Veröffentlicht: 30.11.11
Science

Licht auf die «dunkle Materie» des Genoms

Kommissar Zufall spielte mit: ETH-Forscher um Professor Bruce McDonald haben erstmals gezeigt, dass sich nicht kodierende Gen-Teile, die sogenannten Introns, selbst kopieren und im Genom herumspringen. Dennoch bleiben diese DNS-Sequenzen rätselhaft.

Peter Rüegg
Mycosphaerella graminicola auf Weizen: Ein Mikroriss auf einem Weizenblatt wird gefüllt mit schwarzen Fruchtkörpern. (o. l.). Diese geben massenhaft Sporen in einem zahnpastaähnlichen Faden, dem Cirrhus, ab. (u.l.) Der Cirrhus wird aus einzelnen Pycnidiosporen gebildet, die auf die nächste Pflanze übertragen warden und eine neue Infektion beginnen (r.). (Bild: Bruce McDonald/ETH Zürich)
Mycosphaerella graminicola auf Weizen: Ein Mikroriss auf einem Weizenblatt wird gefüllt mit schwarzen Fruchtkörpern. (o. l.). Diese geben massenhaft Sporen in einem zahnpastaähnlichen Faden, dem Cirrhus, ab. (u.l.) Der Cirrhus wird aus einzelnen Pycnidiosporen gebildet, die auf die nächste Pflanze übertragen warden und eine neue Infektion beginnen (r.). (Bild: Bruce McDonald/ETH Zürich) (Grossbild)

Eigentlich ist Stefano Torriani Pflanzenpathologe. Und sein aktuelles Forschungsprojekt drehte sich darum, beim Pilz Mycosphaerella graminicola eine spezielle Klasse von Genen zu analysieren, die für zellwandabbauende Enzyme kodieren. Denn wie virulent der Pilz bei der Attacke auf Pflanzen ist, hängt stark von diesen Enzymen ab. Doch bei der Untersuchung dieser Gene stiess Torriani auf etwas Merkwürdiges: Ein Gen war bei verschiedenen Individuen nicht gleich lang.

Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen, wich der Forscher von seinem ursprünglichen Vorhaben ab und zog weitere Fachleute, darunter Daniel Croll, Patrick Brunner und Eva Stukenbrock aus der Forschungsgruppe von Bruce McDonald, Professor für Pflanzenpathologie der ETH Zürich, hinzu. Was sie nach einem Jahr fieberhafter Forschung herausgefunden haben, wirft ein neues Licht auf die Evolution von Genomen – und lässt dennoch viele Fragen offen.

Introns machen Unterschied aus

Die Frage nach der unterschiedlichen Länge des Gens in verschiedenen Individuen konnten die Pflanzenpathologen indes rasch beantworten. Einige der Pilzindividuen hatten im Gen «ID-60105», das für das zellwandauflösende Enzym kodiert, ein Intron, andere hingegen nicht.

Damit betraten die Forschenden ein relativ junges Kapitel der Biologie. Sogenannte spleissosomale Introns wurden erst vor rund 30 Jahren entdeckt. Weil sie nicht-kodierende Abschnitte eines Gens sind, liefern sie keine Information für den Aufbau eines Proteins. Introns unterteilen aber die kodierenden Abschnitte, die so genannte Exons. Ein Gen, also die Exons sowie die Introns, wird von der Zellmaschinerie abgelesen und eine Abschrift, die Boten-RNS, erstellt. In einem nächsten Schritt werden die nichtkodierenden Intron-Teile davon weggeschnitten und die kodierenden Exon-Teile zusammengeschweisst. Erst dadurch entsteht der Bauplan für das durch dieses Gen kodierte Protein.

Bis heute verstehen Biologen aber nicht, welche Funktion Introns haben und wieso sie in solch grosser Zahl in den meisten Eukaryoten, also den höheren Lebewesen einschliesslich Menschen, vorhanden sind. Prokaryoten, sprich Bakterien, besitzen keine Introns. «Etwa 30 Prozent unserer DNS besteht aus Introns, die oft als <junk-DNS> bezeichnet wird, da sie keinen offensichtlichen Nutzen hat», betont McDonald, «es ist die dunkle Materie des Genoms. Wir wissen, dass sie da ist, aber wir wissen nicht weshalb sie da ist und wie sie entstanden ist.»

Bisher waren Biologen überzeugt, dass innerhalb einer Art ein Intron an einer bestimmten Stelle eines Gens entweder einen festen Platz hat oder gar nicht vorhanden ist. Die Pflanzenpathologen waren deshalb darüber erstaunt, dass M. graminicola von dieser konventionellen Vorstellung abwich. Das Intron war in einigen Individuen vorhanden, in anderen aber nicht. «Die Idee, dass Introns einen <Präsenz-Absenz-Polymorphismus> innerhalb einer Art zeigen können, ist ziemlich neu, und es gibt dafür bisher nur sehr wenige Literaturbelege», sagt Torriani.

