Veröffentlicht: 25.11.11
Globetrotter

Erste Gehversuche in «Schwiizerdüütsch»

Heather Kirk hat ihre kanadische Heimat für einen Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich verlassen. Als Globetrotterin beschreibt sie ihr Leben in Zürich und was ihr an der Schweiz respektive den Schweizern aufgefallen ist.

Heather Kirk
Trams und Wasser prägen das Zürcher Stadtbild. (alle Bilder: Heather Kirk / ETH Zürich)
Trams und Wasser prägen das Zürcher Stadtbild. (alle Bilder: Heather Kirk / ETH Zürich) (Grossbild)

Ich war früher schon zweimal in Zürich, einmal während der Ferien Anfang zwanzig und ein zweites Mal im Jahr 2004 während eines Praktikums in Delémont. Doch irgendwie machte die Stadt während jener Besuche keinen grossen Eindruck auf mich. Vielleicht deshalb, weil es im Vergleich zu anderen europäischen Städten nicht sehr viele bedeutende Sehenswürdigkeiten gibt. So wusste ich also nicht, was mich erwarten würde, als ich Anfang Juli von der ETH als Postdoc eingestellt wurde. Vor meiner Abreise in das Land der Alpen und des Käses mit den Löchern hatte ich in Kanada ein paar Schweizer getroffen, die mich vor den hohen Lebenshaltungskosten und den Schwierigkeiten für «Aussenstehende», mit Schweizern Freundschaft zu schliessen, gewarnt hatten. So brach ich also Ende Juni etwas besorgt, aber dennoch voller Abenteuerlust, zu meinem neuen Zuhause auf.

Erste Eindrücke positiv

Ich traf zur bestmöglichen Jahreszeit ein – die beiden letzten Junitage waren drückend heiss, und so verbrachten die Einheimischen und die anderen Expats ihre Mittagspausen, Abende und Wochenenden spazierend am See, plaudernd in Strassencafés oder sie genossen die vielen tollen Schwimmgelegenheiten. Alle Menschen waren gutgelaunt, und zahlreiche kulturelle und musikalische Festivals fanden statt. Zürich ist voll von Kunstgalerien und Museen mit Ausstellungen und natürlich auch interessanten Bars und Restaurants zum Entdecken. Ich hatte das Glück, durch meine Mitbewohnerin eine sympathische Gruppe von Schweizerinnen kennen zu lernen, die mich sofort herzlich und mit offenen Armen aufgenommen haben. Auch die vielen, von der grossen Expat-Gemeinde in Zürich organisierten Veranstaltungen erleichterten es mir, mit den verschiedensten Ausländern aus anderen Ländern, die dieselben Interessen wie ich haben, Kontakte zu knüpfen. Und natürlich waren auch die Gelegenheiten unwiderstehlich, in die Berge und die Alpen zu fahren, um zu wandern.

In den ersten Monaten meines Aufenthalts hatte ich immer wieder ein etwas surreales Gefühl der Unwirklichkeit, obwohl ich mich tagsüber in mein Forschungsprojekt am Institut für Agrarwissenschaften an der ETH vertiefte und intensiv daran arbeitete. An den Abenden und Wochenenden war ich wie noch nie zuvor mit Sport, Kultur und gesellschaftlichen Events beschäftigt. Es war, als ob meine Sommerferien immer noch andauerten, und die Gangart der Schweizer passte mir ausgezeichnet; die Einheimischen arbeiten tagsüber hart, aber sie widmen sich mit Leidenschaft und Energie verschiedenen Sportarten, Aktivitäten im Freien und anderen Hobbys. Irgendwie fühlte ich mich, als sei ich nach Hause gekommen.

Integration über Sprache

Ich bin nun seit fünf Monaten in Zürich. Das Feriengefühl ist zwar inzwischen abgeklungen und der Winter rückt näher, aber ich schätze nach wie vor das Leben in dieser Stadt, die in Städterankings oft als eine der «lebenswertesten» Städte der Welt eingestuft wird. Natürlich klingt es ein bisschen langweilig, die öffentlichen Verkehrsmittel von Zürich zu loben, aber es IST ein grosser Vorteil, wenn man in weniger als einer halben Stunde die meisten Ziele innerhalb der Stadt und der Agglomeration erreicht. Und obwohl Zürich die meisten Vorteile einer grossen Stadt bietet, wirkt es dennoch eher wie eine kleine Gemeinde: Selbst wenn die Trams nachts nicht mehr fahren, kann man sich zu Fuss von einem Ort zum andern bewegen. Unterwegs begegne ich ständig Bekannten auf der Strasse, obwohl mein soziales Netz immer noch relativ klein ist.

