen. Die Sekretärinnen streiken ebenso. Schliesslich finde ich noch jemanden mit Zugang zum Sekretariat, so dass ich mich erleichtern kann.

Es ist jetzt 16:45, etwa ein Viertel der Antenne ist grob zusammengeschraubt. Die Kunststoffrohre zur Stabilisierung sollen auch vorhanden sein. Zudem habe ich Charles Obure zwei Löt-Ösen mit Stahlschrauben in die Hand gedrückt zum Anlöten des Koaxial-Kabels an den Trägern. Um 17:30 ist die Hälfte der Dipole montiert. Charles Obure ist zuversichtlich, die Antenne bis morgen Freitag - mein letzter Tag - montieren zu können.

Geoffrey Okengo bringt mich zum Hotel zurück, wo ich ihn zu einem Bier einlade. Es werden allerdings 2 bis 3. Kenianer dürfen offenbar mehrere Frauen haben, mein Gegenüber hat jedoch «nur» zwei. In derselben Bar sitzt der Premierminister Kenias ...

Freitag, 11.11.2011

Es regnet und es ist kühl. Gehe trotzdem zu Fuss ins Institut. Allerdings leiden die Schuhe unter dem feuchten Dreck. Um halb neun bin ich der Erste im Büro, bald kommt Kenneth Kaduki mit Neuigkeiten. Der Streik dauert an, die Forderungen wurden nicht erfüllt. Gestern Abend war ich noch optimistisch, dass jemand arbeiten kommt, aber leider tut sich nichts. Gute Gelegenheit für Web-Checkin - und welch eine Freude, er funktioniert sogar; ich brauche die Boardkarte nur noch auszudrucken. Die nächste Herausforderung ist, einen Drucker zu finden, wo alle am Streiken und die Sekretariate geschlossen sind. Brauche einige Überredungskünste, die Sekretärin zu überzeugen, meine Bordkarte zu drucken. Sie lässt sich jedenfalls Zeit und meint, dass sie nur «zufällig» hier sei und eigentlich streike. Hauptsache, ich habe die Dokumente.

Inzwischen ist Charles Obure doch wieder am Montieren der Antennen-Stäbe, wobei mindestens ein Dipol fehlt. Ich gebe ihm grünes Licht zum Weitermachen. Er glaubt wohl, aufhören zu können, wenn ein Dipol fehlen würde. In kleinsten Schritten geht die Arbeit voran.

Draussen hört man Pfeifen, Hörner und Lautsprecher der Demonstranten. Die Arbeiter verschwinden und die Antenne bleibt liegen. Am PC geht's nicht weiter, der Proxy-Server der Uni verhindert jegliche Kommunikation mit der Aussenwelt. Somit kann der FTP-Watchdog auch die FITS-file nicht auf den FTP-Server in der Schweiz hochladen. Ich mache den Vorschlag, sie sollen die Standleitung des GPS der NASA benutzen. Gesagt, getan und - flutsch ist das FITS-File im Archiv der ETH.

Bin schier am Verzweifeln, das alles so zähe vor sich geht. Paul Baki besucht uns und wir gehen wieder einmal zum Lunch in den Club, denn dort wird noch nicht gestreikt, so dass wir uns stärken können. Es wird lautstark gestritten, wie man sich zu verhalten habe, damit der Streik möglichst Wirkung zeigt.

Es ist auch nicht möglich, meine kleine Testantenne auf das Dach zu montieren, weil es nicht die richtigen Kabel zur Verlängerung gibt.

Übungsabbruch, ich gebe auf. Es geht nicht. Kann nicht mal an den Diskussionen teilnehmen, die Leute sind so aufgebracht, dass sie in Suaheli sowie weiteren lokalen Sprachen streiten. Keine Werkzeuge, keine Toilette; die Leute pinkeln ins Lavabo, welches im Gang angebracht ist. Ich habe genug, packe zusammen und gehe zu Fuss zurück zum United Kenya Club.

Hoffentlich holt mich Kenneth Kaduki tatsächlich ab um 21 Uhr, damit ich rechtzeitig am Flughafen bin. Draussen stockt der Verkehr, es geht nichts mehr um 19:30 Uhr. Wenn ich erst um 21 Uhr ein Taxi bestelle, wird es zu spät. Check-out um 20:45 und kurzer Anruf bei Kenneth Kaduki, er ist zum Glück unterwegs. Der Verkehr ist beängstigend, aber um 22 Uhr sind wir am Flughafen. Um halb elf bin ich am Gate. Es gilt, 1650 KES zu vernichten. Ein Pack Cashewnüsse kostet 1200 KES und ein kleines Fläschchen Rotwein 450 KES. So ist das Restbudget auf null.

Samstag, 12.11.2011

Rückflug um 00:30 direkt nach Zürich mit Ankunft um 06:20 Lokalzeit. Um 08:30 bin ich wieder zu Hause in Freienbach. Gott sei Dank!

Zum Autor

Christian Monstein (58) ist Technischer Mitarbeiter am Institut für Astronomie der ETH Zürich. Sein besonderes Interesse gilt der Messung von Radiostrahlung, welche von der Sonne ausgeht. Monstein betreibt mit freiwilligen Mitarbeitern ein weltweites Netz von Radio-Spektrometern «Callisto». Das Projekt wird unterstützt durch die Vereinten Nationen und durch die NASA im Rahmen des Projektes ISWI (International Space Weather Initiative). Um einen weissen Flecken auf seiner Weltkarte zu tilgen, reiste er im Oktober dieses Jahres nach Ägypten, im Mai nach Kasachstan.