Veröffentlicht: 21.11.11
Campus

Dem Umstieg ein Fundament geben

Zum zweiten Mal trafen sich ETH-Präsident Ralph Eichler und Studierende, die den Stromeinkauf der ETH Zürich mit einem hohem Kernkraftanteil kritisch hinterfragen. Die Schulleitung bleibt zwar bei ihrem Entscheid. Doch der Vorschlag, eine aktive Rolle bei der Erneuerung des Energieleitbilds der ETH zu übernehmen, stiess bei den Studierenden auf grosses Interesse.

Norbert Staub
Sehen im Stromlabeling einen wirksamen Hebel, um die Produktion und den Bezug des Stroms in die richtige Richtung zu steuern (v.l.): Claudio Beretta, Dominique Jaquemet und Nicole Seitz, Studierende der Umweltnaturwissenschaften. (Bild: Thomas Langholz / ETH Zürich)
Sehen im Stromlabeling einen wirksamen Hebel, um die Produktion und den Bezug des Stroms in die richtige Richtung zu steuern (v.l.): Claudio Beretta, Dominique Jaquemet und Nicole Seitz, Studierende der Umweltnaturwissenschaften. (Bild: Thomas Langholz / ETH Zürich) (Grossbild)

Eine Vorstellungsrunde sei nicht mehr nötig, sagte ETH-Präsident Ralph Eichler einleitend: Man sitze ja in der gleichen Zusammensetzung zusammen wie einige Tage zuvor. (siehe ETH Life vom 10.11.11) Das Treffen mit der Studierendengruppe, die die Haltung der ETH Zürich beim Strombezug kritisiert, diente dazu, sich noch einmal gegenseitig über die Standpunkte auszutauschen, vor allem aber, um neue Ideen zu diskutieren. «Sie sollen auch heute nicht mit leeren Händen gehen», hielt Ralph Eichler fest und betonte, dass hier keine grundsätzliche Kernenergiedebatte geführt werde, wie es in Medien und Politik in den letzten Tagen zum Teil hiess. «Der Ausstieg der Schweiz aus der Kernkraft steht fest. Wir suchen Lösungen, um dieses ehrgeizige Ziel so effizient wie möglich und weitgehend ohne Einbussen beim Lebensstandard zu erreichen.» Ums Geldsparen, wie immer wieder kolportiert, gehe es der ETH dabei nicht.

Effizienz kontra Wirkung in der Öffentlichkeit

Die Studentinnen Sophia Rudin und Nicole Seitz von der «Arbeitsgruppe für erneuerbare Energie an der ETH» gaben zu bedenken, welch negativen Effekt der Entscheid zum Stromeinkauf in der öffentlichen Wahrnehmung gehabt habe. Diese Signalwirkung werde unterschätzt, wenn nur auf die Effizienz geschaut werde. Das lebendige Gespräch verlief entlang den bekannten Positionen. Die Studierenden sehen im heutigen Stromlabeling einen wirksamen gesellschaftlichen Hebel, um sowohl die Produktion wie den Bezug des Stroms in die richtige Richtung zu lenken. Was die ETH hier tue, sei beispielgebend. «Das ist richtig», sagte Ralph Eichler, hielt dem aber entgegen, dass das aktuelle öffentliche Echo durchaus geteilt ist. Die ETH habe aufgrund ihrer Expertise in der Energieforschung ganz andere Gestaltungschancen als Unternehmen und Privathaushalte. «Sie nimmt ihre Vorbildrolle wahr, indem sie mit dem freigespielten Geld ihre Forscherinnen und Forscher direkt auf die jetzt drängenden Fragen ansetzt, die der vom Bundesrat beschlossene Kernkraft-Ausstieg stellt – zum Beispiel im Bereich der Stromspeicherung.» Ralph Eichler hielt fest, dass die Schulleitung nach nochmaligen Abklärungen beim Entscheid, den günstigsten Strom zu beziehen, festhalte.

Dialog statt Schwarz-Weiss

Allerdings: Dafür innerhalb und ausserhalb der ETH Verständnis zu schaffen, etwa via dem Online-Magazin «ETH Life», habe man unterlassen, «was ein Fehler war», räumte der Präsident ein. Dem pflichtete auch Christine Bratrich bei, die Leiterin von «ETH Sustainability», der Koordinationsstelle für Nachhaltigkeit: «Das Gespräch ist sehr wichtig. Je mehr unterschiedliche Ansprüche einfliessen, desto tragfähiger ist die gewählte Lösung.» Man bewege sich mit diesem offenen und kritischen Dialog zum Glück nun weg von einfachen Schwarz-Weiss-Ansichten. Denn diese würden oft das grosse Engagement für Nachhaltigkeit unterschlagen, das es an der ETH auf allen Ebenen gibt. «Initiativen und Projekte für eine nachhaltige Entwicklung finden bei uns in der Lehre, Forschung und auf dem eigenen Campus statt. Hier spielt die ETH Zürich im Vergleich zu vielen anderen Hochschulen eine echte Vorreiterrolle», so Christine Bratrich.