Ich versuche auch Schweizerdeutsch zu lernen. Die meisten Ausländer finden die Sprache schwierig und nicht sehr schön. Nachdem ich jedoch mehrere Jahre in Holland verbracht und auch Holländisch gelernt habe, ist mir der Duktus recht vertraut und die Sprache hat für meine Ohren einen angenehm melodischen Klang. Über das weisse Brett der ETH habe ich einen Partner für den sprachlichen Austausch gefunden und ein paar angenehme Abende mit dem Erlernen von «es bitzeli Schwiizerdüütsch» verbracht. Ich weiss, dass die Grammatik nicht sehr klar definiert ist, und die meisten Expats warnen denn auch davor und sagen, dass es aussichtslos ist, Schweizerdeutsch zu lernen. Aber ich finde, dass ich die Kultur besser verstehe, wenn ich die Sprache ein wenig kenne, und der Kontakt zu meinen Schweizer Freunden ist auch einfacher, denn ihre Sprache liegt ihnen sehr am Herzen.

Wenn wir schon von Freundschaften reden: Obwohl es vielleicht schwierig ist, von einem Kreis eng befreundeter Schweizer aufgenommen zu werden, die oft seit ihrer Kindheit durch dick und dünn gegangen sind, finde ich, dass Freundschaften unter Schweizern viel tiefer gehen als anderswo. Die Kanadier beispielsweise pflegen eine sehr offene gesellschaftliche Kultur, und es ist einfach, dort neue Leute kennen zu lernen. Doch sind die meisten Bekanntschaften ziemlich oberflächlich, und es ist schwierig, wirkliche Freundschaften zu schliessen.

Kanada und die Schweiz: keine so grossen Unterschiede

Natürlich gibt es zahlreiche Unterschiede zwischen Kanada und der Schweiz. Ein paar der auffälligsten sind unter anderem die Qualität des Essens (viel besser in der Schweiz, obwohl einige Hamburger-Liebhaber aus Nordamerika da anderer Meinung sein dürften), die Distanzen von einem Ort zum nächsten (viel grösser in Kanada) sowie die Mehrsprachigkeit (die Schweizer sprechen oft drei oder vier Sprachen, während die Kanadier nur eine oder höchstens zwei sprechen). Dennoch gibt es zahlreiche Ähnlichkeiten, die meiner Meinung nach eine Annäherung der beiden Kulturen erleichtern. Zum einen ist da der Stolz auf die Naturschönheiten, die beiden Kulturen eigen ist. In beiden Ländern gibt es eine Fülle von Seen, Flüssen und Bergen, und diese Ähnlichkeit sorgt bei interkulturell Reisenden für eine gewisse Vertrautheit. Zum anderen sind sowohl die Schweizer als auch die Kanadier bekannt für ihre Höflichkeit gegenüber ihren Nachbarn. Daher ist es für viele Kanadier eine ständige Quelle der Irritation, mit Amerikanern verwechselt zu werden. Eine ähnliche Dynamik besteht zwischen Schweizern und ihren deutschen Nachbarn.

Alles in allem bin ich begeistert von meinen Entscheid, nach Zürich zu ziehen, und ich habe bereits eine Art National- und Bürgerstolz auf meine Wahlheimat und die Stadt Zürich entwickelt. Obwohl ich noch keinen ganzen Herbst und keinen Winter in der Stadt verbracht habe (und die Schweizer warnen mich davor, dass diese Jahreszeiten grau und trostlos sein können), freue ich mich dennoch darauf zu entdecken, was Zürich und die Berge während der kälteren Monate zu bieten haben.

Zur Autorin

Heather Kirk ist Postdoc am Institut für Agrarwissenschaften, Gruppe für Angewandte Entomologie. Die 31-jährige hat in Kanada studiert und an der Universität Leiden (NL) ihr PhD abgeschlossen. Sie erforscht derzeit die Populationsgenetik von invasiven Organismen.