Erste Hinweise auf dieses Phänomen stammen von einem Gen der Fruchtfliege Drosophila und wenigen Genen des Wasserflohs Daphnia. In ihrer Publikation, die soeben in «Current Biology» erschienen ist, stellt die Gruppe um Bruce McDonald gleich drei weitere Arten vor, die eine Vielzahl solcher Intron-Polymorphismen zeigen.

Altersbestimmung von Intronen

In ihrer Arbeit verglichen die Forscher jedoch nicht nur Gene von M. graminicola Individuen miteinander, sondern auch dieselben Gene von mehreren nahe verwandten Pilzarten. In einigen Fällen hatten die evolutiv älteren Arten kein Intron in einem Gen. Die jüngere Art, M. graminicola, befand sich aber in einem Übergangsstadium, weil in einigen der Individuen das Intron vorhanden war, in anderen nicht. «Es sind diese seltenen Übergangsstadien, die uns helfen die evolutiven Prozesse besser zu verstehen, die zu Intron-Entstehung und -Verlust im Genom beitragen», fasst Mitautor Daniel Croll zusammen. «Sobald das Intron in jedem Individuum vorkommt, ist es im Gen fixiert und wir können nichts mehr über seine Entstehung sagen.»

Der Vergleich der Gene und der jeweiligen Introns deckte zudem eine Besonderheit auf, die Licht auf diese evolutiven Prozesse werfen könnte: Verglichen mit ihren Schwesterarten hat eines der untersuchten Gene von M. graminicola das Intron erst vor kurzer Zeit eingebaut. Dieses Intron verbreitete sich sehr schnell und ist heute in fast allen Individuen vorhanden. Weshalb ein neues Intron in diesem Gen so rasch fixiert werden konnte, ist jedoch ein Rätsel. «Vielleicht haben Individuen mit diesem Intron einen Vorteil, verglichen mit Individuen ohne Intron», vermutet Croll.

Einfluss auf Fitness schleierhaft

Ob Introns für Eukaryoten generell einen Vorteil haben, darüber können die Forscher weiterhin nur spekulieren. Es müssen noch viele Experimente durchgeführt werden, um bestehende Ideen zur Bedeutung der Introns für die Genomevolution zu bestätigen oder zu verwerfen. «Beeinflussen Introns beispielsweise die Fitness einer Art; erhöht der Verlust oder Zugewinn eines Introns die Fitness, reduziert es die Fitness, oder hat es keinen Einfluss auf ein Individuum oder eine Art? Wir wissen es schlicht nicht», so ETH-Professor Bruce McDonald.

Mit ihren Vergleichen von Pilzgenomen und von Einzelgenen fanden die ETH-Forscher zudem die ersten konkreten Beispiele, dass sich Introns vermehren und an anderer Stelle des Genoms wieder einbauen können. Die Forscher konnten ganze Familien von verwandten Introns identifizieren und so die Häufigkeit bestimmen, mit der eine Intron-Familie im Genom vorlag.

Introns des Menschen analysieren

Die Forscher sind überzeugt, dass ihre Arbeit zu einem besseren Verständnis der Intron-Evolution bei Eukaryoten beitragen wird. So könnten nun andere Forscher vergleichbare Gen- oder Genom-Analysen auch bei anderen Organismen durchführen, nicht zuletzt dank der immer rascher und billiger werdenden Sequenzier-Technologie. Pilze haben ein relativ kleines Genom, was solche Studien mit ihnen einfacher macht, im Vergleich zu Organismen mit viel grösseren Genomen, wie dem des Menschen. Aber McDonald ist überzeugt, dass ähnliche Studien bald auch bei Menschen durchgeführt werden. «Dann werden wir sehen, ob das Vorhandensein oder Fehlen von Introns eine klinische Relevanz bezüglich der menschlichen Gesundheit hat.» Vorerst aber wollen die Pflanzendoktoren herausfinden, wie die Vielgestaltigkeit der Intron-Muster des Pilzes die Krankheitsausprägung auf der Wirtspflanze beeinflusst.

Literaturhinweis

Torriani SFF, Stuckenbrock EH, Brunner PC, McDonald BA & Croll D: Evidence for Extensive Recent Intron Transposition in Closely Related Fungi, Current Biology, 17 November 2011, doi. 10.1016/j.cub.2011.10.041.

 
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