Neues Leitbild mit konkreten Folgen

Dafür steht nun auch der nächste Schritt, zu dem Ralph Eichler die Studierenden ermunterte. Er schlug Ihnen konkret vor, an der Erneuerung des Energieleitbilds der ETH Zürich mitzuarbeiten. Eine Revision des rund zehn Jahre alten Dokuments, das den Umgang der ETH mit Energie grundsätzlich regelt, ist fällig. Den Ausgangspunkt für die Arbeitsgruppe bildet der vom Bundesrat beschlossene schrittweise Ausstieg aus der Atomenergie. Die Arbeitsgruppe solle aufzeigen, wie die ETH diesem Ziel am besten dienen kann, so der ETH-Präsident – als Forschungsinstitution und exemplarisch in der Umsetzung auf dem eigenen Campus: «Wir müssen hier bewusst unsere Kernkompetenzen ausspielen: wissenschaftlich-technische sowie umweltorientierte Ausbildung, Forschung bezüglich neuer oder effizienterer Energieumwandlungstechnologien, Wissenstransfer an die Industrie sowie die grossflächige Umsetzung neuer Technologien.»

Die ETH habe die Möglichkeit, das Thema in seiner ganzen Komplexität zu erfassen und auf dieser Basis Schlüsse zu ziehen. So müsse zum Beispiel auch berücksichtigt werden, dass die Schweiz nicht darum herum kommt, einen Teil der Kernkraft- durch Gaskraftwerke zu ersetzen, wie die jüngst erschienene ETH-Energiestudie zeigt. Um die Klimaziele trotzdem zu erreichen, ist es deshalb zentral, das Sparpotenzial beim CO2-Ausstoss bei Gebäuden und Verkehr auszuschöpfen, so Ralph Eichler: «Das Energieleitbild sollte darstellen, was die ETH in diesem Gebiet leisten kann. Und es muss diese Leistung mit jenen Massnahmen vergleichen, die nur die Stromanbieter liefern können. Dabei müssen Kosten und Machbarkeit im Auge behalten werden. Auf dieser Basis soll das überarbeitete Leitbild konkrete Folgen haben, und dies kann dann auch die Wahl des Vertrags mit dem Stromanbieter betreffen», erklärte der ETH-Präsident. Der neuen Arbeitsgruppe unter der Leitung des ETH-Umweltbeauftragten Dominik Brem sollen Experten des Bereichs ETH-Immobilien, Forschende und Studierende angehören.

Eine Chance, Nachhaltigkeit zu verankern

Die Studierenden zeigten sich an diesem Vorschlag sehr interessiert. Damit bestehe eine Chance, die eigenen Anliegen frühzeitig einzubringen und die Wahl der Lösungen konkret zu beeinflussen, fanden Dominique Jaquemet und Claudio Beretta von der «Arbeitsgruppe für erneuerbare Energie an der ETH». Es wäre allerdings wichtig, dass auch sozialwissenschaftliche Experten vertreten sind und der Vorbildfunktion der ETH das nötige Gewicht verleihen, gab Claudio Beretta zu bedenken: «Denn mit dem Argument, dass man Geld am besten direkt in die Forschung investiere, liessen sich prinzipiell alle Investitionen in einen nachhaltigeren Betrieb des eigenen Campus verhindern.» Somit soll bei der Entwicklung des neuen Energieleitbilds auch die Vorbildwirkung der ETH in der Öffentlichkeit berücksichtigt werden. Sophia Rudin ergänzte: «Wichtig wäre, dass mit dem neuen Leitbild auch die Nachhaltigkeit grundsätzlich noch besser in den Studiengängen der ETH verankert wird. Das ist nämlich – einmal abgesehen vom Bereich Umwelt – bisher zu wenig der Fall».

Sehr konkret war die Rückmeldung von Dominik Brem auf die Hinweise der Studierenden im ersten Gespräch: Die beanstandete Klimatisierung einzelner Hörsäle wurde analysiert und auf ein Problem der Lüftung eingegrenzt. Es wird nun behoben, was den Strombedarf allerdings nicht unbedingt reduziert. Und die Anregung der Studierenden, auf ETH-Dächern extern finanzierte Photovoltaik (PV) zu installieren, hatte ein spannendes Angebot zur Folge: Ein Unternehmer stellt der ETH in Aussicht, PV mit so genannter Grid Parity zu installieren. Das heisst, der so produzierte Solarstrom könnte zu Marktpreisen verkauft werden. Die ETH wird das Angebot genau prüfen.