Veröffentlicht: 18.11.11
Science

Am Computer entwickelter Immunhemmstoff

Wissenschaftler der ETH Zürich haben mit Hilfe einer von ihnen entwickelten Computersoftware und in Zusammenarbeit mit deutschen Immunologen ein Wirkstoff-Molekül entdeckt, das die übermässige Produktion eines Immunbotenstoffs stoppen kann. Ein Abkömmling dieses Moleküls könnte dereinst Patienten mit einer Autoimmunkrankheit helfen.

Fabio Bergamin
Darstellung des Interferon-Moleküls (gross) und des neu entdeckten Hemmstoffs, der daran bindet. (Bild: Tim Geppert / ETH Zürich)
Darstellung des Interferon-Moleküls (gross) und des neu entdeckten Hemmstoffs, der daran bindet. (Bild: Tim Geppert / ETH Zürich) (Grossbild)

Interferone sind wichtige Botenstoffe des Immunsystems von Menschen und Tieren. Eine Klasse von Interferonen, sogenannte Typ-I-Interferone, werden beispielsweise von Zellen des Immunsystems als Antwort auf krankmachende Viren oder Bakterien gebildet und dienen zu deren Bekämpfung.

Allerdings gibt es auch Krankheiten, bei denen Interferon-produzierende Zellen chronisch aktiviert sind. Dabei kann es zu einem Rückkoppelungseffekt kommen und damit zu einer Überproduktion der Botenstoffe. Das Immunsystem läuft so aus dem Ruder, und es kommt zu einer chronischen Entzündungsreaktion. Dies ist etwa beim systemischen Lupus erythematodes der Fall, einer schweren Autoimmunkrankheit.

Forscher unter der Leitung von Gisbert Schneider, Professor für Computergestützte Wirkstoffentwicklung am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich haben nun gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Zoe Waibler am Paul-Ehrlich-Institut in Langen (Deutschland) einen Wirkstoffkandidaten gefunden, der die Ausschüttung und Wirkung von Typ-I-Interferonen gezielt hemmt. Damit könnte in Zukunft Patienten geholfen werden, die an Krankheiten wie dem systemischen Lupus erythematodes leiden.

Vorhersage über Bindungsstelle

Gisbert Schneider und seine Kollegen an der ETH Zürich haben dazu in einem Computermodell eine virtuelle Sammlung von mehr als 500 000 Substanzen auf ihre potenzielle Bindungsfähigkeit an Typ-I-Interferone getestet. Das Modell benützte dazu die dreidimensionalen Strukturinformationen des Botenstoffs seines Rezeptors auf der Oberfläche von Immunzellen und der Wirkstoffkandidaten aus der virtuellen Bibliothek. Es kam dabei eine neue, an der ETH Zürich entwickelte Software zum Einsatz, wie Tim Geppert, ETH-Doktorand und Erstautor der Studie erklärt. Diese Software errechnet für zwei gegebene Moleküle – in diesem Fall den Botenstoff und seinen Rezeptor – aus, wo und wie sie am ehesten aneinanderbinden und wechselwirken. Zudem sagt die Software voraus, wo genau an dieser Bindungsstelle ein kleines Wirkstoffmolekül binden und die Wechselwirkung von Botenstoff und Rezeptor somit blockieren kann.

Sechs Moleküle aus der virtuellen Bibliothek haben sich in dieser Computersimulation als besonders vielversprechend erwiesen. Diese wurden dann in biophysikalischen Studien im Labor auf ihre Bindungsfähigkeit an Interferon untersucht. Die Wirksamkeit der am besten geeigneten Substanzen wurde schliesslich von Wissenschaftlern des Paul-Ehrlich-Instituts in Zellkulturversuchen überprüft und bestätigt. Die Forscher testeten, wie gut die Wirkstoffkandidaten bei Interferon-produzierenden Zellen den Rückkoppelungseffekt unterdrückten.

Weitere Forschung nötig

Das wirksamste Molekül wird allerdings nicht direkt als neues Medikament genutzt werden können. Denn in den Zellkulturversuchen stellte sich heraus, dass es in hohen Dosen für die Zellen toxisch ist. Die Wissenschaftler möchten daher in einem nächsten Schritt aus der neu entdeckten Wirkstoffsubstanz leicht veränderte Abkömmlinge entwickeln, die immer noch die gewünschte Wirkung haben, jedoch nicht toxisch sind. «Wie diese Studie gezeigt hat, kann die pharmazeutische Wirkstoffforschung von der engen Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen enorm profitieren», sagt Schneider. Chemie- und Bioinformatik spielten dabei eine entscheidende Rolle.

Literaturhinweis:

Geppert T, Bauer S, Hiss JA, Conrad E, Reutlinger M, Schneider P, Weisel M, Pfeiffer B, Altmann KH, Zibler Z, Schneider G: Immunosuppressive Small Molecule Discovered by Structure-Based Virtual Screening for Inhibitors of Protein-Protein Interactions. Angewandte Chemie 2011. doi: 10.1002/anie.201105901

 
Leserkommentare: